Von Ida Schelenz.
Auf der anderen Seite des Atlantiks geht es im Moment hoch her. Am 8. November wird dort eine neue Präsidentin oder ein neuer Präsident gewählt, und beide Favoriten überbieten sich gegenseitig mit immer neuen Skandalen. Amerikaner aus Wiesbaden und Mainz sagen uns, wie sie darüber denken.
Jesse Crouse (20 Jahre, Foto oben) Seit zwei Jahren lebt Jesse mit seiner Familie in Wiesbaden. Geboren und aufgewachsen ist er in Austin, Texas, wohin er im Januar wieder zurückkehrt. Sein Vater arbeitet „irgendetwas streng geheimes“ bei der Army.
Sind in Amerika eigentlich alle verrückt? Es laufen zwar nicht alle mit ‘ner Pistole durch die Gegend, aber Spinner gibt es auf jeden Fall. An der Uni in Austin ist es seit neuestem auch erlaubt, eine Waffe zu tragen. Da haben die Studenten aus Protest alle Dildos mit auf den Campus gebracht. Die sind nämlich verboten.
Ist das politische System in den USA überholt? Auf jeden Fall. Korruption existiert nicht nur in Filmen und Serien. Das passiert wirklich! Wer mehr Geld hat, hat auch mehr Macht. Aber wenn die Leute Veränderung wollen, müssen sie trotzdem wählen gehen. Und nicht unbedingt für Trump oder Clinton. Es gibt auch noch andere Kandidaten, zum Beispiel Gary Johnson von den Liberalen. Die Leute glauben, eine Stimme für Johnson hat keinen Wert, weil in den Medien kaum über ihn berichtet wird, aber das stimmt nicht. Jeder sollte den Kandidaten wählen, den er für richtig hält.
Trump liegt in den Umfragen bei 45 Prozent. Woher kommt seine Popularität? Viele Wähler sind parteitreu. In Texas zum Beispiel wählen die Leute immer nur republikanisch. Und Trump spricht nur aus, was ein großer Teil der Bevölkerung sowieso denkt. Es gibt viele, die seine verrückten Ansichten teilen und ihn für einen Rebellen halten. In Deutschland ist man da rationaler. Die AfD ist zwar groß, aber persönlich kenne ich niemanden, der die unterstützt.
Was würde sich ändern, wenn Trump an die Macht käme? Bestimmt nicht die Apokalypse, vor der sich alle fürchten. Der Kongress trifft in Amerika ja alle wichtigen Entscheidungen. Die werden garantiert nicht einfach alle Mexikaner aus dem Land werfen.
Und wie gefällt es dir in Deutschland? Was mich nervt ist, dass ich immer zuerst gefragt werde, was ich studiere. Dabei studiere ich gar nicht, ich arbeite als Barkeeper und will mich später selbstständig machen. Diese Art von Lebensweg wird hier nicht sehr akzeptiert. Trotzdem werde ich eine Menge vermissen, wenn ich wieder zurück nach Texas gehe. Meine Freunde, das Reisen und das günstige Essen. Außerdem freue ich mich auf den Weihnachtsmarkt! Ist zwar kitschig, aber ich steh drauf.
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Abby Russell (24 Jahre) Abby studiert und lebt seit vier Jahren in Mainz mit ihrem Verlobten. Die Hochzeit ist nächstes Jahr geplant. Gebürtig ist sie aus West Virginia, doch ihre Eltern wohnen jetzt in Florida, wo sie sie noch oft besucht. In Deutschland fühlt sie sich wohl, jedoch fehlt ihr manchmal die amerikanische Herzlichkeit.
Was ist das größte Problem in den Staaten? Waffen. Es gibt einfach zu viele davon und es wird zu leichtsinnig damit umgegangen, auch bei der Polizei. Da ist die Politik gefragt. Aber es stecken natürlich Unmengen an Geld in der Industrie.
Warum hat Trump so viele Fans? Die Leute haben kein Vertrauen mehr in die Politik. Insofern gibt Trump ihnen, was sie wollen. Es gab noch nie einen Kandidaten, der das System so erschüttert hat wie er. Trump spielt nicht nach Regeln und die Leute finden das geil. Das System hat tatsächlich viele Schwächen und ich finde es gar nicht falsch, es infrage zu stellen. Allerdings nicht so.
Glaubst du, er hätte auch in Deutschland eine Chance, gewählt zu werden? Nein, das glaube ich nicht. In Deutschland herrscht ein größeres Politikverständnis. In Amerika gibt es an den Schulen keinen Politikunterricht, daher sind viele Menschen in dieser Hinsicht schlecht gebildet.
Wem würdest du deine Stimme geben? Bernie Sanders!
Meinst du Amerika ist bereit für seine sozialistischen Ideen? (lacht) Nicht weniger bereit als für Trump.
Betty und Ken Wunsche (73 und 71 Jahre)
Betty und Ken sind in den Siebzigern aus Texas nach Deutschland gekommen. Ihren deutschen Nachnamen verdanken sie Kens Vorfahren, die vor über hundert Jahren die umgekehrte Reise angetreten haben. Mit Rheinhessen verbindet sie heute zwei Kinder und fünf Enkel. Nummer sechs ist bereits unterwegs.
Macht ihr euch Gedanken um Amerika?
Wir sind ein zähes Volk und haben noch jede Krise überstanden.
Aber dass es Probleme gibt, lässt sich nicht leugnen. Zum Beispiel die viele Polizeigewalt.
Ja, das ist auf jeden Fall ein Problem. Ich war selbst als Soldat in Vietnam und weiß wie es ist, sich in einer lebensgefährlichen Situation zu befinden. Es ist wichtig, dafür ausgebildet zu sein. Meiner Meinung nach muss die Ausbildung der Polizei besser werden.
Viele Leute in den USA fürchten sich vor „Terror“ wie dem IS. Zu Recht?
Überhaupt nicht. Die haben doch nur so viel Angst, weil die Medien ständig davon berichten. Realistisch gesehen müssen wir uns keine Sorgen machen.
Worum sollte man sich denn Sorgen machen?
Zum Beispiel um die Spaltung in der Bevölkerung. Das Problem mit der Regierung ist, dass sie versucht, Menschen mit völlig unterschiedlichen Lebensrealitäten gleich zu repräsentieren. Dabei sind die Menschen aus dem mittleren Westen komplett anders als die in den großen Städten an Ost- und Westküste.
Ist daran auch das Wahlsystem schuld?
Ich finde unser System gut. Jeder Staat hat eine bestimmte Anzahl an Wahlmännern, wobei sie proportional nicht immer der Bevölkerung entsprechen. Das hat allerdings den Zweck, dass auch wenig bevölkerte Staaten gut repräsentiert werden.
Was haltet ihr von den Präsidentschaftskandidaten?
Bei Hillary Clinton weiß man nie, ob sie Dinge aus Überzeugung sagt, oder aus Strategie. Trump dagegen nimmt kein Blatt vor den Mund. Er sagt, was er und viele andere denken. Überzeugen kann uns aber keiner von beiden. Wir lassen es dieses Mal mit dem Wählen.
Was gefällt euch an Deutschland?
Rheinhessen gefällt uns sehr gut. Wir haben vorher schon in Frankfurt gewohnt, in Stuttgart, und in München. Aber am liebsten sind wir in Gaststätten und lernen Leute bei einem Glas Wein kennen. Da kommt man schnell ins Gespräch und macht neue Freunde.
VERANSTALTUNGEN ZUR WAHL
US Presidential Election Party im Club des Staatstheaters Wiesbaden
Der American German Business Club Wiesbaden – Mainz e.V. veranstaltet im Club des
Staatstheaters Wiesbaden an der Wilhelmstraße eine Election Party zu den US-Präsidentenwahlen. Von 21 h am Dienstag, 8. November bis in den frühen Morgen des 9. November wird gemeinsam die Live-Berichterstattung zu den Wahlen verfolgt, Schauspieler werden Ausschnitte aus der Constitution und andere Texte zum politischen Prozess in den USA lesen und Stücke aus dem Great American Songbook vortragen. Eine Anmeldung ist zwingend erforderlich, per E-Mail an wiesbaden-mainz@agbc.de oder per Registrierung auf http://events.agbc.de/public/event/showevent/id/729. Der Eintritt ist frei, Snacks &
Getränke können erworben werden, um eine Spende wird gebeten.
Der neue Mr. Tagesthemen diskutiert den Wahlausgang:
Der in Wiesbaden geborene und aufgewachsene Ingo Zamperoni (Foto: Arne Landwehr) war stets fasziniert von den USA. Er ist es heute noch – nun aber mit einem nüchternen Blick auf die Realitäten des Landes. Sein dortiges Studium und seine journalistische Tätigkeit – er war in den letzten Jahren ARD-Korrespondent in Washington, bevor er kürzlich seinen Job als Tagesthemen-Chefsprecher angetreten ist – haben ihm gezeigt: Vieles an Amerika kann man bewundern, etwa den ausgeprägten Altruismus oder die Innovationsbereitschaft. Seine Erfahrungen und Sichtweisen beschreibt er in seinem pünktlich zur Präsidentenwahl erschienenen Buch „Fremdes Land Amerika“, das er am 19. November in der Buchhandlung Hugendubel vorstellt und mit Wiesbadener Kurier- Chefredakteur Stefan Schröder direkt nach der Wahl diskutiert. sensor verlost 3 Exemplare: losi@sensor-wiesbaden.de