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Das große 2×5-Interview: Saskia Veit-Prang, Wiesbadener Frauenbeauftragte, 51 Jahre, 3 Kinder

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr

BERUF

Frauenbeauftragte, da denken viele an lila Latzhosen und an Alice Schwarzer. Und liegen mit dieser Assoziation im Jahr 2018 wahrscheinlich ziemlich daneben?

Das würde ich auch so sehen. Obwohl meine Vorstellung, als ich jung war, auch diese lila Latzhosen waren. Ich fand das auch immer sehr uncool. Das lag einfach daran, dass ich bis dahin einfach Glück im Leben gehabt hatte. Wenn man jung ist und hat eine sehr gute Ausbildung und die persönliche Erfahrung gemacht, dass alles schön ist und gut läuft, dann denkt man, das geht auch so weiter. Das ist dann aber halt nicht so. Irgendwann kommen gewisse Einschnitte und Erfahrungen, die zeigen, dass es mit der Gleichberechtigung nicht so weit her ist.

Welche Assoziation sollte man stattdessen beim Begriff Frauenbeauftragte haben?

Dass da immer noch eine Menge zu tun ist. Ich würde schon sagen, ich bin Feministin, und das ist auch gut so. Ich mache aber parteiische Arbeit für Frauen. Eine Frauenbeauftragte ist allein deshalb vonnöten, weil die Bedarfe zwischen Männern und Frauen auch in einer Landeshauptstadt Wiesbaden völlig unterschiedlich sind. Eine Frauenbeauftragte hat die Aufgabe, für diese Zielgruppen – vom weiblichen Säugling bis zur weiblichen Seniorin – sicherzustellen, dass es Anlauf- und Beratungsstellen gibt und dass dieser besondere Blick der Frauen in der Politik nicht aus den Augen verloren wird.

Sie hatten letztes Jahr zehnjähriges Dienstjubiläum – wie ist Ihre Bilanz ausgefallen?

Ein bisschen ernüchternder als die Bilanz nach fünf Jahren. In Teilen hat man schon das Gefühl, man kämpft gegen Windmühlen. Es ist immer wieder von allen Seiten die Frage zu hören, und gerne auch aus dem politischen Raum: Braucht´s denn überhaupt noch eine Frauenbeauftragte? Man hat nie einen Status quo, der sicher ist. Nichtsdestotrotz habe ich doch immer wieder den Eindruck, wenn man Geduld hat und dicke Bretter bohrt, dann passiert es doch immer mal wieder, dass man an irgendeinem Punkt einen signifikanten Erfolg erzielen kann und dann sagt: Es hat sich doch gelohnt. Man muss immer im Blick halten, was man schaffen kann, die kleinen Erfolge, und darf nicht das sehen, was man nicht schaffen kann.

Sie haben aktiv am neuen Prostituiertenschutzgesetz mitgearbeitet und sagen, dieses wird die gesamte Prostitution in Wiesbaden maßgeblich verändern – wie?

Bislang konnte man sagen, Prostitution findet in Wiesbaden gar nicht statt. Es gibt zwei, drei Etablissements  in den Außenbereichen. Aber wer sieht ansonsten, wo hier Prostitution stattfindet? Tatsächlich spielt sich bisher in Wiesbaden die Prostitution zu einem sehr hohen Prozentsatz innerhalb der Fußgängerzone, im Innenstadtbereich, im absoluten Sperrbezirk ab, in ganz normalen Wohnungen. Das Gesetz bringt sehr viele Auflagen, wie Bordellbetriebe auszusehen haben. Die Prostitution wird sich in Zukunft auf die dafür vorgesehenen Sperrbezirke beschränken, aber dort dann sehr große Etablissements entstehen. Es ist durchaus denkbar, dass sich dann auch der Straßenstrich wieder in Wiesbaden beleben wird.

Schaffen Sie es, Ihr Pensum in der vertraglich festgelegten Arbeitszeit zu erledigen?

(Lacht) Nein. Es passiert, dass ich nach einem langen Arbeitstag nach Hause gehen möchte, und es ist ein Freitagabend, und dann steht eine Frau mit zwei kleinen Kindern vor mir, die gerade verprügelt wurde und hat nur die Kleider auf dem Leib, die sie gerade trägt. Dann ist es nicht möglich zu sagen, kommen Sie bitte zur Bürozeit am Montagmorgen um 9. Ich erlebe viele Menschen in schweren Krisen und Ausnahmesituationen. Die lassen sich nicht in eine normale Arbeitszeit hineinpressen. Das ist für mich aber kein Problem.

MENSCH

Was macht Ihre Aufgabe, bei der Sie mit vielen Schicksalen konfrontiert werden, mit Ihnen als Person – über die Tatsache hinaus, dass Ihnen immer mal wieder der Feierabend genommen wird?

Ich muss ja diese Aufgabe nicht machen. Ich mache sie ja aus Überzeugung und weil es mir eine Herzensangelegenheit ist. Insofern kann ich damit umgehen.

Sie erleben „den Mann“ oft in seiner ganzen Brutalität und Grausamkeit – besteht da nicht die Gefahr, zur Männerhasserin zu werden?

Ich sehe das so nicht, weil mir vollkommen klar ist, dass es immer am Menschen liegt. In einer Partnerschaft machen beide sehr schnell Fehler. Bei mir kommt es halt geballt. Aber dass ich sagen würde „Alle Männer sind Schweine“, das kann ich in keinster Weise stehen lassen. Das wäre auch schlimm. An dem Tag, an dem ich das so sehen würde, würde ich mir eine andere Tätigkeit suchen.

Wie stehen Sie zur „Mee too“-Debatte?

Ich erlebe, dass auch junge Frauen aufhorchen und sich zum Teil wundern, wer alles davon betroffen ist. Ich finde es gut, wenn solche Kampagnen ausgetragen werden – auch, um Themen, die unter dem Hut gehalten werden, nach vorne zu holen. Man redet nicht darüber, ob man zuhause verprügelt wird, das wissen selbst die besten Freundinnen nicht. Aber wenn immer mehr Frauen dieses Schweigen brechen, dann wird es öffentlicher. Bei ganz vielen Themen der Frauenbewegung heißt es: Das ist doch gar kein Thema. Aber nur weil die Frauen nicht darüber sprechen, ist es trotzdem da. Als AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzt)-Beauftragte der Stadt habe ich sehr viele Fälle, wo Frauen, auch sehr gut ausgebildete, am Arbeitsplatz sexuell belästigt werden – und am Ende, selbst wenn sie vor Gericht Recht bekommen, sich doch einen neuen Job suchen müssen. Da ist schon noch eine sehr schräge Sicht, dass die Frauen oft doppelt Opfer werden.

Am 8. März ist Internationaler Frauentag – in Wiesbaden unter dem Motto „Feminismus, ja bitte!“ Was planen Sie da?

Da werden wir uns mit den jungen Frauen heute beschäftigen. Auch wenn wir feststellen, dass die feministischen Frauen aus den Achtziger Jahren sich natürlich altersbedingt zurückziehen, ist es im Augenblick wieder spürbar, dass viele junge Frauen den Feminismus nicht als Beleidigung empfinden. Eine Alice Schwarzer würde keine mehr als Vorbild nennen. Wie man sich mit den Themen auseinandersetzt, ist heute, bei den Kindern des Internets, anders als früher. Erschreckend ist allerdings, dass man manchmal wieder bei den gleichen Botschaften landet. Es ist aber ein gutes Gefühl, zu sehen, das Thema Feminismus ist auch bei den jungen Frauen in guten Händen. Sonst würden wir schnell wieder verlieren, was wir erkämpft haben.

Sind Sie Kinogängerin? Wenn ja: Welches ist Ihr Lieblingsfilm?

Ich gehe gerne ins Caligari – ein „place to be“, da kann man eine tolle Auszeit genießen -, oder auch ins Murnau-Kino. Am Internationalen Frauentag am 8. März sind diese beiden Kinos wegen des FernsehKrimi-Festivals besetzt. Deshalb zeigen wir den Film „Die göttliche Ordnung“ – ein humorvolles Drama über die Einführung des Frauenwahlrechts Anfang der 70er-Jahre in der Schweiz – zum Abschluss des Tages um 20 Uhr beim Kinoabend im Bürgersaal Westend (Georg-Buch-Haus, Wellritzstraße 38). Kürzlich habe ich den Film „Suffragetten“ gesehen. Selbst mir war nicht klar, unter welchen persönlichen Entbehrungen das Frauenwahlrecht vor 100 Jahren erkämpft wurde, mit Hungerstreik und Tod. Diese steinigen Wege, die zu etwas führen, was für uns völlig selbstverständlich ist, die muss man sich immer mal wieder vor Augen führen.

Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Auch in Wiesbaden gibt es ein umfangreiches Programm. Die Veranstaltungen des Kommunalen Frauenreferates, der AG Wiesbadener Mädchen- und Fraueneinrichtungen und des AK Mädchenpolitik zum Internationalen Frauentag 2018 am 8. März stehen unter dem Motto „Feminismus heute? Ja, bitte!“ und ganz im Zeichen des aktuellen Blicks auf den Feminismus.