Von Hendrik Jung. Fotos Hersteller.
Corona-Blues? Ja, aber … Die Kontaktbeschränkungen bringen viele nicht nur auf neue, sondern auch wieder auf eigentlich alte Ideen, die vielleicht etwas in Vergessenheit geraten sind: Gemeinsam spielen zum Beispiel. Wir haben besonders spannende für euch ausprobiert, manche davon auch made in Wiesbaden.
Die Branche boomt mehr denn je, von 20 bis 30% Umsatzsteigerungen allein im ersten Halbjahr 2020 wird berichtet. Zumindest im Familienkreis oder im engsten Freundeskreis können moderne Brett- und Kartenspiele dabei helfen, Isolation zu überwinden. Einige werden regional verlegt und entwickelt, manche machen die Pandemie zum Spiel – oder haben dies schon lange vor Corona getan.
Die Crew (Kosmos-Verlag, ab 10 Jahre)
Fehlt mal wieder jemand, um die Doppelkopf-Runde zu komplettieren? Dank dieses kooperativen Kartenspiels ist das zum Glück nicht mehr so tragisch. Schon ab drei Personen ist hier kluges Freispielen, Einstechen und Bedienen gefragt, für Notfälle gibt es eine Zweierversion. Eingebunden in die Geschichte einer Weltraum-Mission, bei der es den neunten Planeten unseres Sonnensystems zu entdecken gilt, müssen spieltaktische Aufträge erfüllt werden. Mal geht es darum, wer welche Karten in welchem Stich an sich bringen muss. Mal muss es gelingen, dass irgendjemand zumindest einen Stich mit der kleinsten Karte einer Farbe nach Hause bringt. Dann aber steigen die Anforderungen der Mission, und diese schwierige Aufgabe muss bei gleich zwei Einsern gelingen. Wie bei kooperativen Spielen üblich, sorgt der Zufall dafür, dass der gleiche Auftrag mal relativ einfach und mal fast unmöglich zu erfüllen ist. Daher stellt es hier auch kein Problem dar, die gesamte Reise oder einzelne Missionen immer wieder zu spielen. Nicht umsonst wurde Die Crew in diesem Jahr mit dem Kritikerpreis „Kennerspiel des Jahres“ ausgezeichnet.
Grand Hotel Abaddon (Kosmos-Verlag, ab 12 Jahre)
Die Adventure Games sind zurück. In der danach benannten Kosmos-Reihe ist nun ein Abenteuer erschienen, in dem mysteriöse Unglücksfälle in einem uralten Hotel zu ergründen sind. Da dies in Zusammenarbeit von bis zu vier Charakteren kooperativ in der Auseinandersetzung mit dem Spiel geschieht, kann man sich zur Not auch als Einzelspieler an die Aufgabe machen. Die Geschichte entwickelt sich aus Einträgen im Abenteuerbuch, die nach Befragung von Nichtspieler-Charakteren, der Untersuchung von Orten oder dem Einsatz von Gegenständen vorgelesen werden. Hat man sich aus dem zur Einführung gedachten Speisesaal einmal befreit, taucht man in eine schlüssige Handlung ein. Jeder Charakter hat zusätzlich zur allgemeinen Handlung noch ein persönliches Rätsel zu erkunden. Die Aufgaben sind anspruchsvoll, aber für Geübte nicht ausgesprochen kompliziert. Hat man sich doch mal verrannt, funktionieren die Hilfetipps gut. Auch wenn es nicht unbedingt Sinn macht, das Spiel noch einmal anzugehen, nachdem man die Geschichte erkundet hat, ist das Eintauchen in drei stimmungsvolle Kapitel à mindestens neunzig Minuten den überschaubaren Preis (ca. 12 bis 15 Euro) definitiv wert.
Ein Sommernachtstraum (Vertrieb Asmodee, ab 12 Jahre)
„Ihr alle schier, habet nur geschlummert hier und geschaut in Nachtgesichten, Eures eignen Hirnes Dichten“. So heißt es in der Komödie von Shakespeare. Die Adventure Game-Fassung aus dem neuen Revolution-Zyklus der Time Stories wird dem absolut gerecht. Wie von Zauberhand entwickeln sich traumhaft gestaltete magische Landschaften, die ohne großen Aufwand gewechselt werden können. Jedenfalls, was den Spielaufbau angeht. Im Spiel selbst kostet das Reisen Substanz und muss daher möglichst effizient geplant werden. Für Begegnungen mit Elfen, Einhörnern oder Wächtern wird hier nicht mit Abenteuerbuch, sondern ausschließlich mit Spielkarten gearbeitet. Insgesamt zeichnet sich der Revolution-Zyklus durch hohe Flexibilität im Spielgeschehen aus. Das Spielsystem ist besser gelöst als beim Time Stories-Grundspiel. Durch die Komplexität ergibt sich selbst nach gelöster Aufgabe der Reiz für ein Wiederholungsspiel. Letztlich lohnt der Preis aber auch für einmaliges Eintauchen in den Elfenwald.
Corona – Mit Eifer ins Geschäft (Vertrieb Lobby, ab 7 Jahre)
Dem blöden Virus endlich mal ein Schnippchen schlagen. Diese Gelegenheit bietet das Spiel, das die Wiesbadenerin Sarah Schwaderlapp entwickelt und das der ebenfalls hier heimische Designer Mustafa Kücük – von Gruenewaldt herrlich witzig gestaltet hat. Auf dem Spielbrett gilt es, Infizierten unbedingt aus dem Weg zu gehen, wenn man nicht in Quarantäne zuhause herumsitzen will, während die Gegner durch die Geschäfte flitzen. Schließlich gibt es für den netten Nachbarn viel einzukaufen. Neben Toilettenpapier, Seife und Desinfektionsmittel können auch Nudeln, Mehl und Süßigkeiten auf dem Einkaufszettel stehen. Nicht auszuschließen, dass einem eines der Geschäfte vor der Nase zumacht, weil es gerade keinen Nachschub gibt. Oder, dass der nette Nachbar anruft, weil er noch etwas zu bestellen vergessen hat. Ein Prinzip, das auch Grundschulkinder mit ein bisschen Hilfe schnell verstehen können, das aber trotzdem auch für Erwachsene ein flottes Vergnügen darstellt. Sympathisch, dass ohne Geld gespielt wird und auch Hamstern nicht belohnt wird.
Rafi** Roulette (Hillmer & Kadesch, ab 18 Jahre)
Ein Familien- oder auch Kumpelspiel für junge und junggebliebene Erwachsene haben die Wiesbadener David Hillmer und Philip Kadesch entwickelt. Dass Kinder mitspielen, ist hier nicht angedacht. Kein Wunder, ist der Grundgedanke doch vor gut einem Jahr entstanden, als noch niemand davon ausging, dass man seine Nächte nicht mehr in fröhlicher Runde in der Kneipe verbringen kann. Wenn einem dabei mal der Gesprächsstoff ausgehen sollte, ist der handliche Beutel mit Rafi** Roulette schnell greifbar – in den eigenen vier Wänden natürlich ebenso. Darin befinden sich Karten dreier Kategorien: Der Held, die Story und das Ding, aus denen es eine knackige Einminuten-Geschichte zu entwickeln gilt. Per Würfelwurf wird das Genre vorgegeben. Die schrägen Illustrationen von Philip Kadesch, der auch schon manches sensor-Cover gestaltete, sorgen in der Regel bereits für Heiterkeit. Wenn man dann noch den von den Peanuts entlehnten Karl Braun sowie als Gegenstand dessen Buch Kein Mampf zieht, stellt sich vielleicht die spannende Frage, warum man Hausverbot im Puff hat.
Pandemic Legacy Season 0 (Z-Man Games, ab 14 Jahre)
Schon lange bevor SARS-CoV2 dem Begriff Pandemie wieder aktuelle Bedeutung verliehen hat, konnten Fans von Pandemic bereits spannende Abende mit der kooperativen Bekämpfung von Viren verbringen. Von Anfang an haben dabei die übernommenen Charaktere Eigenschaften für ein Gelingen der gemeinsamen Mission eingebracht. So verfügt etwa der Wissenschaftler über Vorteile bei der Entwicklung des dringend erwarteten Heilmittels. Die Legacy-Variante setzt dem die Krone auf: Teile des Spielmaterials entwickeln sich weiter. Spielkarten erhalten durch Aufkleber zusätzliche Texte. Charaktere können Beeinträchtigungen erleiden oder Fähigkeiten gewinnen, die sie in darauffolgenden Partien der Kampagne beibehalten. Legacy Season 0 spielt nun mitten im Kalten Krieg im Jahr 1962. Die Sowjetunion hat eine Biowaffe entwickelt, weshalb bis zu vier medizinische Spezialisten zu CIA-Agenten ausgebildet werden. Am Ende eines Jahres mit zwölf aufwühlenden Abenteuern, wird jeder Charakter über drei Identitäten verfügen, darunter auch eine sowjetische. Ein Legacy-Spiel sollte stets in der gleichen Besetzung angegangen werden und kann tatsächlich nur ein einziges Mal gespielt werden. Dafür wird das erlebte Abenteuer allen Beteiligten aber noch lange im Gedächtnis bleiben.
Little Wizards (Green Gorilla, ab 6 Jahre)
Von Frankreich über Amerika nach Wiesbaden ist dieses Rollenspielsystem gelangt, das dazu gedacht ist, Kinder im Grundschulalter in die Faszination des freien Rollenspiels einzuführen. Für den deutschen Markt hat Michael Weber, auch bekannt als Kopf des „Creators Collective“, es übersetzt und den Verlag Green Gorilla gegründet. Zur Finanzierung der Produktionskosten läuft gerade sehr erfolgreiche eine Crowdfunding-Kampagne auf Gameontabletop Schon der Probedruck überzeugt nicht nur durch die zauberhaften Illustrationen. Auch die Münzwelt mit ihrer anmutig-hellen sowie düster-stürmischen Seite bietet eine verheißungsvolle Grundlage für selbst erdachte Abenteuer. Im Regelwerk enthalten sind drei Geschichten, die gut geeignet sind, um gerade Kinder in das Konzept einzuführen, so dass sie unter Anleitung eines Erzählers ihr ganz individuelles Abenteuer entwickeln. Sehr hilfreich ist dabei, dass jeder Charakter mit tierischer Begleitung unterwegs ist, die er jedoch nicht selbst spielt. Die Handlungen werden durch den Nebenmann übernommen, so dass allzu riskante Handlungen durch Aktionen des Begleittiers elegant entschärft werden können.
Noch mehr Spiele/n
Seine Begeisterung für Brett- und Kartenspiele teilt Sebastian Wenzel, hauptberuflich Pressereferent der Landeshauptstadt Wiesbaden, gleich doppelt. Auf dem YouTube-Kanal Spielama (www.spielama.de) rezensiert er zusammen mit Freunden Gesellschaftsspiele. Auf kulturgutspiel.de veröffentlicht er Artikel über Spiele und Spielkultur.
Mehr Infos zur Rafi Roulette findet ihr auf rafiroulette.de – liebe Grüße von Philip und David, den Machern.