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Die Diskurs-Verteidiger – mit Inhalten statt Parolen: „Moment mal!“ macht mobil für die offene Gesellschaft

 Von Falk Sinß. Fotos Samira Schulz, Marta Krajinovic, privat. 

Die offene Gesellschaft ist bedroht – so stark wie schon lange nicht mehr. Rechtsextreme Gruppen wie Pegida oder Teile der AfD wollen sie zu Grabe tragen. Mit vermeintlichen Tabubrüchen, enthemmter Sprache und plumper Hetze gegen Flüchtlinge, Politiker und alle, die nicht ihrer Meinung sind. Sie versuchen, den öffentlichen Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben. Eine Gruppe von Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger möchte weder den öffentlichen Diskurs noch die Bürgerhäuser der AfD überlassen und hat sich deshalb unter dem Namen „Moment Mal! Aktion für eine offene Gesellschaft“ zusammengetan.

Die Mitglieder kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen und Spektren – aber: „Uns eint, dass wir die Mobilisierung der AfD und der mit ihr  verwobenen fremdenfeindlichen Gruppierungen als ernstzunehmende Bedrohung der Demokratie wahrnehmen“, sagt Manuel Wüst.

Die  AfD sitzt seit der letzten Kommunalwahl auch in Wiesbaden in der Stadtverordnetenversammlung – mit einer noch neunköpfigen Fraktion. Zwei der ursprünglich 11 Mitglieder haben die Fraktion schon wieder verlassen. Dabei versuchte die AfD in Wiesbaden bislang, sich in der Öffentlichkeit moderater und bürgerlicher zu geben als weite Teile der übrigen Partei. So wurde nach Bekanntwerden rechtsradikaler Äußerungen der angestellte politische Referent Klaus-Peter Kaschke entlassen und gegen das Parteimitglied Aleksej B. ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Erika Müller verzichtete nach Berichten über Menschenverachtendes, das sie bei einem Empfang von sich gegeben haben soll, „aus gesundheitlichen Gründen“ auf die Wahl zur stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteherin und hat inzwischen unbemerkt ihr Mandat ganz niedergelegt.

Auch Wiesbadener AfD lässt ihr moderate Maske fallen

Vielleicht nur Einzelfälle, doch diese häufen sich. Patrick Pana etwa, Schriftführer der Jungen Alternative Wiesbaden, berichtete laut Frankfurter Rundschau auf Twitter stolz vom Besuch der Winterakademie des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik, fiel bis zur Löschung seines Accounts durch Nähe zur vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung auf. Der ehemalige AfD-Stadtverordnete Wilfried Lüderitz verließ die Wiesbadener Fraktion aufgrund der „fehlenden klaren Abgrenzung zur innerparteilichen Radikalisierung“ zur Bundespartei – inzwischen hospitiert er im Rathaus bei der FDP. Robert Lambrou, mittlerweile auch Landessprecher der AfD Hessen und Landtagskandidat, sorgte kürzlich während einer unsäglichen Rede zum AfD-„Schweinefleisch in Wiesbadener Schulen“-Antrag im Rathaus mit rassistischen Passagen für heftigste Proteste.

Antworten auf drängende Fragen demokratisch entwickeln

„Wir wollen die offene Gesellschaft gegen die Angriffe der völkisch-nationalistischen Bewegung verteidigen“, erklärt Manuel Wüst das Ziel der „Moment mal!“-Initiative: „Wir sind davon überzeugt, dass die Antworten auf die drängenden Fragen unserer Gesellschaft nur in kooperativen demokratischen Prozessen entwickelt werden können.“ Die Basis hierfür seien allgemeine Menschenrechte, faire inklusive Institutionen und Respekt für die Vielgestaltigkeit des Lebens.

Das erste Mal trat die Gruppe am 1. März öffentlich in Erscheinung, während die AfD ihren letzten Themenabend im Hilde-Müller-Haus veranstaltete. Als Reaktion auf Äußerungen des baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der Stolpersteine als „Erinnerungs-Diktatur“ bezeichnet hatte, erinnerte „Moment Mal!“ an die Opfer des Nationalsozialismus und hielt Mahnwachen an vier Stolperstein-Standorten im Rheingauviertel ab. „Die Stolpersteine bewahren vor dem Vergessen und sind Aufforderungen zum Gedenken. Dieses Gedenken wachzuhalten, bleibt eine Verpflichtung, von der wir uns durch nichts und niemand abhalten lassen“, sagt Claudia Sievers. „AfD-Politikern wie Wolfgang Gedeon, oder auch Björn Höcke, geht es um nichts anderes, als um eine perfide und grundlegende Umdeutung des Gedenkens an die nationalsozialistische Vernichtungspolitik“, ergänzt Georg Habs. „Dem stellen wir uns entgegen.“

Hochkarätige Redner

„Moment Mal!“ setzt dabei vor allem auf inhaltliche Veranstaltungen, möglichst dort, wo die AfD Präsenz zeigen will. So wird die erste eigene Veranstaltung im Hilde-Müller-Haus stattfinden, wo die AfD erfolglos versuchte, ihre monatlichen Themenabende zu etablieren (diese finden fortan im „Haus der Vereine“ in Dotzheim statt). Der renommierte Politikwissenschaftler Samuel Salzborn wird auf Einladung von „Moment mal“ am 25. April einen Vortrag zum „Angriff der Antidemokraten –  Die völkische Rebellion der Neuen Rechten“ halten. Anschließend sollen auf dem Podium Gegenstrategien diskutiert werden. Weitere Veranstaltungen mit dem Journalisten Marcus Bensmann vom Recherchenetzwerk Correctiv und der US-amerikanischen Philosophin und Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam, Susan Neimann, werden im Juni folgen.

Auszüge aus der Selbstbeschreibung der Initiative „moment mal“:

„Menschenfeindliche Äußerungen dürfen nicht unbeantwortet bleiben, sie sind ernst zu nehmen und mit Nachdruck zurückzuweisen. Rassistische und antisemitische Grenzverletzungen müssen Konsequenzen haben. Erst hetzen und dann die verfolgte Unschuld spielen – es gilt, dem Wolf AfD den Schafspelz zu entreißen.

Wir wenden uns an die Wiesbadener Stadtgesellschaft.
Ein bestimmter Prozentsatz an Wählerinnen und Wählern der AfD weiß durchaus, was diese Partei ihnen bietet – manche Menschen wollen hassen. Solche autoritären Charaktere verachten die Grundlagen der offenen Gesellschaft. Diese Menschen werden wir nicht erreichen. ­
Verhindern wollen wir aber das Ausufern der Wählerschaft der AfD in Milieus, die die Wahl der AfD als einen Denkzettel gegen Nichtbeachtung im politischen Prozess fehlinterpretieren oder die sich von der inszenierten Rebellion gegen „die Eliten“ angezogen fühlen.
Und wir wollen jene unterstützen, die sich mit rechten Wutbürgern und AfD-Sympathisanten in ihrem Alltag, am Arbeitsplatz, auf dem Wochenmarkt oder in der Kneipe konfrontiert sehen und deren agitatorischen Sprachspielchen, ihren vermeintlich mutigen „Tabubrüchen“ und deren geraunten Verschwörungsphantasien wirkungsvoll etwas entgegensetzen wollen.
Ganz ausdrücklich wenden wir uns an all diejenigen, die in ihren Organisationen, Verbänden oder ihrer parlamentarischen Arbeit nach gangbaren Wegen suchen, die Demokratie-gefährdenden AfD-Narrative zu dekonstruieren, und ihnen Narrative einer offenen Gesellschaft entgegenzustellen.
Wir wollen Zeichen setzen und intellektuelles Rüstzeug bereitstellen.“

www.facebook.com/MomentmalWi/

9 responses to “Die Diskurs-Verteidiger – mit Inhalten statt Parolen: „Moment mal!“ macht mobil für die offene Gesellschaft

  1. Es ist schon schwer zu verstehen, wenn in einer Demokratie versucht wird, eine zur Wahl zugelassene Partei unter dem Deckmantel der Demokratie zu verhindern. Soweit mir bekannt ist, steht die AfD zur freiheitlich-demokratischen-Grundordnung und wird NICHT vom Verfassungsschutz beobachtet! Die AfD hat sich auch nicht in Kommunal- Landes-Parlamente oder gar in den Bundestag geputscht.
    Eine gefestigte Demokratie muss auch extreme Meinungen beispielsweise der KPDML der der NPD aushalten. Diese beiden Parteien haben unseren Staat nicht gefährdet, Auch extreme Meinungen und erst Recht die der AfD muss eine Demokratie aushalten!
    Bei vielen Aktionen gegen die AfD beschleicht mich mehr und mehr das Gefühl, das die Beteiligten solcher Aktionen – meist Politiker der etablierten Parteien und ihnen nahe stehende Gruppierungen – den Einzug der AfD in die Parlamente stoppen wollen, weil es ausschließlich um ihre Posten geht.
    Im Übrigen bleibt mittlerweile feststellbar, das jeder Meinung gesellschaftlich akzeptiert wird, solange sie nur weit genug links ist!

  2. “Moment mal!” macht mobil für die offene Gesellschaft

    „Moment mal“, was ist wenn mir das alles zu „bunt“ und „offen“ ist?

    Für meine Familie, Kollegen, Nachbarn und Freunde hat nach intensivem Nachfragen die offene Gesellschaft KEINE Vorteile, im Gegenteil vielfach wurde über negative Auswirkungen berichtet.

    1. Sehr geehrter Herr Dr. Richter,
      wenn Sie sich in einer pluralistischen und offenen Gesellschaft so unwohl fühlen, dann sollten Sie vielleicht überlegen, auszuwandern. Es genügend totalitäre und ethnisch homogene Länder mit starken Grenzkontrollen, zum Beispiel Nordkorea.
      Meine Familie, Nachbarn und Freunde genießen es übrigens, in einem Land zu leben, in dem zumindest für die meisten die Übereinkunft gilt, dass jede/r angstfrei und in Vielfalt anders sein darf.

      1. Sehr geehrte Frau Sievers,

        mit Verlaub, warum sollte ich der hier geboren ist und immer hier gelebt hat, auswandern?
        Wir müssen auf gar keinen Fall die „halbe Welt“ bei uns aufnehmen, so das man sich in der eigenen Heimat fremd fühlt. Ein türkischer Freund und Studienkollege findet dazu ganz andere klare Worte, die hier leider nicht Zitierfähig sind.
        In dieser „pluralistischen und offenen Gesellschaft“ werden mittlerweile jüdische Mitbürger am hellichten Tage in Berlin auf offener Strasse angegriffen.
        Auf solch eine „pluralistische und offene Gesellschaft“ kann ich sehr gerne verzichten und zum Glück stehe ich mit dieser Einstellung nicht alleine.
        Apropos Angstfrei: Vielleicht ist es ihnen entgangen, aber viele Frauen gehen Abends nicht mehr aus. Feste/Weihnachtsmärkte haben geringeren Zuspruch. Betonsperren schützen dieselben.

  3. Als Besucher der Veranstaltung sehen sie mich enttäuscht. Eine Diskussion kam nicht wirklich zu Stande, das Publikum konnte überhaupt keine Fragen stellen, die Antworten auf gestellte Fragen waren dürftig.
    Selbst Herr Dr. Wilk scheiterte mit seinem Versuch eine Diskussion in Gang zu bringen.
    Eine Strategie gegen die AfD war noch nicht einmal Ansatzweise zu erkennen.
    Fazit: Ein vertaner Abend und schade um die Zeit.

    1. Sehr geehrter Herr Wisker,
      es tut uns leid, wenn Sie von der Veranstaltung enttäuscht sind. Man kann es eben nicht immer jedem recht machen – andere waren sehr angetan und gingen mit vielen Anregungen nach Hause. Ich bin auch nicht Ihrer Meinung, dass keine Strategien gegen rechtsextreme Bewegungen im allgemeiden und die AfD im besonderen zu zu erkennen waren.
      Dass keine Diskussion „zustandekam“ lag an dem Format des Abends: es war angekündigt als Lesung und Podiumsgespräch. Wir haben uns nach langer Diskussion für dieses Format entschieden und dies vorher auch so kommuniziert.
      Ob wir dieses Format beibehalten oder beim nächsten Mal in die offene Diskussion gehen, werden wir noch entscheiden. Beide Formate haben Vor- und Nachteile.
      Vielleicht erfahren Sie bei unseren nächsten Veranstaltungen mehr über die Themen, die Ihnen persönlich am Herzen liegen: https://momentmal.org

  4. Ich bin noch dabei, mir über die AfD mein eigenes Bild zu machen und da ich in der Nähe des Hilde-Müller-Hauses wohne, habe ich sowohl den gestrigen Vortrag als auch den Vortrag von Guido Reil vor etwa zwei Monaten besucht. Für eine Demokratie finde ich es gut, wenn beide Seiten miteinander reden. Ich selbst würde mich eher als „liberal / mittig“ bezeichnen und stehe quasi zwischen den Fronten in einer sich offenbar spaltenden Gesellschaft.
    Unabhängig von den Inhalten beider „Lager“ muss ich jedoch feststellen, dass bei der AfD-Veranstaltung sowohl politisch Andersdenkende zugelassen wurden und diese sogar am Ende Frage stellen durften. Herr Reil musste sich also kritischen Fragen stellen. Gestern war dies nicht der Fall, was ich schade finde. Wie kann man denn glaubhaft die Konfrontation mit einer Partei suchen, aber das Gespräch nicht führen wollen? Eine Diskussion trägt in der Regel zu mehr Verständnis bei, muss es aber nicht unbedingt. In jedem Fall ist es Teil einer Streitkultur, der man sich stellen muss. Ich bin weiterhin unentschlossen, aber muss zugeben, dass ich der AfD kein undemokratisches Verhalten vorwerfen kann. Wenn ihre Argumente so schlecht sind, wie behauptet, sollten diese sich bei einem offenen Gespräch leicht widerlegen lassen. Dazu wünsche ich mir mehr Mut, denn so ist es sehr einseitig und fördert keine Demokratie.

  5. Zitat: „Wir wollen Zeichen setzen und intellektuelles Rüstzeug bereitstellen.“ Zitatende

    Interessant, davon war in der gestrigen Veranstaltung, der ich als Gast beigewohnt habe, noch nicht einmal im Promillebereich etwas zu erahnen, geschweige denn zu hören oder sehen.
    Wenn die AfD solch eine Bedrohung und Gefahr angeblich für die Gesellschaft darstellt, wieso ist dann die letzten Jahrzehnte eine solch katastrophale Politik betrieben worden?
    Die interessierten Besucher konnten keine Fragen stellen und eine Diskussion fand definitiv nicht statt.
    Was also war der Sinn dieser Veranstaltung und wo bleibt das angekündigte „intellektuelle Rüstzeug“?
    Hier wurden im Vorfeld Versprechungen gemacht die in keiner Weise eingehalten wurden. Hat man am Ende gar keine Argumente gegen die AfD?
    Alles Fragen die unbeantwortet geblieben sind.
    Ich bin enttäuscht.

  6. Durch Zufall sehe ich, das mehrere Gäste der oben genannten Veranstaltung berechtigte Kritik schriftlich geäußert haben.
    Der Kritik kann ich mich nur anschließen, keine Inhalte, keine Fakten, keine Diskussion.
    Die Überschrift ist ein Witz. Es müsste heißen … mit leeren Inhalten …
    Bitte verschonen sie die interessierten Menschen mit solchen Inhaltsleeren Pseudoveranstaltungen.

    Danke

    MfG

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