Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos).
Mende gut, alles gut? An diesem Samstag will die Wiesbadener SPD offiziell ihren neuen OB-Kandidaten küren – // UPDATE: Bei der Mitgliederversammlung wurde Gert-Uwe Mende offiziell zum OB-Kandidaten gekürt, mit 190 von 192 Stimmen, also fast 99 Prozent, bei der Wahl ohne Gegenkandidaten. Zur offiziellen Pressmitteilung der SPD geht es hier. // . Die übrigen Parteien kommen auch in Fahrt.
Der Schock war groß, als OB Sven Gerich an dem Tag, als er von seiner SPD erneut als Kandidat für die OB-Wahl am 26. Mai nominiert werden sollte, verkündete: Ich trete nicht mehr an. Folge einer, je nach Sichtweise und Interpretationsansatz, Schmutzkampagne oder Korruptionsaffäre oder beidem. Die SPD, die vor Beginn der Schmutzkampagne/Korruptionsaffäre/beides davon ausgehen konnte, mit einem OB Sven Gerich als OB-Kandidaten den Wahlsieg quasi in der Tasche zu haben, stand plötzlich ohne Kandidaten da. Und mit nur wenig Zeit. Diese wurde genutzt.
Eine Findungskommission hat Gert-Uwe Mende als neuen Kandidaten auserkoren. An diesem Samstag soll er von der Partei offiziell gekürt werden. „Gert-Uwe wer?“, fragen viele, ist der 56-jährige derzeitige Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion doch in der Stadtpolitik bisher weitgehend unbekannt. In der Stadtteilpolitik schon eher: Der verheiratete zweifache Familienvater, der im Kohlheck lebt, ist seit 2016 Mitglied im Ortsbeirat Dotzheim, seit 2018 Dotzheimer Ortsvorsteher.
„Mende bringt die Wende“ reimen und hoffen gebeutelte Wiesbadener Sozialdemokraten und reagieren geradezu euphorisch auf den Neuen. Mende gut, alles gut? Das wird sich zeigen.
GUM verkörpert einen anderen Typ
Die Entscheidung, mit dem gelernten Zeitungsredakteur GUM, wie ihn Parteifreunde nennen, einen Kandidaten ins Rennen zu schicken, der bisher fern vom Wiesbadener Rathaus und damit fern von dem agierte, was zur aktuellen Misere und Vertrauenskrise führte, dürfte aber nicht die blödeste sein. Und auch, dass er ein augenscheinlich ganz anderer Typ als der Noch-Amtsinhaber ist, kann in der aktuellen Situation wohl nicht schaden. Seine Themen hat er sofort gesetzt: „Zusammenhalt, Wohnen, Mobilität, Klimaschutz, Soziales und Bildung, Politische Kultur“, nannte Mende als Schlagworte, als er im Studio ZR6 erstmals der Presse präsentiert wurde. Auch wenn der designierte Kandidat, der dem Vernehmen nach aus einer Riege von ursprünglich etwa dreißig Bewerbern ausgewählt wurde, betonte, dass er natürlich noch keine komplette Agenda präsentieren könne, wurde er hier und da schon recht konkret.
Für die Citybahn – und für Bürgerentscheid
Beim Reizthema Citybahn etwa bekennt er sich persönlich klar zu einem „Pro“ („Ich halte sie für erforderlich und sinnvoll“), will die endgültige Entscheidung aber „den Bürgern der Stadt“ überlassen. Zunehmender Individualverkehr sei keine Lösung, ÖPNV müsse attraktiver werden. Die Frage der Geschäftsführer-Gehälter bei städtischen Gesellschaften müsse man angehen, „aber nicht populistisch, sondern mit Augenmaß und Sorgfalt“. Beim Thema bezahlbarer Wohnraum müsse die Stadt „noch einen Zahn zulegen“. Sehr deutlich machte Mende, dass ein ausdrücklich weltoffenes und vielfältiges Wiesbaden die Stadt sei, die er liebe.
Weltklima und politisches Klima verbessern
Der Sozialdemokrat, der ausdrücklich zu seiner ja insgesamt nicht mehr so schwer angesagten Partei steht, präsentiert sich gleich als doppelter „Klimaschützer“. Wenn er explizit den eigentlichen Klimaschutz als Schwerpunkt seines Programms nennt („Für mich gilt das alte Motto – global denken, lokal handeln“), will er sicher auch bei den Grünen und ihren Anhängern um Stimmen baggern, zumal sich dort bei vielen Sympathisanten die Begeisterung für deren OB-Kandidatin Christiane Hinninger spürbar in Grenzen hält. Das andere „Klima“, das Mende wieder verbessern will, ist das politische Klima der Stadt, das in den letzten Monaten sehr gelitten hat.
Wie hält er´s mit Sven Gerich?
„In diesem Wahlkampf wird es ganz zentral um Fragen der politischen Kultur gehen“, weiß der Mann, der antritt, weil sein Parteikollege Sven Gerich es nicht mehr tut. Ob er diesen in seinen Wahlkampf einbinden wird, wollte er bei der Pressekonferenz auf Nachfrage noch nicht beantworten. Spätestens seit dem Bekanntwerden des 1000-Euro-Weihnachtsessens auf Stadtkosten, das bei vielen Bürgern und auch bei vielen Angestellten der Stadt das Verständnis- und Geduldsfass zum Überlaufen brachte, dürfte es für Mende aber mindestens schwierig werden, mit dem Noch-OB im Schlepptau glaubwürdig als ein Mann des neuen Stils und des stärkeren sozialen Zusammenhalts in der Stadt aufzutreten.
Vielleicht wird bei diesem Thema auch der Parteivorsitzende ein Wörtchen mitreden. Dennis Volk-Borowski (Foto links) äußerte sich gegenüber der FAZ „stinksauer“ über die bekannt gewordene Weihnachtssause, zu der Gerich seinen Mainzer Amtskollegen Michael Ebling nebst Gatten eingeladen und mit städtischer Kreditkarte bezahlt hatte, und gab zu Protokoll: „Das ist keinesfalls angemessen, das ist unanständig.“ .
Der Bruder war OB in Celle
Für welchen Wahlkampfweg der „Neue“ sich auch entscheiden wird: Wie man Wahlen gewinnt, kann sich der aus einer sehr politischen Familie stammende Gert-Uwe Mende, dessen Vater einst Bürgermeister in Bebra war, von seinem Bruder Dirk-Ulrich erzählen lassen: Der wurde 2009 zum Oberbürgermeister von Celle gewählt. Überraschend. Auch per Facebook hat er seinem „Bruderherz“ zur geplanten Nominierung gratuliert.
Fünf weitere Kandidaten im Rennen
Bei der CDU ist man froh, dass man ihrem Kandidaten Eberhard Seidensticker seitens der SPD kein allzu bekanntes Gesicht entgegenstellt. Wobei der Dachdeckermeister aus Schierstein jenseits der Stadtpolitik-Blase nun auch nicht gerade zu den bekanntesten Akteuren gehört. „Terminanfragen im Minutentakt“, von denen der wahlkampfmitmanagende Junge Union-Vorsitzende Dennis Friedrich berichtet, werden tapfer abgearbeitet, um dies zu ändern. Die Homepage www.eberhard-seidensticker.de ist inzwischen online und führt als Themen Wohnen, Wirtschaft, Wachstum & Stadtentwicklung, Verkehr und Sport auf.
Grünen-Frau Christiane Hinninger geht zum dritten Mal ins OB-Rennen, ist bisher aber noch nicht allzu aktiv. Für die FDP tritt Sebastian Rutten an, Linke und Piraten setzen auf Ingo von Seemen. Und die AfD hat am Donnerstag ihren Rathaus-Fraktionsvorsitzenden Dr. Eckhard Müller zum OB-Kandidaten gekürt.
Beim visionären Frühschoppen kürzlich im Walhalla im Exil kam die Idee auf, einen „Visionären Frühschoppen Spezial“ mit allen bis dahin bekannten Kandidaten durchzuführen.
Weitere Kandidatinnen oder Kandidaten zur OB-Wahl am 26. Mai können sich theoretisch noch bis zum 18. März anmelden.