Von Sebastian Wenzel. Fotos Michael Zellmer.
Ginge es nach Helmut Schmidt, lägen Steve Hoffmann und Nico Becher längst im Krankenhaus. Der Altkanzler sagte einst: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Hoffmann lächelt über dieses Zitat. Er sagt: „Zum Arzt gehen Menschen, die Angst haben, zu sterben. Wer keine Visionen mehr hat, ist schon tot.“ Die Vision von Hoffmann und Becher ist eine Internetseite. Sie heißt „Wiesbadener Visionen“ und soll das kreative Leben der Stadt bunter, besser und bekannter machen. Interessierte finden auf dem Portal tollkühne Ideen, unbekannte Orte und kreative Netzwerke.
Von wegen „nichts los“
Hoffmann und Becher sind Macher. Sie denken nach über Menschen und die Stadt, in der sie leben. So wie viele andere Wiesbadener auch. So wie viel mehr Wiesbadener als man denkt. Da gibt es zum Beispiel die Schnippel-Party, initiiert von Talley Hoban, bei der Lebensmittel nicht im Müll landen, sondern im Kochtopf. Dort archiviert Torsten Hornung in seinem digitalen Museum die Geschichte der Stadt. Hier engagiert sich die Bürgerinitiative „Wiesbaden im Wandel“. Und in zahlreichen Facebook-Gruppen helfen sich tausende Bürger gegenseitig. Von wegen in Wiesbaden ist nichts los. Man bekommt es oft nur nicht mit. Hoffmann und Becher wollen das mit den „Wiesbadener Visionen“ ändern.
„Im Moment sind wir dabei, den Ist-Zustand zu dokumentieren“, sagt Becher. Welche Projekte gibt es? Welche Initiativen? Welche Netzwerke? Wer sind die Ansprechpartner? Später wollen Hoffmann und Becher auch Hilfe zur Selbsthilfe geben und verraten, wo und wie man Fördermittel beantragen kann. Langfristiges Ziel: Die Macher der Projekte sollen sich kennenlernen, vernetzen und Synergieeffekte nutzen.
Portal entstand über Nacht
Die Seite entstand im Januar 2014. Hoffmann und Becher besuchten damals den „Visionären Frühschoppen“, den sensor regelmäßig und mit großer Resonanz und Beachtung im und mit dem Walhalla veranstaltet – das nächste Mal übrigens nach einer ausgedehnten Pause am Sonntag, 27. September, von 12 bis 14 Uhr. Dort darf, neben den geladenen Visionären auf dem Podium, jeder in einer Minute seine Ideen präsentieren. Das ist inspirierend, interessant – aber oft nicht nachhaltig. Die Ideen wurden nicht dokumentiert. „Am Ende der Veranstaltung war allen Anwesenden klar, dass es irgendwie weitergehen musste, auch außerhalb des ,Visionäreren Frühschoppens’“, sagt Hoffmann: „Man spürte den Drang, sich weiter zu vernetzen. Dies war die Geburtsstunde der Wiesbadener Visionen.“ Zwei Nächte danach war das Portal im Netz und füllt sich stetig mit neuen Inhalten.
„Kultur in Wiesbaden – Wiesbaden ist Kultur“
Seit Kurzem gibt es einen eigenen Bereich für Kultur. Ins Leben gerufen wurde dieser zusammen mit Barbara Haker. Sie leitet das Theaterensemble Compagnie Lunel und moderiert die Facebook-Gruppe „Kultur in Wiesbaden – Wiesbaden ist Kultur“, die über 400 Personen gefällt. Für Haker war Facebook eine einfache Möglichkeit, sich ohne Programmierkenntnisse mit Kulturschaffenden zu vernetzen. Dabei steht die 40-Jährige dem Portal kritisch gegenüber. Wie gut, dass es auf den „Wiesbadener Visionen“ auch ein Forum gibt. Dort ist allerdings noch nicht so viel los. Es ist das klassische Henne-Ei-Problem: Ohne aktuelle Beiträge registrieren sich keine neuen Nutzer. Ohne neue Nutzer gibt es keine aktuellen Beiträge. Hoffmann und Becher hoffen, dass sich das in Zukunft ändert. „Es gibt noch viel zu tun, aber die Zugriffe steigen“, sagt Becher. Mitmachen darf und soll im Forum jeder. Das gilt auch für das Eintragen von neuen Projekten und Ideen. Jeder, der eine Vision für Wiesbaden hat, darf sie auf dem Portal veröffentlichen.
Becher und Hoffmann investieren in der Woche etwa zehn Stunden in das Projekt. Hauptberuflich arbeitet Becher, der für sein ehrenamtliches Engagement 2014 mit der „Goldenen Lilie“ ausgezeichnet wurde, als Fotograf. Hoffmann forscht im eLearning-Zentrum der Hochschule RheinMain und ist Mitorganisator des Barcamps „Researching Games“. Geld erhalten die Zwei durch das Portal „Wiesbadener Visionen“ nicht. Die Seite ist absichtlich unkommerziell und soll es auch bleiben. Arztrechnungen müssen Hoffmann und Becher also auch in Zukunft aus eigener Tasche bezahlen. Für die Beiden ist das in Ordnung. Hauptsache, immer mehr Wiesbadener haben Visionen – und machen sie bekannt.
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