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Der Herausforderer – Simon Rottloff will in den Bundestag

SimonRottloff_(c)_SimonHegenberg

 

Von Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.

Ein neues Gesicht hängt auf Plakaten in der der ganzen Stadt. Simon Rottloff tritt als SPD-Bundestagskandidat in große Fußstapfen. Und kämpft gegen eine klare Favoritin.

Simon Rottloff, der am 22. September als Nachfolger von Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wiesbadener Bundestags-Direktmandat von Kristina Schröder zurückerobern will, hat schon gewonnen. Vorerst allerdings nur parteiintern. „Beim Nominierungsparteitag habe ich mich im ersten Wahlgang gegen zwei Mitbewerber durchsetzen können“, erzählt der 36-jährige, wie souverän er zum Amt des Bundestagskandidaten kam. Mit dem Amt des Bundestagsabgeordneten dürfte es um einiges schwieriger werden: „Ich bin nicht der Favorit, das weiß ich“, redet sich der bis vor kurzem in Wiesbaden noch völlig unbekannte Herausforderer seine Chancen gegen die amtierende Bundesfamilienministerin nicht übermäßig schön. Diese gewann den Wahlkreis 179 mit 40,8 Prozent der Stimmen. Und das gegen die so bekannte wie weithin beliebte Heidemarie Wieczorek-Zeul, die auf 32,6 Prozent kam. Der Neue redet seine Chancen aber auch nicht unnötig klein: „Ich spüre eine Stimmung in der Stadt, dass sich etwas ändern muss. Ich will dieser jemand sein, der dazu beiträgt, dass sich etwas ändert.“

Ändern muss sich aus Sicht des Gewerkschafters vor allem etwas in den Bereichen Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik und Familienpolitik – die Themen, in denen er sich am besten auskennt und über die er folglich am liebsten, ausführlichsten und detailsichersten spricht. Mindestlohn? Unbedingt, 8.50 Euro kann für ihn, gerade in Rhein-Main, nur ein Einstieg sein. Betreuungsgeld? Auf gar keinen Fall! Zwei Milliarden fehlinvestiert, könnte man besser in Kitas stecken. Flexible Arbeitszeiten? Wichtig, damit junge Eltern, Mütter und zunehmend auch Väter, mit veränderten Lebensgewohnheiten vernünftig am Arbeitsmarkt partizipieren können. Fachkräftemangel? Hausgemacht durch künstliche Arbeitsverhältnisse, die durch den Staat quersubventioniert werden. Vermögenssteuer? Ja, bitte! Und so weiter. Und so fort.

„Das soziale Gleichgewicht ins Lot zu bringen, ist für mich der wichtigste Punkt, mit dem ich im Wahlkampf antrete“, sagt der Kandidat und meint damit auch explizit die Stadt, für die er in Berlin sprechen will: „Es ist erschreckend, welche Zustände man in unserer reichen Stadt vorfindet an Armut. Allein 2100 Menschen gehen zur Tafel und sind auf Lebensmittel angewiesen, die sonst weggeschmissen würden. Die Schere geht immer weiter auseinander. Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht, sieht man das.“ 

Leid der Arbeitslosigkeit selbst erlebt

Ebenso ausführlich wie über seine politischen Ziele erzählt er ganz offen seine persönliche Geschichte: „Ich bin in die Gewerkschaft eingetreten, weil mich die Situation auf dem Arbeitsmarkt betroffen gemacht hat. Ich habe nach der Schule erst mal keinen Ausbildungsplatz gefunden. Es folgten Gelegenheitsjobs, Zeitarbeit und ich habe das Leid der Arbeitslosigkeit kennengelernt“, berichtet er von Verkettung ungünstiger Umstände: „Ich wollte nie arbeitslos sein. Das war eine relativ schlimme Zeit, voller Sorgen, wie Miete und Lebensunterhalt bezahlt werden.“ Nach 12 Monaten bei der Bundeswehr folgten weitere prekäre Beschäftigungen. Am 6. Juni 1997 – einige Daten wie diese hat er taggenau parat – war ein Aushilfsjob bei der Soka-Bau der erste Schritt seiner persönlichen Wende zum Guten. Dem Jobber wurde ein Ausbildungsplatz angeboten. „Manchmal muss man ein Quäntchen Glück haben, aber auch Fleiß gehört dazu“, sagt er rückblickend: „Heute würde mein Lebenslauf keine Personalabteilung mehr überzeugen. Viele Jugendliche heute kriegen einfach keine Chance, sich zu beweisen. Sie werden abgestempelt.“ Rottloff engagierte sich und war mit 28 Jahren Gesamtbetriebsratsvorsitzender.

Politik über die Überschrift hinaus

Als Bundestagskandidat geht es Rottloff nicht allein um Inhalte: „Ich will auch antreten für andere Politikformen“, sagt er und präzisiert: „Viele Entscheidungen sind nicht mehr nachvollziehbar, das muss man transparenter gestalten.“ Ihn stört es, dass Dinge nur noch auf Überschriften komprimiert würden: „Es wird immer nur berichtet, was entschieden wurde. Aber die wichtige Frage ist doch, warum Entscheidungen getroffen werden. Die allermeisten Themen sind komplexer, als sie auf den ersten Blich wirken. Politik hat die Pflicht, diese zu erklären.“ Deshalb will er näher bei den Bürgern sein: „Die Menschen wollen einen echten Ansprechpartner haben, nicht einfach im Fernsehen schauen, was die da machen. Wenn ich mit den Leuten direkt rede, können sie auch mal sagen `Was machst Du da für einen Scheiß,´ und dann können wir darüber sprechen. In den allermeisten Fällen lassen sich Probleme dann lösen oder zumindest nachvollziehbar erklären.“ Er wolle nicht von oben herab etwas sagen, sondern auf Augenhöhe mit den Leuten sprechen.

Gelegenheit dazu hatte und nutzte der überzeugte Kloppenheimer seit seiner Nominierung zuhauf. Der Lohn von bisher 290 Wahlkampfterminen und 7000 Hausbesuchen – „die Menschen freuen sich, wenn man an der Tür klingelt und sie merken, dass es Politiker gibt, die sich für sie interessieren“ – ist ein spürbar gestiegener Bekanntheitsgrad des Neulings: „Es ist ein ungewohntes Gefühl, wenn die Leute im Bus über einen reden, wenn man überall angesprochen wird: Du bist doch der Simon Rottloff. Ich stehe überall Rede und Antwort, für ein paar Minuten oder auch mal für eine Stunde.“ Er ist froh, dass seine Freundin, die er vor drei Jahren auf dem Weinfest kennenlernte und mit der er vor zwei Jahren auf dem Weinfest endgültig zusammenkam, ihn voll und ganz unterstützt. Ebenso die Frau, die er politisch beerben will: „Heidi ist absolut toll und unterstützt mich sehr. Sie ruft mich in regelmäßigen Abständen an und fragt, wie es läuft und ob sie irgendwo helfen kann. Es ist toll zu erleben, dass ein Generationenwechsel so gut funktionieren kann“, freut er sich über die Unterstützung der 70-jährigen: „Als Nachfolger von Heidi Wieczorek-Zeul trete ich in große Fußstapfen. 25 Jahre gehen natürlich nicht spurlos vorbei. Mir ist klar, dass ich an ihr gemessen werde, aber genau so will ich mein eigenes Profil entwickeln.“

Selbst für all jene, die all das, was er zu sagen hat nicht überzeugt, hat Rottloff eine frappierende Argumentationskette parat: „Mit meiner Wahl als Direktkandidat nutzen die Wiesbadener auch die Chance, gleich doppelt in Berlin vertreten zu sein. Kristina Schröder ist über den Listenplatz abgesichert, ich komme nur nach Berlin, wenn ich tatsächlich das Direktmandat gewinne.“

Am 15. September veröffentlichen wir auf www.sensor-wiesbaden.de ein Special zur Bundestags- und Landtagswahl und stellen weitere Wiesbadener Kandidaten vor.