„(…) Man kann lange widersprechen, doch wenn man keine bessere Geschichte erzählen kann, wird man verlieren.“ (Nils Minkmar in seinem Essay „Unterforderung macht depressiv“, Der Spiegel 39/2017)
Wir leben in einer Stadt mit Erstickungsgefahr,
liebe sensor-Leserinnen und -Leser. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie viel Strecke Sie in der Wiesbadener Innenstadt zu Fuß, auf dem Fahrrad, mit Kinderwagen, auf dem Skateboard – also irgendwie ohne Sie umgebendes Blech – zurücklegen können, ohne auf Autoverkehr zu stoßen? Ich kann Ihnen, als jemand, der so gut wie alle innerstädtischen Strecken zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegt, sagen: Die Strecken sind verdammt kurz.
Und ich muss Ihnen sagen: Es macht was mit mir. Es nervt mich. Es stresst mich. Es stört mich. Es ist laut. Es stinkt. Es ist hässlich. Und: Es ist lebensgefährlich! Ich meine jetzt nicht die Gefahr, unter die Räder zu kommen, obwohl diese in Wiesbaden auch gegeben ist. Tragische Fälle belegen das. Ich meine die Lebensgefahr auf lange Sicht, die schleichende Lebensgefahr, die von der Wiesbadener Innenstadt ausgeht. Die Lebensgefahr aus der Luft.
Die Autos, die unsere Stadt verstopfen, produzieren nicht nur ein (zweifelhaftes) Selbstwertgefühl bei manchen, die drin sitzen. Sie produzieren auch Abgase. Also Gifte! Und wir atmen sie ein, während wir durch die Kur(!)stadt spazieren, radeln, skaten. Oder auch nur, wenn wir im trauten Heim die Fenster öffnen.
Was also tun? An Autofahrer appellieren, vielleicht mal wenigstens ein wenig ans Umdenken zu denken? Erscheint aussichtslos, siehe oben (Stichwort Selbstwertgefühl). Auf Fahrverbote warten, die demnächst tatsächlich – per Gerichtsentscheid – kommen könnten? Ungewiss. Und auch irgendwie blöd. Versuchen, mit Fakten zu überzeugen? Interessiert meistens nur die, die sie sowieso schon kennen. Geschichten erzählen? Das ist es! Ich rede nicht von Märchen. Ich rede von Geschichten – in dem Sinne, wie sie der in Wiesbaden lebende Spiegel-Journalist Nils Minkmar fordert. Zugegeben, sein Zitat oben habe ich ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen. Ihm geht es um die Rettung Europas. Die Grundidee gilt aber auch für die Rettung unserer Luft und damit die Rettung unseres Lebens. Wenn wir das nicht retten, bringt uns ein möglicherweise gerettetes Europa: nichts!
Zurück zum Verkehr. Wir müssen auch hier Geschichten erzählen. Und Bilder produzieren: „Bilder der Zukunft“, das hat der nachhaltig engagierte Wiesbadener Agenturchef Michael Volkmer schon vor einer Weile erkannt. Es müssen Geschichten und Bilder sein, die den Wiesbadenern Lust machen auf das anders denken und im besten Falle auf das anders handeln. Wenn wir uns vorstellen können, dass eine andere Mobilität möglich ist und diese uns eben nichts wegnimmt, sondern im Gegenteil ganz viel gibt, dann sind wir auch, platt gesagt, dafür. Die Stadt Wiesbaden schickt sich nun an, Geschichten zu erzählen vom emissionsfreien ÖPNV. Wenn diese sich nicht als Märchen herausstellen, sondern Bilder produzieren, die überzeugen, dann könnten wir „gewinnen“. Luft, Lebensqualität, Freude, Gesundheit und – malen Sie sich das mal aus – vielleicht sogar, nach gut 65 Jahren Pause, eine Straßenbahn. Die hieße dann allerdings, gewöhnen Sie schon mal an diese Geschichte, CityBahn.
Dirk Fellinghauer, sensor-Atemloser
PS: Erzählen Sie doch auch mal! Ihre „Wie sieht die Zukunft Wiesbadens aus?“-Geschichte zum Beispiel. Das können Sie am 10. November um 17 Uhr im Rathaus, bei der Vorstellung und Diskussion des „Konzeptes zur Stadtentwicklung 2030“. Rund um Zukunftsthemen wie Wohnen, Leben, Arbeiten und – Fortbewegen!
Das Gute vom Schlechten: ein prima Editorial!
Es wäre doch ein schöner Slogan, wenn es mit der Energiewende (und auch mit der Verkehrswende) in Wiesbaden klappen würde: „Wiesbaden atmet auf!“ Wir könnten bis zur Umsetzung der neueren Ideen auch ein bisschen üben,
mit dem autofreien Sonntag zum Beispiel.
Das Problem müsste grundsätzlich angegangen werden – dazu fehlt aber der politische Wille und vor allem auch der Wille eines grossen Teils der Bürger Wiesbadens. An einem Tag wie diesem, wo zusätzlich Massen von „Käufern“ aus dem arbeitsfreien Umland einreisen, ist die Innenstadt in einem noch viel katastrophaleren Zustand als sonst. Alle halten es für ihr „gutes Recht“, mitten in der Innenstadt einen Parkplatz einzunehmen/vergeblich zu suchen. Wenn die Tiefgarage „Dernschen Gelände“ (die schon bei ihrem Bau ein grosser Fehler war – als BUND-Vorsitzende habe ich dagegen leider vergeblich gekämpft – ausserdem sind die Plätze viel zu billig!!! ) voll ist, fahren die Autos einfach weiter in den Stau – da ist ja noch das Karstadt-Parkhaus…! Mit dem Fahrad unterwegs begebe ich mich in akute Lebensgefahr und massive Gesundheits-Gefährdung — es gibt aber k e i n e n A u s w e g. Mein kleiner Trost ist die Adolfsallee, obwohl auch zugeparkt, und ausserdem viel zu kurz.. Wir sollten mindestens wieder die autofreien Wochenenden einführen, damit auch die Uneinsichtigen erleben können, dass es auch ohne Auto geht!!!!!!!!!!!!!!!!!!!