Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Samira Schulz.
Als Junge in Serbien geboren und aufgewachsen, als Frau in Deutschland heimisch geworden. „Zum Thema Transgender gibt es keine dummen Fragen“, sagt Niki. Und lässt sich deshalb nun als „lebendes Buch“ ausleihen – und ausfragen.
Nikola ist in Serbien ein Jungenname. In Deutschland heißen Mädchen so. „Als wenn es eine Vorahnung gewesen wäre“, sagt die zierliche junge Frau mit den langen schwarzen Haaren, die sich heute „Niki“ nennt. Geboren ist Niki 1986 als Junge. Dass sie eigentlich ein Mädchen ist, wusste sie schon früh. „Ich wusste aber auch, dass das irgendwie nicht normal ist“. In der Schule hielten manche Nikola für schwul. „Ich hatte immer die hübschesten Mädchen als Freundinnen“, sagt sie mit ihrem ansteckenden Lachen. In ihrer Familie war das aber kein Thema. Der serbische Vater und die deutsche Mutter nahmen es nicht zur Kenntnis. Und Niki behielt seine Gedanken für sich.
Erkenntnis mit 15: Es gibt noch andere wie mich
„Mit 15 hatte ich den ersten Computer und ging ins Internet. Ich war erstaunt, dass es da noch andere gab, die so wie ich waren.“ Noch immer gab es aber die Angst, sich zu outen, das Thema wurde verdrängt. Nach dem Abi trennten sich die Eltern. „Dann habe ich mal versucht, die Wahrheit zu sagen.“ Die Mutter nahm es zögernd, doch letztlich positiv auf. Der Vater aber weigerte sich, dieser Realität ins Auge zu sehen. Niki berichtet bewegt von der Szene, in der sie versuchte, ihm zu sagen, was Sache ist. „Er hatte ferngesehen. Er hat einfach weiter ferngesehen, nichts dazu gesagt, sich einfach weggedreht.“ Nicht so einfach – und das ist das Verhältnis bis heute geblieben. Aber Niki sagt heute: „Ich bin locker damit.“ Sie arbeitet in einer Coaching-Akademie in Darmstadt, nutzt ihre Erfahrungen sowohl als Grenzgängerin zwischen den Geschlechtern als auch als Angehörige einer binationalen Familie als Stärken.
Transgender-Tücken auch im Pass sichtbar
Brücken bauen, Grenzen öffnen, das ist ihr ein Anliegen. Auch wenn der Transgender-Schritt kein leichter war – allein die vielen Gutachten, die nötig waren, die medizinische Behandlung, das Umschreiben des Passes – „im serbischen Pass hat das bis heute nicht geklappt“ – hat sie es durchgezogen. Dass eine solche Biographie bei vielen Menschen Fragen offenlässt, weiß Niki. Auch deswegen hat sie sich entschlossen, sich als „lebendes Buch“ diesen Fragen zu stellen. „Ich liebe selbst Geschichten. Ich erzähle auch gerne welche.“
Das Projekt „Lebende Bücher“ ist daher wie für sie geschaffen. Es findet zum ersten Mal in Wiesbaden statt, gefördert vom Kulturamt und unterstützt vom wif-Zentrum für Begegnung und Beratung.
Im Dialog ein eigenes Bild vom Gegenüber machen
„Living Library“ ist ein Konzept aus Dänemark – 2000 von der Nichtregierungsorganisation „Stop the Violence“ erstmals auf dem bekannten Roskilde Festival erprobt. Das Konzept fordert auf, sich in Form eines Dialoges ein eigenes Bild des Gegenübers zu machen. Die Wiesbadenerinnen Adriana Ruiz, Cristiana Moschini Dubois und Tatiana Vilgelmi haben es adaptiert und lassen es jetzt in der Mauritius-Mediathek stattfinden – mit dem Ziel, es als regelmäßige Veranstaltung zu etablieren. In Dr. Wolfgang Runschke, dem Leiter der Wiesbadener Stadtbibliotheken, fanden sie einen begeisterten Partner. „Er sagte, genau solche Veranstaltungen brauchen wir hier“, freut sich Tatiana Vilgelmi.
Alle möchten, dass man ihnen zuhört
So werden am 7. März zwischen den Büchern aus Papier auch 13 „menschliche Bücher“ auf die Leserschaft warten. Eines davon ist Niki. Die meisten bringen ihre Migrationsgeschichte mit, aus Ländern wie Syrien, Kenia, Russland, Marokko oder Armenien, Irak oder Burkina Faso. Dies soll aber gar nicht das bestimmende Element sein, meint Christiana Moschini Dubois. „Alle möchten, dass man ihnen zuhört und sie befragt.“ Jeweils eine halbe Stunde lang soll so ein Gespräch dauern, es kann über die Webseite im Voraus gebucht werden, aber auch spontan stattfinden. Das Team steht im Hintergrund bereit. Geschult und gecoacht wurden alle „lebenden Bücher“ – auch für den Fall, dass Fragen vielleicht zu intim oder gar unfreundlich werden.
Stell einfach deine Fragen – dann hast du weniger
„Dann kann das Gespräch auch abgebrochen werden“, sagt Tatiana Vilgelmi. Doch damit rechne sie eigentlich gar nicht, meint Niki. „Ich beantworte vieles, denn ich weiß, dass der Informationsbedarf gerade zum Thema Transgender schon ziemlich hoch ist. Da gibt es eigentlich keine dummen Fragen.“ Nur frech oder dreist solle es halt nicht werden. Aber Niki ist mit sich und ihrer Geschichte absolut im Reinen, wie auch die anderen zwölf „Bücher“. Schon die Kurzbiographien auf der von der Agentur 99grad und dem Fotografen Roger Richter gestalteten Homepage machen Lust, ausgiebig „reinzuschmökern“. Und wenn sich dabei gute Gespräche ergeben, die Vorurteile schmelzen lassen – dann ist das Ziel der Initiatorinnen erreicht: Miteinander zu reden statt übereinander. Oder, wie es Niki ausdrückt: „Stell einfach deine Fragen. Dann hast du weniger.“
„Mit lebenden Büchern im Dialog“, Samstag, 7. März, 10 bis 16 Uhr, Mauritius-Mediathek. Nach dem Prinzip einer Bibliothek können sich die Leser*innen 12 Bücher ausleihen und ihre Geschichten erfahren – nur, dass es sich bei diesen Büchern um lebende Menschen handelt. Menschen, die oft mit Vorurteilen, Stereotypisierung bzw. sozialer Ausgrenzung konfrontiert waren und dies zum Teil noch immer sind. All ihre Geschichten zeugen von Kraft und Resilienz, von Mut und Würde, von Verzweiflung und Hoffnung. Vom Leben eben …Alle Infos und Anmeldung: www.lebende-buecher.com. Spontane „Ausleihen“ sind, sofern nicht ausgebucht, auch am Veranstaltungstag möglich.