Von Stefanie Pietzsch. Fotos Michael Zellmer.
Im aktuellen Food Report des Frankfurter Zukunftsinstituts heißt es: „Wir definieren uns über unsere Ernährung“. Klar, dazu gehört selbstverständlich auch Wein. Der kann aus dem Rheingau, der Mosel oder der Pfalz kommen, aus Frankreich, Portugal oder Italien importiert sein – wichtig scheinen eine gewisse Individualität und Besonderheit. Und Qualität. Wie wir erfahren haben, ist Aldi zwar der größte Weinlieferant, dem, wie auch anderen Discountern, Experten durchaus trinkbaren Wein für 2,99 Euro bestätigen. Defacto sind dies jedoch Massenfertigungen, die in riesigen Anlagen in weniger als einem Monat hergestellt werden. Von Kultur kann da im eigentlichen Sinne keine Rede sein. Sind es nicht die Bodenbeschaffenheit, das Klima, die „Handarbeit“ und Philosophie des Winzers, die dem Wein seinen besonderen Charakter geben und uns den individuellen Genuss? Also haben wir uns – vom Stadtzentrum aus im Uhrzeigersinn – auf den Weg gemacht, um zu testen, wie es um die Weinkultur in unserer Stadt heute steht. So viel vorab: Die Vielfalt ist groß, die Ideologien durchaus anspruchsvoll.
Balthasar Ress Weinbar & Vinothek, Mauergasse 10, Montag bis Samstag 12 bis 22 Uhr, Sonntag geschlossen. Tel. 0611 505 84 69; balthasar-ress.de/vinothek
In der kleinen schicken Vinothek im Stadtkern trifft man sich nicht nur zum Weingenuss. Leckere Snacks und hausgemachte Suppen stillen den Hunger zwischendurch. Bereits in der fünften Generation schreibt die Familie Ress Weingeschichte. Aber nicht nur das: Das Hattenheimer Krönenschlösschen war als Hotel- mit Gastronomiebetrieb lange in Ress’schem Besitz. Hattenheim ist bis heute Stammsitz des Weinguts geblieben. In der edel eingerichteten Wiesbadener Vinothek bietet das Traditionsweingut nicht nur Weine aus gutseigenen Rheingauer Lagen an; auch aus befreundeten Weingütern können Weine vor Ort verköstigt oder mitgenommen werden. Die Preise für ein 0,2-Glas Riesling fangen bei 4,70 Euro an. Die Flaschen zum Mitnehmen liegen über 15 Euro, die man sich übrigens auch frei Haus ins Wohnzimmer liefern lassen kann. Fazit: Nette, offene Atmosphäre bei feinen Köstlichkeiten – wenngleich etwas gehobene „Stadt-Preise“. Dass man sich diese leisten kann, zeigt man bei entsprechender Witterung auch gerne vor der Vinothek.
Weinveritas, Luxemburgplatz 5, Dienstag bis Freitag 11:30 bis 18 Uhr, Samstag, 12 bis 16 Uhr und immer, wenn jemand da ist. Tel. 0611 505 893 72; weinveritas.de
Seit August 2015 bringt Katharina Wegner portugiesische Weine an die Frau und an den Mann, die sie selbst in den Gebieten Bairrada, Dão oder Alentejo aussucht und importiert. Der Mitnahmepreis für eine Flasche fängt bei 7,50 Euro an, das Glas zum direkten Genuss bei 3 Euro. Selbstverständlich gibt es auch Portwein: ob unfiltrierten Vintage Port, biozertifizierten Ruby Reserve oder den „Präsident“ der Portweine, Colheita. Weinveritas ist aber nicht nur Weinhandel, es ist ein Concept Store, in den man gern hineinkommt und ungern raus geht. Ob handgeschöpftes Salz, Fischkonserven aus nachhaltigem Fischfang oder Öl aus Galegaoliven, hochwertige Tischwäsche, exquisite Keramik-Accesoires oder Herrenkosmetik aus dem Traditionshaus Barberia – hier fühlt, schmeckt und riecht man Portugal. Ein Erlebnis! Apropos: Zusammen mit ihrem Mann organisiert Katharina Wegner auch Events: Jeden ersten Mittwoch gibt es beim „After Work Wine Flight“ Weine mit abgestimmten Häppchen, an anderen Tagen Lesungen, Weinverkostungen mit Winzern und individuelle Kochevents. Fazit: Erlebenswert!
Vinotheke, Schiersteiner Str. 15, Montag bis Donnerstag 10 bis 19, Freitag 10 bis 20, Samstag 10 bis 17 Uhr. Tel. 0611 532 576 30; www.vinotheke.de
Das Rezept von Vinotheker Christopher Grootes lautet: „Bloß nicht zu verkrampft dran gehen“. Damit meint er den Wein und dessen Genuss. In Geisenheim Weinbau studiert, in Winzerbetrieben jahrelang praktiziert, gehen bei ihm seit Juni 2015 hauptsächlich deutsche Weine über die Theke. Sein Fokus gilt Weinen aus dem Rheingau, aus Rheinhessen, der Pfalz, der Mosel und der Nahe, die er direkt von den Winzern bezieht. Allen gleich sind zwei Dinge: Kleiner Ausstoß, wenig bekannt. Mit ein paar italienischen Roten, französischen Weißen und Champagner und einem Südafrikaner mit Rheingauer Wurzeln (Paul Barth) stehen in dem charmanten Eckladen, der seinen Charme und seinen Namen auch aus der Vergangenheit als Apotheke hat, 85 Weine zur Auswahl; ab 5,90 Euro. Ein besonderes Stöffchen ist die „Niersteiner Hölle“ aus 2012er Spätburgundertrauben, die 20 Monate im Holzfass gelagert wurden. Zum Probieren und Verkosten kommen Winzer regelmäßig vorbei. Und Sie? Spätestens zum Einjährigen! Fazit: Charmant in Stil und Beratung, schöne Weinauswahl, gute Balance zwischen Preis und Leistung.
Der Weinländer, Rüdesheimer Str. 21, Montag bis Samstag ab 18 Uhr, sonn- und feiertags geschlossen. Tel. 0611 97 42 601; der-weinlaender.de
Der Weinländer hat zwar feiertags geschlossen. Das bedeutet aber keinesfalls, dass Inhaber Frank Pauli nicht gern feiert. Im Gegenteil: Der erfahrene Vertriebler lädt regelmäßig zu Live-Sessions, Themenparties oder -Tastings ein; und das durchaus auch mal sonntags. Die Weinauswahl ist ein feiner Mix aus Rheinhessen, dem Rheingau, der Mosel, Italien, Frankreich und Spanien oder Südamerika – das Glas Weißwein ab fairen 3,80 Euro, die Roten ab 4,90 Euro. Zum Weingenuss im lauschigen Souterrain oder dem wunderschönen Bambusgarten davor gibt es hausgemachte Leckereien, die immer mal wechseln und Neues bieten. Aktuell kocht und serviert das nette Team zum Beispiel Flammkuchen, Kartoffelpfännchen oder orientalische Teigtaschen. Fazit: An diesem Kulturplätzchen treffen sich Freunde aus dem Rheingauviertel und feiern Leute aus der ganzen Region zu sehr gutem Wein – besonders fein, die aus Rheinhessen!
Canal du Midi Weinbar + Weinhandel, Blücherstraße 30, Montag bis Samstag ab 18 Uhr, Sonntag geschlossen. Tel. 0611 40 20 200; canal-du-midi-weinbar.de
Viele Jahre in Frankreich gelebt, schenkt Rainer Hefele seit elf Jahren französische Weine aus, die er alle selbst vor Ort probiert und importiert. Im ersten Leben Kameramann, legt der Weinkenner sein Augenmerk auf kleine, weniger bekannte Winzer und Weine, darunter auch Crémants und Champagner. Das Angebot wechselt. „So bleibt es für unsere Gäste spannend; sie lernen neue Weine, vielleicht unbekannte Trauben oder Regionen kennen.“ Ausgesucht sie zum Beispiel an der Rhône, dem Languedoc und Limoux oder an der Côtes de Thongue – insgesamt aus etwa 50 Regionen. Importiert ist übrigens auch ein Teil des Interieurs. An den original alten Table Fête lässt es sich ein bisschen wie Gott in Frankreich genießen: den Weißen ab 4,40, Rot ab 3,20 Euro oder einem der vielen Pastis; dazu einen Flammkuchen, eine Paté, etwas Fromage oder Charcuterie. Fazit: Erstklassige Weine zu moderaten Preisen – auch zum Mitnehmen für Zuhause. Besonderes Ambiente, in dem sich Jung und Alt von hier oder dort gerne trifft. Und im Sommer mit herrlichem Garten einer der schönsten Freiluftplätze des Westends.
Vinicus Gaumenfreuden, Seerobenstraße 32, Dienstag bis Freitag 11 bis 13 Uhr und 15 bis 19, Samstag 10 bis 15 Uhr. Tel.: 0611 98 85 856; vinicus.de
Erfahrener Sommelier und Kenner im Weinvertrieb: 2010 hat Martin Schmidt das Vinicus übernommen und schätzt es, „Gespräche mit Kunden direkt zu haben, Erfahrung weiter zu geben, Weine zu Gerichten zu empfehlen – kurz, helfen, das Leben zu genießen.“ Im Vinicus findet man Weine und Feinkost direkt vom Hersteller. Die Preisspanne für die Weine ist breit angelegt – von 5,40 bis 200 Euro – dafür der Inhalt fokussiert auf „weltweit nicht bekannt“, wie die rote Sorte Esmero aus dem Dourotal in Portugal. Portugal ist ein Herzblut-Gebiet des Sommeliers. Zudem hat er Freude an und im Verkauf Weine und aus dem Rheingau, der Pfalz, Frankreich, Spanien und Italien. Wer sich hier für eine Weinprobe mit Freunden entscheidet, wird diese im mediterraneren Ambiente mit Steinboden und Wandmalereien genießen. Dazu werden drei bis vier Gänge serviert und acht passende Weine verkostet. Wer sich die Weine nach Hause bringen lassen möchte, bestellt einfach im Kiezkaufhaus. Fazit: Qualität und Leidenschaft in schöner Atmosphäre.
Wingert Vinothek, Obere Webergasse 50, Montag bis Freitag, Sonntag ab 16 Uhr, Samstag ab 13 Uhr bis 20:30/22 Uhr. Tel. 168 865 55; wingert-vinothek.de
Er hat weltweit Winzer besucht und über Weine viel geschrieben. Er doziert an der Weinbau-Uni in Geisenheim und erntet im Herbst seine Trauben selbst. Seine Weinproben nennt er „Betreutes Trinken“, und vor seiner Vinothek ermahnt uns eine Tafel „Innocent grapes died for you“. Holger Schwedler ist für die Urbanisierung der Weine und bringt sie aus dem Rheingau und den „Rheingauer Randlagen“ – einen Begriff, den er selbst bestimmt hat – in die Stadt. In seiner Wingert Vinothek geht es um Weine, die eine Verbindung zur Region – ob im Ausland oder Inland – haben und Weingüter, deren Anbaufläche nicht größer als 10 Hektar ist. Die Preise für ein Glas sind mit 4 Euro trotzdem moderat, das Publikum zwischen Jung und Ü70 eher intellektuell und der Wunsch des Inhabers „Menschen und Ideen zusammenbringen“ – auch zur gemeinsamen Weinlese für den ersten eigenen Wein. Sonst schafft er das mit freien Lesungen, Akustikkonzerten oder Live Cooking auch sehr gut. Fazit: Ehrliche Weinbar mit Tiefgang, Ambiente und Charakter.
Außerdem Abstecher wert: Villa Vinum, Webergasse 30, Montag bis Freitag 10:30 bis 20 Uhr, Samstag 10:30 bis 19 Uhr. Tel. 0611 30 99 00; wiesbaden.villavinum.de Je nach Laufrichtung am Ein- oder Ausgang der Fußgängerzone gelegen, der Ort für genüssliches sehen und gesehen werden. Weincontor, Taunusstraße 5, Montag bis Freitag 11 bis 19 Uhr, Samstag 10 bis 16 Uhr, Tel 0611 174 6652, www.weincontor-wiesbaden.de Hans-Jürgen Becker und Simone Häuser beglücken ihre Kundschaft in angenehmer Atmosphäre mit bester Beratung und riesiger Auswahl vom günstigen Alltagswein bis zu raren Spitzenweinen – und mit einer Schaumweintheke mit vorgekühlten Champagner etc. für die spontan Feier. Art Bar, Blücherstraße 23. Kurz nach Redaktionsschluss hat die Fotografin Polina Baymakova-Koch ihre kleine feine Wein- und Kunstbar eröffnet. Ihr Motto: „Wein trinken und Kunst bewundern. Oder Kunst trinken und Wein bewundern? Wein, Foto, Kunst, Menschen. Alles mit Genuss! Komm‘ rein, sei mein Gast!“ Im Programm hat sie auch georgische Weine. Wir sind gespannt.