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Grenzen, wozu? Die junge Wiesbadener Designerin Viktoria Lorenz bringt neue Dimensionen in die Mode

Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Nele Prinz.

Was man mit Stoff machen kann! Einfach nur ein Kleidungsstück nähen, das ist Viktoria Lorenz‘ Sache nicht. Die junge Wiesbadener Designerin nimmt sich erst einmal den Stoff vor und lässt sich von Kunst inspirieren. Dann wird aus Leder, Leinen oder Wolle etwas Dreidimensionales, etwas, das Licht und Schatten einbezieht, das haptische Qualitäten hat und dies nicht nur, weil es glatt oder rau durch die Finger gleitet.

Hosen, Jacken, Mäntel … Kunstwerke!

Die skulpturalen Hosen, Jacken, Mäntel von Viktoria Lorenz sind nicht nur Unikate, sondern richtige Kunstwerke. Perfekt verarbeitet, nicht nur schick designt. Viktoria Lorenz stammt aus Wiesbaden und lebte mit ihrer Mutter einige Jahre in den USA. Dort wurde – konkret durch Raf Simons´ erste Kollektion für Dior im Jahr 2012 –  ihr Interesse an Mode geweckt. Und zwar nicht nur an schicken Klamotten zum Selbertragen, sondern an Mode als Thema.

Viktoria erstellte ein Album, das sie heute noch stolz vorzeigt. Darin hat sie Informationen und Fotos über Menschen aus Design und Fotografie zusammengestellt, über die wichtigsten Modemagazine, Models, einfach alles. In gestochen scharfer Schrift ist hier ein richtiges kleines Lexikon entstanden, das von echter Faszination und Leidenschaft für die Materie zeugt.

Von „ZERO“ inspiriert

Die zweite Inspiration kam aus der Kunst. „Meine Mutter ist mit mir ins Museum gegangen“, erinnert sich die Wiesbadenerin in ihrem Atelier mit Wohnung über den Dächern von Wiesbaden. Es befindet sich im gleichen Gebäude wie die Kaiser-Friedrich-Therme, Viktoria Lorenz genießt von hier aus eine wunderbare, inspirierende Aussicht.

Im Museum sah Viktoria Lorenz nicht nur Zweidimensionales wie Gemälde, sondern auch Kunstwerke, in denen zum Beispiel der Niederländer Jan Schoonhoven mit Pappe arbeitete und Lichteinfall und Schattenwurf berücksichtigte. „Das fand ich total faszinierend“, sagt die Kreative, die sich bald eingehender mit der Künstlergruppe „ZERO“ beschäftigte. In dieser war Schoonhoven zwar kein offizielles Mitglied, aber andere wie Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker, die ebenfalls mit Strukturen arbeiteten.

Nicht zu bremsen

Von „ZERO“ war Viktoria Lorenz dann endgültig zu eigenen Taten inspiriert und begann, sich zu überlegen, wie sie die Dreidimensionalität der Kunstwerke in Stoffe und Kleidungsstücke umsetzen könnte. Da habe sie noch kaum Ahnung vom handwerklichen Aspekt des Nähens und Schneiderns gehabt, erinnert sie sich. Erst einmal habe sie nur gezeichnet. Aber damals wie heute war sie aktiv, zupackend, mutig und probierte einfach aus. „Ich wollte mich nicht davon bremsen lassen, was praktisch machbar wäre“, sagt sie.

Mittlerweile war die Familie wieder zurück in Wiesbaden, und Viktoria stand vor dem Abitur. Doch sie suchte bereits Schneiderinnen, die ihre Entwürfe umsetzen konnten. Fündig wurde sie in Hamburg – und so wurde im Zug fürs Abi gelernt. Es folgte ein Modedesign-Studium und die erste Kollektion, inspiriert von den „ZERO“-Künstlern. Sie hat diese im vergangenen Jahr in den „ZERO“-Ateliers in Düsseldorf gezeigt – vor begeistertem Publikum.

Spektakulär skulptural

Die skulpturalen Stücke sind spektakulär, das Farbspektrum reicht von Weiß über Beige und Silber bis Schwarz. Farbig ist nichts, das würde nur von den Stoff-Experimenten ablenken, die Viktoria und ihre Schneider-Kolleginnen geschaffen haben: Da wird ausgeschnitten und gestanzt, raffinierte Falten in die Stoffe gebügelt, Federn auf einen Hut so gesetzt, dass dieser aussieht wie ein Nagelbild von Günther Uecker.

Stoffe werden so abgesteppt, dass sie eine kleinteilige Struktur haben, die zum Leben erwacht, wenn sie getragen werden. Leder wird silbrig besprüht und mit kleinen Rechtecken beklebt. Und eine schwarze Lederhose ist mit tausenden kleinen Monden verziert, nicht bedruckt, sondern tatsächlich aufgenäht, und zwar in jeder Mondphase: Auch dafür gibt es ein direktes Vorlagenbild.

Haute Couture und Erschwingliches

Die Kleidungsstücke sind Unikate, die Techniken, in denen sie gearbeitet sind, reine Haute Couture. Doch Viktoria Lorenz hat auch einen kleinen Shop, den sie noch ausbauen will und in dem es erschwingliche Teile gibt, natürlich ebenfalls von Kunst inspiriert. Bisher im Angebot sind allen voran die beiden äußerst kreativen Rucksäcke, die man einfach sehen muss, aber auch T-Shirts mit Cut-Outs mit künstlerischen Einblicken.

Die Designerin, die auch ihr einprägsames „VL“-Logo selbst entworfen hat, ist in Wiesbaden noch ganz anders präsent: Sie hat die „Arbeitskleidung“ der Belegschaft des neuen Museums Reinhard Ernst designt. Auch dort ist sie einfach hingegangen und hat ihr Können und ihre Ideen vorgestellt. Und es hat geklappt. Vielleicht ließe sie sich auch mal von der dort präsentierten Kunst inspirieren, sagt Viktoria Lorenz.  Mack, Piene und Uecker hängen ja schon mal auch in der Kollektion Ernst.