Text: Cordula Schiefenstein. Illustrationen: Lisa Lorenz.
Peter lacht. Aber eigentlich ist es ihm ernst. Er ist 36 Jahre alt, seit eineinhalb Jahren Single und möchte gerne Vater werden. Sein Wunsch manifestierte sich während eines Besuchs bei Freunden. Gerade erst hatte er seine Beziehung beendet, verkroch sich bei Freunden zum Wundenlecken und erlebte dort das Glück einer jungen Familie. „Das war wie ein Schalter, der sich umgelegt hat. Jetzt will ich mir endlich auch mal diesen Traum erfüllen.“
Kinder gehörten schon immer in sein Zukunftsbild, aber irgendwie diffus, nie „jetzt“. Die nächste Beziehung also mit der perfekten Mutter für seine Kinder! „Wenn ich jemanden kennenlerne, mich mit einer Frau unterhalte, steht dieser Gedanke immer im Raum.“ Zusammen mit einem Katalog an Ansprüchen in charakterlicher, körperlicher und sexueller Hinsicht.
Ü30 – Lebensform mit Unterhaltungswert
Peter gehört zur Gruppe der Singles Ü30. Eine seit zwanzig Jahren wachsende Gemeinschaft. Lag die Anzahl der Ü30 Single-Haushalte in den 90ern noch bei 14,6 Prozent, liegt sie heute bei etwa 25 Prozent. Dass das Single-Sein-über-30 als eine Art Lebensform mit Unterhaltungswert in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, zeigen erfolgreiche Formate wie „Liebe Lieblingsfrau“ von Michalis Pantelouris im Süddeutsche Zeitung-Magazin, oder die Kolumnen von Michael Nast, die gesammelt unter dem Titel „Generation beziehungsunfähig“ als Buch erschienen sind: Skurrile Erlebnisse, das Thematisieren fragwürdiger Ansichten und Einstellungen zu Partnerschaft und Sex, aber auch Sehnsucht und selbstkritisches Nachdenken bestimmen den Tenor.
Man dreht sich permanent um sich selbst, feiert sich auch ein wenig und stellt sich zumeist auch die Frage, ob etwas mit einem nicht stimme. Als Michael Nast seinen Artikel „Generation beziehungsunfähig“ erstmalig auf der Seite des Online-Magazins „Im Gegenteil – Singles oder was?“ veröffentlichte, wurde innerhalb kürzester Zeit der Server regelrecht lahmgelegt. Ist was dran an der Generation beziehungsunfähig?
Single-Sein als Chance
Matthias Leben (35 Jahre) war vor wenigen Jahren gefühlt noch ein Scherbenhaufen. Fünf Jahre war er mit seiner Ex-Freundin zusammen und ist nun seit fast zwei Jahren Single. Es war harte Arbeit für ihn, sein Selbst nach der Trennung wieder aufzurichten. Dabei war er es, der ging: „Einer musste die Entscheidung treffen, und der, der aus dem Haus ging, war ich.“ Dabei liebte er seine Freundin noch, aber es ging einfach nicht mehr. „Je mehr ich etwas verändern wollte, desto mehr wurde ich abgestoßen.“
Beide wurden ein Paar, als sie noch studierten. Er in Erfurt, sie in Mainz. Dann zog er zu ihr. Um seine Jobchancen zu erhöhen, unterzog er sich einer beruflichen Umorientierung, die Zeit in Anspruch nahm und seine Finanzen strapazierte. „Ich war immer gestresst.“ Plötzlich drehte es sich ständig um Job, Geld und um Lebenserwartungen, die er meinte erfüllen zu müssen. Also konzentrierte er sich auf die Arbeit und verlor dabei die Beziehung aus dem Blick. Die Trennung war für Matthias eine äußerst schmerzhafte Erfahrung. Aber das Alleinsein hat ihm dennoch gut getan. „Ich habe viel reflektiert und mir ist manches klar geworden.“ Nun konzentriert er sich wieder mehr auf sich und seine Bedürfnisse, geht mehr aus und trifft sich mit Freunden.
Dass es manchmal besser ist, den Rückzug aus einer Beziehung anzutreten, weiß Vanessa Jilg, Psychotherapeutin (HPG) und Beziehungsberaterin vom Beziehungswerk Mainz: „Partner sind Lernfelder. Jeder macht in seinem Leben Entwicklungssprünge durch, die manche Partnerschaften gemeinsam bewältigen, andere nicht.“ Alles gemeinsam zu schaffen sei eine große Kunst. Denn jede Partnerschaft besteht aus zwei Individuen, die auch unabhängig voneinander Erfahrungen sammeln und sich weiterentwickeln.
„Ich bin nicht permanent unglücklich, Single zu sein“
Kathrin empfindet die Konzentration allein auf sich als einen großen Vorteil des Single-Seins. Sie bezeichnet es als „mit sich selbst so schön seine Ruhe haben“. Man muss für niemanden mitdenken, sich nicht absprechen, koordinieren, sich vor allem nicht streiten. Kathrin ist 39 Jahre alt und seit drei Jahren Single. Mit einem amüsierten Lachen stellt sie fest, dass sie Zeit ihres Lebens eher Single als in einer Beziehung war. „In einer Beziehung zu sein finde ich eher außergewöhnlich.“ Obwohl sie gerne mal wieder eine Beziehung hätte, verklärt sie Partnerschaft nicht. „Beziehungen sind nicht immer erfüllend.“ Daher war es meistens sie, die ging, allerdings nie leichtfertig. „Beziehungen müssen nicht immer gut tun, aber wenn es anfängt ungesund zu werden, wenn die Persönlichkeit droht unter der Beziehung zu leiden, hoffe ich, dass ich es stets schaffe zu gehen.“
Beziehungen sind heute verantwortungsvoller
Stellen wir also einen zu hohen Anspruch an Partnerschaft? Ist das vielleicht der – oder ein – Grund, warum Beziehungen vielfach scheitern? Vanessa Jilg mag das Wort „Scheitern“ hier nicht. „Menschen sind teilweise über Jahre miteinander liiert. Das ist doch eine große Leistung. In dem Zusammenhang von Scheitern zu sprechen ist falsch. Wir haben heute viel mehr Verantwortung für unsere Beziehungen.“ Gemäß den klassischen Rollenmodellen der 50er-Jahre wurde von der Gesellschaft diktiert, welche Rolle man einzunehmen hatte. Das gilt so nicht mehr. Wir haben eine größere Auswahl an Möglichkeiten, Leben zu gestalten. Das bedeutet aber auch, dass wir mehr Verantwortung tragen für uns, unser Handeln und unsere Entscheidungen. „Das kann überfordernd sein.“ Außerdem hat sich die Bedeutung der Partnerschaft verändert. War sie früher noch stärker ein Versorgungsmodell, komme sie heute eher „on top“ auf ein bereits erfülltes Leben. Wie Luxus, auf dem man auch – zumindest zeitweise – verzichten kann. Auf das „zeitweise“ legt Vanessa Jilg wert, denn: „Zugehörigkeit und Liebe sind tiefe menschliche Bedürfnisse.“ Das Single-Dasein ist ihrer Ansicht daher nur vorübergehend die Alternative. „Das Bedürfnis nach Bindung ist zu tief in uns verankert.“
Beziehung „on top“
Weder Peter, Matthias noch Kathrin hadern jedoch mit ihrer Situation als Single. Sie empfinden Partnerschaft nicht als die alleinige Notwendigkeit für Glück. „Ich bin lieber allein, als dass ich in einer Beziehung bin, die mich nicht erfüllt“, sagt Matthias. Selbst Peter, dessen Wunsch nach Vaterschaft jede neue Bekanntschaft „überschattet“, ist nicht unglücklich: „Ich bin sicher, dass es irgendwann passieren wird. Und alles, was davor ist, ist noch eine Jugendverlängerung.“
Und Kathrin will es neben einem Partner nicht einfach nur „aushalten“. Sie stellt obendrein das traditionelle Familienbild in Frage: „Ich glaube und hoffe, dass die Fokussierung auf Familie und DIE eine Partnerschaft sich langsam ändert. Das ist doch viel erstrebenswerter, als an etwas festzuhalten, das auf Dauer nicht so funktioniert.“ Was zeichnet Singles Ü30 also aus? Sind sie tatsächlich latent „beziehungsunfähig“, egozentrisch, wählerisch, überfordert von Möglichkeiten und Freiheiten? Oder stehen sie für eine moderne Form von Gesellschaft und Generation, die sich zunehmend von dem Lebensmodell „Für-immer-rundum-versorgtund-( vermeintlich)-glücklich“ verabschiedet? Zumindest war es nie leichter allein zu leben als heute. Doch das Bedürfnis nach Bindung bleibt. Und damit auch die Sehnsucht nach Zweisamkeit.