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Das große 2×5+x-Interview: Gregor Gysi, Linken-Legende, 75 Jahre, 2 Kinder

Gregor Gysi. Foto Christof Mattes.

Interview: Dirk Fellinghauer. Fotos: Christof Mattes.

Wenn man Gregor Gysi an der Strippe hat, ist ein ergiebiges Gespräch vorprogrammiert. Das sensor-Gespräch mit der Linken-Legende war so ergiebig, dass das Gesagte unser übliches 2×5-Format deutlich sprengte. Die „klassische“ 2×5-Version ist hier in der aktuellen sensor-Ausgabe zu finden, online veröffentlichen wir das Gespräch in voller Länge als 2×5+x-Interview. Ein Gespräch über Die Linke und ihre Krise und ihre Perspektiven, über Sahra Wagenknecht, über die Kunst, Gegner beleidigungsfrei zur Weißglut zu treiben, über den Austausch mit Andersdenkenden, über die AfD und Ost und West, über Krieg und Frieden, über Luxus, Ausschlafen und Spielen, über ein Treffen mit Bernie Sanders, über Menschlichkeit in der Politik – und über Union Berlin.

 

 

BERUF

Sie kommen im Februar unter dem Motto „Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ nach Wiesbaden ins Kurhaus. Auf was darf sich das Publikum gefasst machen?

Der Moderator wird Hans Dieter Schütz sein, der ja auch die Gespräche für das Buch notiert hat – 60 Gespräche über große Politik, kleine Politik, Persönliches, Unterhaltendes, Ernsthaftes, also eine richtige Mischung. Er fragt mich an den Abenden zur aktuellen Politik, aber auch zu meiner Autobiografie und auch zu den Gesprächen in dem Buch. Wer hinkommt, kann also Ernsthaftes und Unterhaltendes erfahren.

Diese Mischung kennzeichnet Sie ja insgesamt. Wie unterhaltsam muss, oder darf, Politik eigentlich sein?

Man muss immer die richtige Mischung schaffen. Es gibt Momente und Zeiten, wo das überhaupt nicht passt, und andere, wo es sehr gut passt. An dem Tag, an dem die Hamas diese entsetzlichen Morde an Israelis begangen hat, ist nicht der geringste Raum für Humor. Da ist auch nicht der Raum dafür, das zu relativieren. Da darf man nur scharf diese Verbrechen verurteilen. Tage später, wenn Israel dann antwortet, dann kann man auch dazu wieder Einschätzungen geben. Ich glaube, wir sind dort an einer Gabelung: Entweder wir erleben einen katastrophalen Flächenbrand, oder es kommt endlich zur Lösung des Nahost-Konfliktes.

Wagen Sie eine Prognose?

Es ist schwer zu sagen. Es gibt da zwei Faktoren. In Israel gab es Gegner der Zwei-Staaten-Lösung, die plötzlich begreifen, dass es anders nicht geht. Am wichtigsten ist, was die US-Administration macht – ob sie jetzt der Meinung ist, wir brauchen die Konfliktlösung. Oder ob sie nach wie vor wie Trump der Meinung ist, dass man das nicht macht oder dass man nur Angebote macht, die die Palästinenserinnen und Palästinenser sowieso nicht akzeptieren können. Aber ich habe den Eindruck, als ob in der US-Politik die Einsicht zunimmt, so wie bisher geht es nicht weiter und dass man doch eine Lösung benötigt.

Wie haben Sie Ihren persönlichen Politikstil gefunden und wie hat er sich vielleicht über die Jahre und Jahrzehnte weiterentwickelt?

Erstens war mein Vater ein glänzender Rhetoriker. Von ihm habe ich gelernt, wenn man etwas erklären oder erläutern will, dass man am besten mit Beispielen operiert. Das ist dann nicht so abstrakt und viel leichter zu erfassen. Zweitens bin ich geschult worden als Rechtsanwalt in der DDR. Damals gab es manchmal nicht mal eine Pause nach dem Plädoyer des Staatsanwalts, und dann sollte ich zu achtzehn Anklagepunkten Stellung nehmen. Da musste ich schon einiges zusammenraffen, um das überhaupt zu können. Das hat mich auch geschult. Und drittens habe ich auch von meinem Vater übernommen, dass ich nicht nur ironisch, sondern auch selbstironisch bin. Und wenn ich jemanden kritisiere, der mich beleidigt oder so, mache ich das immer auf eine Art, die den zur Weißglut treibt, ohne dass es eine Beleidigung enthält. Da habe ich so meine eigene Methode gefunden.

Die Linksfraktion im Bundestag, der Sie angehören, hat ihre Auflösung zum 6. Dezember beschlossen. Was macht diese Entscheidung mit Ihnen?

Wissen Sie, ich habe versucht, Sahra davon zu überzeugen, zu bleiben. Ich habe ihr gesagt, du kannst doch versuchen, für neue Mehrheiten zu kämpfen, aber das war ihr alles zu mühsam, das wollte sie nicht. Nun ist sie ihren Weg gegangen und will eine neue Partei gründen, das ist ihr gutes Recht. Sie – und die neun anderen – hätten nur die Mandate nicht mitnehmen sollen. Die haben sie nun mal gekriegt durch drei Direktgewählte, die nicht mit ihnen mitgehen, und durch die Wahlhilfe und die finanzielle Hilfe durch die Partei Die Linke. Die Leute, die sie gewählt haben, haben Die Linke gewählt und nicht eine neue Partei. Das finde ich wirklich unmoralisch und daneben. Aber für mich ist das Kapitel jetzt abgeschlossen.

Und jetzt?

Jetzt sage ich allen Leuten, jetzt müssen wir eine Chance daraus machen. Ich kenne Krisen. Die bisherigen existenziellen Krisen unserer Partei, die wir alle überstanden haben, kamen ja immer von Gegnerinnen und Gegnern und Konkurrenten. Weil die es nicht geschafft haben, haben sich nun ein paar Linke selbst missbrauchen lassen zu dem Zweck, Die Linke totzumachen. Das finde ich ebenfalls daneben. Aber ich muntere die Leute auf und sage: So, jetzt muss wieder mit Leidenschaft gekämpft werden, anders geht es gar nicht.

Und wie genau soll es gehen?

Eine Partei in einer existenziellen Krise darf nicht ein Laden der tausend kleinen Dinge sein, sondern muss sich auf fünf Fragen konzentrieren: 1. Reale Friedenspolitik, 2. Deutlich mehr soziale Gerechtigkeit einschließlich Steuergerechtigkeit, 3. Ökologische Nachhaltigkeit, immer in sozialer Verantwortung, darauf müssen wir achten, 4. Die Gleichstellung von Frau und Mann, 5. Die Gleichstellung von Ost und West. Das sind die Themen, nichts anderes. Wenn sich meine Partei darauf konzentriert, kann sie auch wieder Zustimmung finden.

Wäre es nicht gerade für Sie auch eine Chance und ein Signal zu sagen, gerade der 5. Punkt – die Gleichstellung von Ost und West – muss nicht der 5. Punkt sein, sondern diesen weiter oben in der Aufzählung anzusiedeln?

Es ist nicht der Fünftletzte. Frieden ist natürlich immer wichtiger als alle anderen Fragen. Aber die Gleichstellung von Ost und West ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben da auch Fehler gemacht. Wir hätten als Linke niemals den Osten vernachlässigen dürfen, weil wir dadurch der AfD Freiräume geboten haben, die wir ihr niemals hätten bieten dürfen. Das habe ich auch gesehen und gesagt, aber nicht laut genug. Wenn du mit einem Job aufhörst, willst du ja nicht der Oberschlaue sein, der dann immer Ratschläge erteilt, das ist ja eher doof. Aber ich glaube, inzwischen wird es in der Partei deutlich besser verstanden, das Ost-Thema spielt wieder eine viel größere Rolle, und das wird auch Zeit.

Woran machen Sie das fest?

Um Ihnen nur ein Beispiel zu nennen: Viele Ostdeutsche, die Arbeit hatten, haben ja für die gleiche Arbeit in längerer Arbeitszeit weniger verdient. Das heißt, für sie wurden auch geringere Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt. Wir haben also noch in dreißig Jahren den Unterschied, dass sie für die gleiche Arbeit eine geringere Rente beziehen werden. Da muss es eine Fraktion, oder eben jetzt erstmal eine Gruppe, im Bundestag geben, die beantragt, dass es einen steuerlichen Zuschuss geben muss, um das auszugleichen, damit man für die gleiche Arbeit die gleiche Rente erhält. Selbst wenn die anderen das ablehnen: Wir zwingen sie dann darüber zu diskutieren, das ist einfach wichtig.

Ist die Linke noch zu retten?

Ich bin ein Zweckoptimist. Wenn ich kein Zweckoptimist wäre, hätte ich nach 1990 vieles gar nicht durchgehalten. André Brie hat mal in einem Buch geschrieben: 1994 kämpften wir um die Drei-Direktmandats-Regel, damals war das ein Riesenerfolg, nur ich hatte 1990 ein Direktmandat. Und wir errangen schließlich vier Direktmandate und zogen in den Bundestag ein. Da schrieb er, außer dem ewigen Zweckoptimisten Gregor Gysi hat keiner daran geglaubt, dass wir das schaffen. Da habe ich zu ihm gesagt, ja wenn ich es nicht geglaubt hätte, wie sollte ich denn dann leidenschaftlich Wahlkampf machen?

Sie glauben an das Unmögliche?

Wenn ich davon ausgehe, wir gehen sowieso unter, dann kann ich das nicht. Wenn ich jetzt streite dafür, dass die Partei wieder an Zustimmung gewinnt, dann muss ich auch daran glauben, dass das möglich ist. Aber noch etwas: Mir geht es gar nicht vornehmlich nur um unsere Partei.

Sondern?

Mir geht es um die Gesellschaft. Wenn es linke Denkanstöße in der Debatte, in der Diskussion und in der Gesellschaft und im Bundestag nicht mehr gäbe, verarmten sowohl die Gesellschaft als auch der Bundestag. Das Linkeste im Bundestag wäre dann die Sozialdemokratie – ich bitte Sie! Insofern stellen wir für alle eine Bereicherung dar, auch für die Union, weil sie sich mit Argumenten auseinandersetzen muss, die sie sonst nicht hörte. Wir müssen uns ja auch mit deren Argumenten auseinandersetzen. Insofern sind wir für die Gesellschaft eine Bereicherung und sollten es wieder werden. Das heißt, wir müssen unsere Selbstbeschäftigung aufgeben, die Denunziationen überwinden und uns auf die genannten fünf Fragen konzentrieren.

Was trauen Sie einer Sahra-Wagenknecht-Partei zu?

Am Anfang wird sie Erfolge haben, aber man darf eins nicht vergessen: Sie will eine Flüchtlingspolitik wie die AfD, eine Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und eine Sozialpolitik wie die Linke machen. Sie geht davon aus, dass sie damit Stimmen addiert. Das kann auch am Anfang funktionieren. Meine Erfahrung diesbezüglich ist aber, letztlich wird das eine Minus-Rechnung. Die einen wählen dich aus diesem Grunde nicht, die anderen nicht aus jenem. Also nachdem sie anfangs wahrscheinlich Erfolge hat, die Medien powern sie ja auch, dann glaube ich schon, dass das 2025 nichts mehr wird. Und das Schicksal meiner Partei entscheidet sich auch bei der Bundestagswahl 2025.

Und das Schicksal der AfD, oder besser gesagt das Schicksal der Demokratie mit Blick auf die AfD, wie sehen Sie da die weitere Entwicklung?

Das ist sehr schwer. Die anderen Parteien machen immer den Fehler, dass sie sich überlegen, was macht die AfD, und dann versuchen sie das ein bisschen abzukupfern. Das hat Söder vor fünf Jahren bei der Bayernwahl versucht. Da hat er aber die Erfahrung gemacht, nur die Wahl der AfD legitimiert zu haben. Er hat die Stimmen nicht rübergezogen, wie er gehofft hatte. Sahra hofft das ja auch, ich glaube, das wird auch nicht funktionieren. Wie dem auch sei, wir müssen darüber nachdenken, was wir falsch machen, was dazu führt, dass die AfD eine solche Zustimmung bekommt.

Hat Ihr Nachdenken über die AfD schon Antworten hervorgebracht?

Das hängt mit der Glaubwürdigkeit der etablierten Politik zusammen. Allein die Sprache. Du kannst nicht eine ganze Debatte um die Veräußerungsgewinnsteuer führen, ohne zu übersetzen, was das überhaupt ist. Dann werden falsche Beweggründe für Entscheidungen abgegeben, weil man immer versucht, eine Argumentation zu finden, von der man meint, dass sie am ehesten von einer Mehrheit geteilt wird. Deshalb habe ich das Buch geschrieben „Was Politiker nicht sagen, weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht“. Dadurch kommt ein Vertrauensverlust zustande.

Was läuft noch schief?

Oder jetzt hat eben die Bundesregierung beschlossen, dass der gesamte öffentliche Dienst einschließlich der Bundesministerinnen und Bundesminister und einschließlich dem Bundeskanzler einen Inflationsausgleich von 3000 Euro erhalten. Ich habe nichts dagegen. Das Problem ist nur, die Rentnerinnen und Rentner haben 300 Euro bekommen, also denen fehlen noch 2700 Euro. Und die anderen haben gar nichts bekommen, weder Minijobber noch sonst jemand. Diese Selbstbedienungsmentalität, das geht nicht. Der öffentliche Dienst kann das schon bekommen, aber zeitgleich mit den anderen und nicht als erster und die anderen nicht. So etwas macht Vertrauen kaputt.

Und was schafft wieder Vertrauen?

Es gibt nicht mal einen Gesprächskreis, wo CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke versuchen, darüber nachzudenken, was wir falsch machen, was zu diesem Vertrauensverlust der Bevölkerung führt. Das müssen wir ändern. Wenn wir wieder mehr Vertrauen erreichen, dann schwächt das auch die AfD. Die AfD bedient die Angst der Menschen vor der Globalisierung und verbreitet die Illusion, dass sie national und nationalistisch alle Weltprobleme lösen könnte. Ich glaube daran keine Sekunde.

Bewaffnete Konflikte rücken näher an uns heran. Mit Udo Lindenberg, dem Sie auch auf Instagram folgen, gefragt: Wofür sind Kriege da?

Es wird zu viel daran verdient. Und ich sage Ihnen Folgendes: Im Unterschied zu den Bundesministerinnen und Bundesministern bin ich kein Militärexperte, also kann ich so etwas kaum einschätzen. Also verlasse ich mich auf General Mark A. Milley. Das war der Generalstabschef der US-Streitkräfte über viele, viele Jahre, der ist jetzt am 23. September 2023 aus dem Amt ausgeschieden. Der hat gesagt, militärisch kann weder Russland noch die Ukraine siegen. Wenn das stimmt, brauchen wir so schnell wie möglich einen Waffenstillstand und dann, unter Vermittlung Dritter, komplizierte Friedensverhandlungen.

Das scheint derzeit nicht in Sicht.

Es gibt eben kein Interesse am Waffenstillstand im Westen, was ich für falsch halte. Weil sie glauben, die Ausgangsbedingungen für die Ukraine sind nicht günstig genug. Habermas hat zurecht darauf hingewiesen, sie sprechen immer vom Sieg der Ukraine und definieren nicht, was sie darunter verstehen. Ich bin für die Formulierung wie Habermas: Die Ukraine darf keine Niederlage erleiden. Sie soll also keine Territorien aufgeben etcetera. Gerhard Schröder hat ja nun beschrieben, dass er von der Ukraine kurz nach Beginn des Krieges um Vermittlung gebeten wurde. Dann hat der ukrainische Präsident ihm den heutigen Verteidigungsminister der Ukraine als Verhandlungspartner geschickt, und ebenfalls war der Gesandte Russlands da. Da haben sie sich verständigt über die Sicherheitsgarantien für die Ukraine, über die Frage der Nato, über die Krim, über das Donbass-Gebiet als Teil der Ukraine, aber auch mit russischer Sprache usw., und er sagte, dann haben die USA Nein dazu gesagt und dann hat Selenskij sich nicht getraut, Ja zu sagen. Ich ahne auch, warum.

Und zwar?

Russland hat den Fehler begangen, einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu starten. Aber die USA haben sich gesagt, nun haben sie den Fehler begangen, und jetzt werden wir ihn nutzen, dauerhaft Russland zu schwächen. Das ist natürlich inhuman, weil man ja dann auch deutlich mehr Tote und Verletzte und Zerstörung in Kauf nimmt. Zweitens hat es sich gar nicht bewahrheitet.

Russland ist durch den Krieg nicht geschwächt?

Russland hat jetzt prozentual eine stärkere Wirtschaftssteigerung als wir, die gehen jetzt ein Bündnis mit China ein, woran der Westen eigentlich kein Interesse haben sollte. BRICS – das Bündnis aus Brasilien, Russland, Indien China und Südafrika – entwickelt sich ganz anders – 40 Staaten haben ihr Interesse bekundet, 23 haben formal einen Antrag gestellt, 6 neue Mitglieder wird es ab 1. Januar 2024 geben – bei diesen elf Staaten wohnt mehr als die Hälfte der Menschheit, das ist ein Machtfaktor, und die sind sich in zwei Punkten einig: Sie wollen nicht von den USA dominiert werden, und sie wollen eine Währung schaffen, die es mit dem Dollar aufnehmen kann. Also dieser Wunsch, das Russland aus dem Ganzen geschwächt hervorgeht, scheint mir gar nicht in Erfüllung zu gehen. Und außerdem brauchen wir einen Waffenstillstand, damit endlich das Sterben und Verletzen und die Zerstörungen aufhören. Dann brauchen wir Vermittlung durch Dritte, die man als neutral bezeichnen kann, vielleicht Lula aus Brasilien, vielleicht auch Südafrika, das muss man sehen.

Neulich haben Sie Bernie Sanders getroffen. Wie verlief diese Begegnung?

Das war gut. Wir haben genau darüber gesprochen. Er hat gesagt, die Frage China ist für die USA eine existenzielle, und er habe dem US-Präsidenten gesagt, er müsse die Beziehungen zu China verbessern. Wir können ja nicht immer wie Baerbock mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Welt laufen und sagen, wir wissen, wie richtige Werte aussehen, und ihr seid alle doof, ihr müsst das alles so machen, wie wir euch das erklären. Das machen die einfach nicht, die sind da zum Teil unbelehrbar. Und jetzt hat sich tatsächlich Biden mit Xi Jinping getroffen, so dass Bernie Sanders hofft, das war ihm wichtig, dass da eine andere Beziehung entsteht. Das zweite, da waren wir uns auch einig, war, dass wir im Nahen Osten jetzt an einer Gabelung stehen – entweder ein verheerender Flächenbrand oder es kommt zur Lösung des Nahost-Konflikts. Und das Dritte, was Russland und die Ukraine betrifft, da waren wir uns auch einig, dass wir den Trump nicht wollen. Der würde das auf seine Art lösen, und das geht nicht, deshalb müssen wir das vorher lösen. Dann hat Bernie Sanders noch gesagt, es wird ein ganz breites Bündnis in den USA geben, um Trump zu verhindern. Ich sag mal nur, hoffentlich gelingt´s. (schmunzelt).

MENSCH

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Wie viel Platz hat Menschlichkeit in der Politik?

Es gibt menschliche Gesten zwischen Mitgliedern der einen Partei und Mitgliedern der anderen Partei. Innerhalb der Partei viel zu selten (lacht). Über die Parteien hinweg sind das ja keine Konkurrenten, verstehen Sie, ich bin für den CDU-Mensch kein Konkurrent und er für mich nicht. Früher waren wir stark in der Frage der Solidarität bei Angriffen auf einzelne Leute in der eigenen Partei. Wir müssen wieder einen Weg zurückfinden zu dieser Solidarität.

Sie führen, auch in eigenen öffentlichen Formaten, viele Gespräche mit Menschen, die bekanntermaßen andere politische Auffassungen und Richtungen vertreten als sie selbst. Welchen Wert hat es, sich mit Andersdenkenden auszutauschen?

Ich bin neugierig. Ich möchte gerne wissen, warum jemand so viele andere politische Entscheidungen getroffen hat als ich. Was war in seinem Leben anders? Warum ist der Mathias Döpfner, den ich mal als Gast bei meinem Talk im Deutschen Theater hatte, der Chef des Springer Verlags, so erzkonservativ geworden und nicht links? Was war anders in seiner Kindheit, was war anders in seinem Leben? Deshalb mache ich das. Mit Künstlerinnen und Künstlern und Schriftstellerinnen und Schriftstellern sowieso gerne. Die haben ja eine ganz andere Lebensentscheidung getroffen, indem sie nicht apolitisch sind, aber niemals den Beruf einer Politikerin oder eines Politikers ergriffen hätten. Was muss man eigentlich können, um solche Entscheidungen zu treffen? Wie stellt man seine eigene Begabung fest?

Was haben Sie dazu in Ihren bisherigen vielen Gesprächen schon herausgefunden?

Es gibt ja das berühmte Peter-Prinzip bei den Männern, die immer den Job anstreben, den sie nicht können. Sie bleiben nicht auf der Ebene, die sie wirklich beherrschen. Das interessiert mich. An dem Podcast, den ich zusammen mit dem Freiherrn zu Guttenberg mache, ist ja interessant, dass wir – ich bin natürlich deutlich älter als er – beide schon in einem gereiften Alter sind. Da können wir uns über Dinge ganz offen unterhalten. Das gefällt den Leuten. Da ich 75 bin, habe ich ja nur noch fünf Berufe – Politiker, Rechtsanwalt, Moderator, Podcaster und Autor. Das reicht.

Mit wem macht es keinen Sinn, sich auszutauschen?

Schwierig ist es immer, wenn du als Moderator jemanden aus der eigenen Partei als Gast hast, dem du sehr nahe bist. Dann ist ja immer nur so ein, ja, ja, das sehe ich auch so, genau so sehe ich das auch … (lacht). Das langweilt die Leute natürlich ein bisschen.

Hier in Wiesbaden werden Sie im wohl feudalsten öffentlichen Gebäude der Stadt auftreten, dem Kurhaus. Fühlen Sie sich in einer solchen Umgebung wohl?

Ja also sagen Sie mal, das ist doch selbstverständlich, dass ich in den vornehmsten Häusern der Stadt auftrete (lacht). Dagegen habe ich gar nichts. Wissen Sie, das Praktische an mir, was auch alle meine Freundinnen und Freunde bestätigen, ist, ich komme in jeder Umgebung klar. Ich kann mich mit Obdachlosen gut unterhalten, ich kann auch bei denen sein, wo sie im Winter untergekommen sind. Ich kann aber auch mit Professoren diskutieren, mit Adligen, ich kann auch mit Handwerkern gut sprechen. Das liegt, glaube ich, an meinem Anwaltsberuf. Da hatte ich immer alle sozialen Schichten. Hochintellektuelle, ich habe aber auch einen Analphabeten vertreten. Den habe ich gefragt, was machen Sie denn auf dem Bahnhof, Sie können ja nicht lesen, wo der Zug hinfährt. Da sagt der zu mir, na und, ich habe doch einen Mund zum Fragen. Dabei lerne ich dann auch wieder, wie man mit solchen Situationen umgeht. Also das stört mich gar nicht. Ich kann in ganz billigen Hotels schlafen. Und es stört mich auch nicht in teuren, vor allem dann nicht, wenn es die anderen bezahlen. Nur ein Scherz!

Was bedeutet Luxus für Sie?

Wenn ich schön zu Abend esse, mich angenehm unterhalte, einen guten Wein trinke und weiß, dass ich am nächsten Morgen ausschlafen kann. Wenn ich weiß, dass ich am nächsten Morgen früh raus muss, kann ich mich nicht entspannen an dem Abend.

Ausschlafen heißt für Sie ungefähr welche Uhrzeit?

Das ist ganz unterschiedlich. Das hängt davon ab, wann ich ins Bett gehe, das ist sehr verschieden. Ich bin aber eben ein klassischer Spätzeitmensch, kein Frühzeitmensch. Deshalb mag ich Gespräche zum Frühstück nicht, da schweige ich lieber. Aber abends halte ich es dann wieder ohne Gespräche nicht aus.

Welchen materiellen Luxus leisten Sie sich?

Ich versuche, schönen Urlaub zu machen. Zum Beispiel fahre ich jedes Jahr eine Woche Ski, das ist mir wichtig. Und ich möchte gerne immer mit jemandem zusammen irgendein Land, eine Stadt, eine Gegend kennenlernen im Sommerurlaub, die ich bis dahin nicht kannte. Da bin ich relativ großzügig zu mir und zu der Begleitung. Ich weiß natürlich, dass es viele Menschen gibt, die sich das nicht leisten können.

Sie plagt dann aber nicht das schlechte Gewissen, wenn Sie sich etwas gönnen?

Wissen Sie, es gibt zwei Typen von Linken: Die einen fordern die Abschaffung der 1. Klasse  bei der Bahn, damit alle Menschen gleich 2. Klasse fahren. Ich bin ganz anders: Ich fordere die Abschaffung der 2. Klasse, damit alle 1. Klasse fahren können. Und es sich leisten können. Das ist der Unterschied.

Sind Sie ein Spieler?

Ja doch, also mit meiner Familie im Urlaub spiele ich gerne. Ich spiele auch gerne Skat. Im Schach bin ich eine Niete. Ich kann nicht achtzehn Züge voraus denken. Auch beim Spiel stellt man ja fest, wofür man geeignet ist und wofür weniger. Ich mag so eine Mischung, wo man ein bisschen nachdenken muss, aber es eben auch vom Glück abhängig ist.

Was sagen Sie als Fan und Vereinsmitglied: Ist Union Berlin noch zu retten?

Aber selbstverständlich! Ich werde Ihnen sagen, was passiert: Der 1. FC Union Berlin ist die erste Mannschaft, die es je geschafft hat, Real Madrid nach Berlin zu holen. Die haben noch nie in Berlin gespielt! Und da wird natürlich der 1. FC Union gewinnen, womit keiner rechnet. Und das gibt dann Auftrieb (lacht).

Und die Trennung vom Trainer geht in Ordnung?

Den Trainer Urs Fischer fand ich sehr gut. Aber wahrscheinlich war der dann selber geknickt. Wenn du so viele Niederlagen kassierst und kriegst den Dreh nicht hin – das Einzige war in Neapel das Unentschieden – dann entsteht wahrscheinlich so eine Hoffnungslosigkeit. Nun haben wir ja eine Co-Trainerin, die es in der 1. Fußball-Bundesliga bei den Männern noch nie gab, das ist doch mal ein Zeichen, nun auch einen Trainer – also schauen wir mal, was daraus wird. Manchmal können neue Leute einen neuen Zug reinbringen, dass ein neuer Wille entsteht. Die sind ja wahrscheinlich alle selber deprimiert, und man muss sie aus dieser Stimmung herausholen, damit sie wieder an sich glauben.

Gregor Gysi in Wiesbaden – sensor verlost Freikarten und Buch

Am 6. Februar 2024 kommt Gregor Gysi mit seinem neuen Buch und Programm „Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ ins Kurhaus Wiesbaden. Wir verlosen 3×2 Freikarten und 2 Exemplare des im Aufbau Verlag erschienenen Buchs – Mail mit Wunschgewinn, Antwort auf „Welche Frage würdest du Gregor Gysi stellen?“ und Postanschrift bis 02. Februar an losi@sensor-wiesbaden.de