Von Sebastian Wenzel. Fotos Arne Landwehr.
Markus Gabler umgarnt junge Mädchen. Das gehört zu seinem Beruf dazu. Er lockt die Schülerinnen mit Schuhen, Hosen, Jacken und Schaufensterpuppen. Er schmeichelt ihnen mit bunten Lichtern und wummernder Musik. Er schenkt ihnen einen Zauberspiegel und schießt damit Fotos von ihnen. Wenn die Jugendlichen sich darüber freuen, ist Gabler glücklich. Es zeigt ihm, dass er alles richtig gemacht hat.
Der Wiesbadener ist Architekt und erweckt Marken zum Leben. Er gestaltet im Auftrag von Großkonzernen deren Einkaufstempel. Er entwarf unter anderem die Läden von Neo. Adidas will mit der neuen Modemarke vor allem Mädchen zwischen zwölf und sechzehn Jahren begeistern. Gabler arbeitete aber auch schon für die Fifa, Pizza Hut, Converse, Lacoste, Levis oder Lego. Für den Klötzchen-Konzern entwirft er unter anderem den Vorzeigeladen im Disneyland Paris und baute das Geschäft in der Wiesbadener Fußgängerzone.
Bevor solche Unternehmen neue Läden eröffnen, suchen die Verantwortlichen bezahlbare Ideen. Zündende, ja fast schon brandheiße Einfälle finden die Führungskräfte unter anderem durch Wettbewerbe. Sie veröffentlichen eine Ausschreibung und Kreative aus der ganzen Welt reichen ihre Entwürfe ein. Dabei sollten sie sich exakt an die Vorgaben halten. „Bei Adidas Neo durfte der Quadratmeter Ladenfläche zum Beispiel nicht mehr als 1.200 Euro kosten“, sagt Gabler. Das ist wenig. Der Betrag versteht sich inklusive Bodenbelag, Decke, Farben, und Technik. Die Adidas-Chefs forderten außerdem ein Konzept, das sie in ganz Europa umsetzen können. Schließlich haben sie mit Neo Großes vor. Bis 2015 soll die Marke eine Milliarde Euro zum Gesamtumsatz des Konzerns beitragen. Der soll in den kommenden drei Jahren von zuletzt knapp zwölf auf 17 Milliarden Euro wachsen – auch dank der Ideen von Gabler.
Viele Standorte, ein Stil
Der Wiesbaden erhielt den Zuschlag für die Gestaltung der Neo-Läden. Zusammen mit seinen Mitarbeitern eröffnete er seit Februar unter anderem Geschäfte in Köln, Hamburg, Berlin, Stuttgart, Nürnberg und Frankfurt. Optisch ähneln sich alle Filialen. „Das ist extrem wichtig. Die Kunden sollen die Marke sofort erkennen“, sagt Gabler. McDonald’s hat das perfektioniert. Das goldene M leuchtet in Brasilien, Deutschland und Katar. Wer es sieht, weiß sofort, was ihn erwartet. Das wollen auch die Neo-Manager erreichen. Sie setzen an allen Standorten auf ein einheitliches Aussehen – vom Boden bis zur Decke. Die potenziellen Käufer treten überall auf eine Polyurethan-Beschichtung. Die flüssige Masse verläuft automatisch und nivelliert sich selbst. Für wenig Geld entsteht so eine gleichmäßige Fläche, die nur wenige Millimeter dünn ist. Das ist ein Vorteil gegenüber einem vergleichsweise dicken Parkett. Ist der Boden zu hoch, passen schlimmstenfalls die Regale nicht mehr unter tiefhängende Decken.
Der Polyurethan-Boden sieht aus wie Beton. „Das verleiht den Läden ein industrielles Aussehen. Darauf stehen Jugendliche“, sagt Gabler. Zum Fabrik-Stil tragen auch die offenen Decken bei. Lüftungsrohre und Kabel sind nicht versteckt, sondern schlängeln sich unter der Decke entlang – das spart Geld und soll lässig aussehen. Genau wie eine weitere Spielerei, die sich Gabler ausgedacht hat: die Musikanlage. Jugendliche können daran ihr Handy oder ihren iPod anschließen. Jeder der mag, kann die Läden mit seiner Musik beschallen. Wer selbst zum Star werden will, kann die Bühnen nutzen, die es in jedem Neo-Geschäft gibt. Darauf sollen abends von Zeit zu Zeit Bands aus der jeweiligen Stadt rocken. Einkaufen wird zum Erlebnis. Wem das immer noch nicht interaktiv genug ist, der stellt sich samt Neo-Klamotten vor einen Zauberspiegel. Das Wunderwerk der Technik fotografiert die Freizeitmodels und veröffentlicht die Bilder auf Facebook. So erfährt die ganze Welt, wo die Hobbymannequins ihre neue Jacke voraussichtlich kaufen.
Tricks für mehr Umsatz
Damit die Jacke tatsächlich in der Einkaufstüte landet und nicht zurückgehängt wird, greift Gabler tief in die Trickkiste. Der Markenarchitekt weiß, wie man Kunden verführt. Folgende drei Kniffe funktionieren fast immer –bei allen Modemarken.
Erstens: Kein Gewinn ohne Schaufensterpuppen. Die tanzen, hocken und sitzen anders als ihr Name suggeriert nicht nur im Schaufenster, sondern im Idealfall auch im Innern. An den Kunststoffmenschen präsentieren Unternehmen ihre neuen Kollektionen als Gesamtkunstwerk. Verkäufer überzeugen Interessierte damit, wie fesch das grüne T-Shirt mit der gelben Hose aussieht. Auch Kunden, die einfach nur in Ruhe durch den Laden schlendern wollen, lassen sich von den Puppen inspirieren.
Zweitens: Kein Umsatz ohne Beleuchtung. Lampen rücken die Produkte ins richtige Licht. Strahlen sie die blauen Jeans an, blickt auch der Kunde automatisch darauf. Wichtig ist ein warmes, weiches und weißes Licht. Bunte Glühbirnen würden die Farben der Hosen, Röcke und Pullover verfälschen.
Drittens: Kein Erfolg ohne Stufentische. Sie stehen am Eingang und wachsen nach und nach in die Höhe – von etwa 40 bis zu 120 Zentimetern. Auf den Tischplatten präsentieren Filialleiter Sonderangebote und schaffen so erste Erfolgserlebnisse. Wer ein Schnäppchen findet, macht sich automatisch im Ladeninneren auf die Suche nach einem weiteren.
Praxis wichtiger als Studium
Gabler selbst hat in seinem Leben bereits zahlreiche Erfolgserlebnisse gefunden. Angefangen hat seine Karriere mit dem Architektur-Studium an der FH Mainz – und das, obwohl er Professoren und Dozenten nur selten sah. „Ich habe während des Studiums oft in Architekturbüros gearbeitet. Dabei habe ich mehr gelernt als in Vorlesungen oder Seminaren“, sagt Gabler heute. Nach dem Studium ging er 1995 nach Sydney. Nicht in irgendeine Klitsche, sondern in das Architekturbüro von Lawrence Nield & Partners, die sich für den Masterplan der Olympischen Spiele 2000 verantwortlich zeigten. Nach einem Jahr zog es Gabler zurück nach Wiesbaden. Er arbeitete bei Gresser Architekten und leitete hauptsächlich den Bau von Einfamilienhäusern. Im Jahr 2000 eröffnete ein Feuerwerk in Sydney die Olympischen Spiele und im Leben des Markus Gabler knallte es ebenfalls. Der Jeanshersteller Levis suchte jemanden, der eine vorhandene Markenarchitektur vom Reißbrett in die Innenstädte brachte. Eine Freundin empfahl Gabler für die Aufgabe. Der sagte zu, richtete in seiner Wohnung ein Büro ein, nannte sich GGP-Architekten und legte los. „Von Juni bis November war ich unterwegs, in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In fünf Monaten eröffnete ich 25 Läden“, erinnert sich Gabler. Das Projekt war erfolgreich, der Wiesbadener ab diesem Moment auch. Er stellte Mitarbeiter ein. Irgendwann quetschten sich zu viele Angestellte in das kleine Büro in seiner Wohnung. Gabler änderte seinen Standort und seinen Unternehmensnamen. Er zog 2004 mit seiner Mannschaft in die Wilhelmstraße 40 und firmiert seitdem unter dem Kürzel W40-Architekten. In den neuen Büroräumen entstehen nicht nur kreative Ideen, sondern stapeln sich auch zahlreiche Ordner. Darin sind die Gebrauchsanweisungen für Läden abgeheftet – Möblierungsvorschläge, Haustechnikpläne und Grundrisse.
Jeder Filial-Verantwortliche erhält eine Kopie der entsprechenden Ordner bei der Schlüsselübergabe. Darin kann er nachschlagen, wie die Musikanlage funktioniert, wo die Mitarbeiter-Toiletten sind und an welcher Wand der Sicherungskasten hängt. Damit steht einer Eröffnungsfeier fast nichts mehr im Weg. Für den Filialleiter und seine Mannschaft beginnt die Arbeit, für Gabler ist sie vorbei. Er kann sich auf die Suche nach neuen Kunden machen. Vielleicht umgarnt er in deren Auftrag das nächste Mal alte Männer.