Von Max Blosche/Dirk Fellinghauer. Fotos Dirk Fellinghauer.
Eine völlig neue Festivalidee. Wer beim Coron-Arts Festival auftritt und mitwirkt, hat seine Gage längst bekommen. Jetzt kommt endlich auch das Publikum auf seine Kosten. An diesem Wochenende – 1. bis 3. Juli – steigt das Festival rund um den Kulturpark am Schlachthof. 400 lokale und regionale Künstler:innen aller Sparten werden an drei Tagen ein Programm mit neunzig Programmpunkten auf sechs Bühnen – und jenseits der Bühnen – bestreiten. Und nicht von ungefähr Erinnerungen an „das Folklore“ wieder aufleben lassen.
Die Corona-Pandemie hat vor allem die freischaffenden Künstler:innen schwer getroffen. Sie konnten ihren Beruf nicht mehr ausüben, mussten Auftritte absagen und verschieben und gerieten schnell in finanzielle, wenn nicht gar existenzielle Schwierigkeiten. Das CORON-Arts Festival verfolgt daher die völlig neue Idee, Künstler:innen aus Wiesbaden und der Region in der Ausnahmesituation direkt helfen zu können. Erst die Kohle, dann die Kunst! „Wir wollen nicht Spenden verteilen, sondern Künstler:innen für das bezahlen, was sie originär tun: Darbietungen“, erklärt Gerhard Schulz vom Schlachthof, der die Idee zu Coron-Arts hatte.
Auszubildender organisiert Festival
Maßgeblich umgesetzt wurde sie, auch das etwas Besonderes, von Constantin Roth. Der einstige FSJ-ler hat mitten in der Pandemie eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann beim Schlachthof angefangen. Der Schlachthof hat ihm die Verantwortung für die Realisierung des Festivals anvertraut. „Organisier´ das mal, haben wir ihm gesagt“, berichtet Gerhard Schulz. Es war offenbar eine gute Entscheidung: „Consti macht einen unfassbar guten Job, alle sind mächtig stolz drauf.“
Die Gagen für die Auftritte wurden bereits im Herbst 2020 ausbezahlt. Das zunächst für 2021 geplante Festival, musste dann auf Grund der Pandemie verschoben werden und findet nun vom 1. bis 3. Juli statt. Und wie!
Lokale Künstler:innen aller Sparten
Bewerben konnten sich Künstler*innen aller Sparten aus Wiesbaden und der Region. Da das Festival die kulturelle Verarbeitung von Krisen(-zeiten) in der Gesellschaft in den Mittelpunkt rücken und möglichen gesellschaftlichen Reaktionen einen Ausdruck verleihen will, waren die Künstler*innen angehalten, sich dieser Thematik zu nähern. Einige taten dies, aber ganz so streng ist man mit dieser Vorgabe dann doch nicht verfahren, war Anfang dieser Woche bei der Vorab-Pressekonferenz herauszuhören.
Aus sage und schreibe über 200 Bewerbungen hat eine Jury, bestehend aus Jörg-Uwe Funk (Leiter Kulturamt), Sabine Meder (IHK), Katharina Schenk (Schloss Freudenberg), Valentine Goldmann (Nassauischer Kunst Verein) und dem Schlachthof über 90 Festivalbeiträge ausgewählt. Katharina Schenk betont „die Aufgabe der Kultur, Dinge, die verschüttet worden sind aufgrund gesellschaftlicher Krisensituationen, zu verarbeiten.“
Thema immer noch aktuell
Bei der Planung des Festivals dachte man natürlich, das Ergebnis würde ein Festival nach der Pandemie. Doch das Thema ist, trotz Verschiebung um einen Sommer, immer noch aktuell. „Freischaffende Künstler:innen und Soloselbständige leiden immer noch unter der Pandemie“, weiß Jurymitglied Valentine Goldmann. IHK-Hauptgeschäftsführerin Sabine Meder hat berufsbedingt eine andere Brille auf und betont den Aspekt: „Eine vitale Kulturszene ist für den Wirtschaftsstandort Wiesbaden elementar wichtig, auch mit Blick auf die Attraktivität der Stadt für Fachkräfte.“ Das Festival sei ein „Leuchtturm, der Mut macht“ und in seiner Konzeption beispiellos.
Ausdrücklich dankt Sabine Meder auch der Stadt Wiesbaden dafür, „dass sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hat“. Wiesbaden brauche dringend „USPs“, also Alleinstellungsmerkmale. Sie denkt schon weiter mit ihrer Hoffnung auf eine „dauerhafte Veranstaltung dieser Art, die den Standort bereichert“. Und rennt damit offene Türen ein, zum Beispiel bei Kulturamtsleiter Jörg-Uwe Funk. Seit dem „Folklore“-Aus gebe es eine „Leerstelle“ in Sachen Festival in Wiesbaden. Ob diese künftig wieder dauerhaft gefüllt werde, sei aber eine Entscheidung, die in Sachen Fördergelder die Stadtverordneten zu treffen hätten.
Raus aus der Trägheit!
450.000 Euro macht die Stadt für dieses eine „Coron-Arts“ locker. Viel Geld, in Krisenzeiten mit überall steigenden Preisen aber immer noch nicht genug Geld. Um die Kosten für die Umsetzung des Festivals zu decken, werden am Wochenende Solibändchen für wahlweise 5, 10 oder 15 Euro verkauft – aber keineswegs als Pflicht. Grundsätzlich ist Coron-Arts „umsonst und draußen“.
Mit bis zu 10.000 Besucher:innen rechnet Gerhard Schulz an den drei Festivaltagen. Kulturfonds Frankfurt RheinMain-Chefin Karin Wolff ermutigt alle, sich auf den Weg in den Kulturpark zu machen. „Für bestimmte Gruppen ist es aus unterschiedlichen Gründen noch nicht selbstverständlich, zur Kultur zurückzukehren“, stellt sie fest, es sei „eine gewisse Trägheit entstanden“. Ein Festival im Freien sei eine gute Gelegenheit, wieder einzusteigen ins Kultur erleben. „Kunst und Kultur sind lebensrelevant“, das hat die Pandemie nach Einschätzung von Katharina Schenk vom Schloss Freudenberg offenbart – „und zwar nicht nur für Künstler:innen, sondern für alle Menschen.“
Alle Sparten am Start
Über 400 Künstler:innen aus wirklich allen erdenklichen Sparten – Musik, DJs, Schauspiel, Theater, Straßentheater, Tanz und Performance ebenso wie Lesung, Poetry-Slam, Literatur, Film, Malerei, Bildende Kunst, Installation, Multimedia oder Filmdokumentation, Graffiti, Jonglage, Zauberei – werden sich beim CORON-Arts präsentieren. Neben Programmen auf Bühnen im Kulturpark und im Schlachthof selbst, wo auch eine Kunstausstellung zu sehen ist, gibt es Programm und Installationen im ganzen Kulturpark verteilt: „Es gibt überall was zu entdecken.“ Während man früher bei Folklore darauf lauerte, welche bekannten Bands die „Topacts“ des jeweiligen Jahres würden, sind bei Coron-Arts die lokalen Künstler:innen die Stars, und es geht bei weitem nicht nur um Livemusik.
DJs, Theater, Installation
Als Gesamtkunstwerk wird das Kollektiv Fuchsbau aus Mainz eine besondere Plateaubühne gestalten, auf der unterschiedliche DJs auflegen werden, etwa auch Tante Kante oder Paul Massow. Aus Frankfurt kommt die einzigartige Theatergruppe Antagon, und gehören damit schon zu den weitergereisten Mitwirkenden des Festivals. Eröffnet wird das Bühnenprogramm am Freitag um 17 Uhr von Zaitsa, der Band der ukrainischstämmigen Sängerin Olga Zaitseva, die lange in Wiesbaden lebte. Die erste Künstlerin war schon Anfang der Woche im Kulturpark aktiv. Ulla Reiss ließ hochkonzentriert und in aller Ruhe ihr „Corona Tipi“ entstehen. „Ich mache das Einsiedeln und Zurückziehen während der Pandemie zum Thema“, erzählte sie sensor beim Aufbau. Chips, ein Bildschirm und ein rotes Mediationskissen würden Bestandteile des Kunstwerks – auf Letzterem dürften Festivalbesucher:innen dann gerne Platz nehmen.
Bekannte Namen und Neuentdeckungen
Sounds like „Folklore“? Smells like Folklore! Corona-Arts atmet sicher so einiges vom Geist – und auch vom Geld, wird es doch mit „übriggebliebenen“ Mitteln des einstigen Kultfestivals finanziert – des legendären und immer noch vermissten Festivals und wird doch auch etwas ganz Neues sein – auch im Programm: Neben bekannten Namen wie Frau Doktor, Kenneth Minor, Fooks Nihil oder Rami Hattab stehen auf der langen Liste auch Namen, von denen die meisten noch nie gehört haben dürften.
Gerade diese Aussichten, sich überraschen zu lassen, in vielleicht ganz neue Welten einzutauchen und nie Dagewesenes zu erleben, machen das Coron-Arts-Vorhaben ganz besonders aufregend. Eines steht jetzt schon fest: Dieses Festival wird ein Fest! Bei diesem Festival ist alles drin. Und zwar draußen.
Das Coron-Arts Festival findet am Freitag, 1. Juli – Einlass 16.30 Uhr, Ende 5 Uhr -, Samstag 2. Juli – Einlass 13.30 Uhr, Ende 5 Uhr – , Sonntag, 3. Juli – Einlass 12.30 Uhr, Ende 21 Uhr – bei freiem Eintritt statt. Das Outdoor-Programm geht Freitag und Samstag bis 23 Uhr, bis in den Morgen hinein läuft das Programm im Kesselhaus.
Alle Mitwirkenden:
ALEXANDER SIMONOV / ANDREAS DIEFENBACH / ANN BESIER / ANTAGON THEATERAKTION / BENNET SUHR / BURKHARD MOHR / CHRISTINE WEBER / CHRISTOPH DEMIAN / CLAUDIA STÖBER / COMWOM / DANIEL AGEMA / DANIEL DIEFENBACH / DANIEL HAUK / DIE AFFIRMATIVE / DIE BREMER STADTMUSIKANTEN / DIE KUNSTWERKER, KINDER- UND JUGENDKUNSTSCHULE e.V. / DIE LAUFMASCHEN / DIE ODYSSANT*INNEN / DR. ROBIS SPRECHSTUNDE / EARTHMUSIC ORCHESTRA / EMAD KORKIS / EMMA & CO. – DIE THEATERWERKSTATT / FEEL AND FRONDORF / FOOKS NIHIL / FOREIGN FACES / FRAU DOKTOR / FRÉDÉRIC ECKER / FUCHSBAU e.V. / HAND TO HAND / HANNE KAH / HERMANN HEULER / I GIOCOSI / ILLUSTRATOR:INNENGRUPPE WIESBADEN-MAINZ / INÉS BIANCA ZATONSKI / INTERSTELLAR OVERDRIVE / IRONMONKEY / JOHN PATHIC / KAROLINE RÖHR / KENNETH MINOR / KOOPERATIVE NEW JAZZ e.V. / KREATIVFABRIK WIESBADEN e.V. / KRISTINA SCHMIDT / KORANA URSIC-BOROVKA / LA ROUTE DU BONHEUR / LE MARMELADE DU MONTÁGE / MACH MAL LANGSAM / MARA the singing cellist / MARC NIEMEYER / MARONES / MAXLION / MEDEA PLASTIK / MEETING OF STYLES / MLLR PRRRR & MADAME GLÜCK / MOJA e.V. / PAMOJAH e.V. / PATTERNS OF PERCEPTION / PAUL MASSOW / PEGASUSTHEATER / PETER WOLTERSTORFF / RAMI HATTAB & BAND / ROBERT SCHRÖDER / ROLLS-TOYS / SAXOPHONQUARTETT MAINZ 04 / SCHEMEL & JÄGER / SCHMIDT & BENDER / SHAMBALA / SIA BRONIKOWSKI / SOMMERTHEATER IM NEROTAL e.V. / STEFAN VARGA QUARTETT / STEFANIE HELLMANN / STILLES WASSER / STUDIO ENNEA / SUPERMARKET UNDERGROUND / TAIKEE / TANTE KANTE / THEATER 3D e.V. / THOMAS REIMANN / THURSDAY IN MARCH / TOM WOLL & GERD VOGEL / TOSCHKIN / TRiOLiBERO! / TRITONSTUDIO KOLLEKTIV / ULLA REISS / VIRUS WORT / WISHMOB THEATER e.V. / ZAITSA
Zeitplan Bühnenprogramm Bands/DJs