Von Rebekka Farnbacher. Fotos Simon Hegenberg.
Eine Textzeile von Clueso lautet: „Es geht mir gut, wenn mich gute Musik geflasht hat, selbst bei schlechtem Wetter streift Sonne aus meiner Box über die Dächer.“ Nun kann man nicht leugnen, dass gute Musik ein überaus heikler Begriff ist, wenn es um ein allgemein gültiges Urteil geht, so wie es ebenfalls überaus heikel ist, ein Album mit „Gute Musik“ zu betiteln. Wir stürzen uns in die Musikszene der Wiesbadener Fußgängerzone. Und merken: die Aufgabe, „selbst bei schlechtem Wetter“ konsumorientierte und oft gehetzte Flaneure „zu flashen“, tendiert ins schier Unmögliche. Dennoch: ein paar interessante Künstler lassen sich entdecken.
Junge Streber, triste Einzelgänger
Sie sind unter 20, haben (teilweise) rosa gefärbtes Haar und rosa gefärbte Illusionen: Alina, Marius und Franca kennen sich aus der Musical AG, covern aktuelle Popsongs und wollen einmal groß rauskommen. Marius spielt Gitarre und wird stimmlich gerahmt von den beiden Mädels, die er lange zu der Performance hat überreden müssen. „Die Leute auf der Straße sind das härteste Publikum. Wenn jemand stehen bleibt und lächelt ist mir das mehr wert als die zwei Euro, die er mir vielleicht gibt“, so der 18-Jährige. Er selbst macht seit einem halben Jahr Straßenmusik, Gitarre spielen hat er sich selbst beigebracht. „Jede Übung zu nutzen, ist das Beste. Man sollte sich so schnell nicht abschrecken lassen“, erklärt Marius, der als „The Excessive“ auch eigene Songs schreibt. Die Spezialität des Trios: „Someone like you“ von Adele. Eine gefühlvolle Ballade, die immer gut ankommt. Können wir bestätigen: schöne Stimmen, der Gesangsunterricht zahlt sich aus. Als mir jedoch wegen einer Mücke das Auge zu tränen anfängt und ich nach dem Satz „So etwas ist für uns das allergrößte Geschenk“ aufklären muss, dass das nicht wegen vermeintlich ununterdrückbarer Gerührtheit geschieht, muss ich den Youngsters ihre Wunschvorstellungen leider ein Stück weit ausbremsen.
In der Langgasse werden wiederum wir ausgebremst: mitten auf dem Gehweg zwei Mikrofonständer, in der Halterung zwei Karotten. Von den Künstlern keine Spur. Nach kurzem Umsehen entdecke ich sie. Phoenix und Howard nennen sich „Street Rhythm“ und haben sich in Darmstadt beim Musizieren auf der Straße kennengelernt. Mit Bass und Gitarre spielen sie zum Großteil Reggae, covern Bob Marley und Harry Belafonte und sorgen damit für das lässige Sommer-Feeling, selbst bei wolkenbehangener Kulisse. In Wiesbaden spielen sie besonders gerne, weil die Regeln für Straßenkünstler nicht so strikt sind. Da Musik mit Verstärker aber auch hier verboten ist, gehört das Karotten-Mikro, wie der obligatorische Soundcheck nur zur Show.
Am Rathausplatz treffen wir auf Alex und sein Akkordeon. Fünfmal die Woche nutzt er die Straße als Bühne, am liebsten in der Altstadt. Aber er weiß um die Auflagen des Ordnungsamts: alle 30 Minuten muss der Standort gewechselt werden. Lieblingsplatz reservieren ist also nicht drin. Mit Gesang und Quetschkommode schafft er einen netten, wenn auch etwas trist-melancholischen Flair mit teils improvisierten Stücken, teils bekannten Klassikern wie „Volare“ von den Gipsy Kings. Doch selbst bei solch einem Gute-Laune-Garant bleibt das Schwermütige haften, der Bulgare ist kein wirklicher Publikumsmagnet. Je nach Akkordeon-Affinität reicht es aus, ihn aus der Ferne zu hören.
Auf der Nähe hingegen wollen jede Menge Passanten die fast zehnköpfige Combo hören, deren Musiker sich als Mitglieder des Landesjugendsinfonieorchesters Hessen entpuppen. Mit Pauke und Trompeten spielen die ungestümen Jungspunde so locker wie gut drauf los. Die können was, merken selbst Laien. „Da können sich andere eine Scheibe von abschneiden“, murmelt ein beeindruckter älterer Herr. Die Sammelbox füllt sich fix und auf die Frage eines Spenders, was sie mit den Münzen machen, antwortet einer: „Strafzettel bezahlen“. Mit Udo Jürgens´ „Vielen Dank für die Blumen“ verabschieden sie sich vom Mauritiusplatz und empfehlen sich zur „Zugabe“ in großer Besetzung am 29. April im Kurhaus, dann ganz ernst mit Mozart und Berlioz.
Die Masche mit dem Hang zieht
Eine ganz andere Anziehungskraft hat hingegen die Musik von Thorsten. Schon von Weitem ziehen uns die Klänge seines Instrumentes namens Hang an wie Esoteriker die Räucherstäbchen. Und selbst als Freunde schlagzeuglastiger Rockmusik müssen wir uns eingestehen: die Masche zieht. Die Stimmung, die das Stahlinstrument – dessen Optik an einen umgestülpten Wok erinnert – erzeugt, lässt unmittelbar entspannen und gefällt, ohne lästig zu werden. Von einem Grundton in der Mitte ausgehend, sind im Zickzack verschieden große Mulden auf der Oberfläche angeordnet, deren Anschlag eine Klangresonanz im Korpus erzeugt. „Die Musik drückt einen besonderen Knopf bei den Leuten, weil es als etwas Neues begeistert und nicht langweilt, wie das immer Gleiche“, erklärt der Freiburger, der nur durch Zufall in Wiesbaden spielt, weil er seine Familie in Hessen besucht hat. Das Instrument wurde vor 12 Jahren von zwei Schweizern entwickelt und ist nicht leicht zu bekommen. Der Interessent muss einen Brief an die Hersteller schreiben und sich vor Ort sein Einzelstück aussuchen. Thorstens Favorit ist eine Kombination aus arabischer und japanischer Stimmung, „dunkel und mystisch“.
Ein Wiesbadener Urgestein ist Oliver mit seiner Gitarre. Er singt Folk-Songs und bezeichnet sich als „absolut sangessüchtig“. Mit seiner Leistung geht er hart ins Gericht: Zwar mache er Musik seit seiner Kindheit und habe sich bei Stars wie John Mayer viel abgeschaut, aber er spiele zu schlecht Gitarre, um nur instrumental zu unterhalten. Auch mit seiner Stimme ist er nur selten zufrieden. Oft fliege sie ihm während eines Stückes davon oder aber sie versage vollständig, sodass er in der Regel nicht länger als eine Stunde spielt. Das hängt aber auch mit einem Problem seiner Stimmbänder zusammen, ohne dieses würde er das Musikmachen sehr gerne weiter ausbauen. „Ich mag es, in Wiesbaden zu spielen, weil die Leute mich hier kennen und mir verzeihen, wenn es mal ganz schlimm ist“, sagt der glatzköpfige Mittdreißiger. Wenn er austesten will, ob sein Misserfolg ihm oder seinem Publikum zuzuschreiben ist, geht er nach Mainz und versucht dort sein Glück. Und? Er habe festgestellt, es liege zur Zeit an ihm. Können wir nicht unterschreiben! Olivers Musik ist angenehm, lebendig und hat Groove. Trotzdem drängt er drauf, eine Entschuldigung an unsere Leserschaft zu veröffentlichen: „Es tut mir leid für all die Leute, denen ich mit meiner Musik auf den Geist gehe.“
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Straßenmusiker werden
Das Ordnungsamt Wiesbaden schreibt keine Anmeldung oder Genehmigung für Straßenmusiker vor. Voraussetzung ist, dass man ohne Verstärker spielt und alle halbe Stunde den Standort wechselt. Musiziert werden darf von 8 bis 20 Uhr, der Verkauf von CDs ist verboten. Eine Gruppe von mehr als sechs Personen muss beim Tiefbauamt angemeldet werden, um Stockungen auf der Einkaufsstraße zu vermeiden. Besonders laute Instrumente (wie z.B. ein Dudelsack) sollten nicht in Hauseingängen zum Einsatz kommen.
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Welche Erfahrungen macht Ihr mit Straßenmusikern in Wiesbaden? Welche Favoriten habt Ihr und bei welchen Musikern sucht Ihr das Weite? Oder macht Ihr selbst Straßenmusik?