Mit einem offenen Bürgerdialog hatte der Kulturbeirat in seiner jüngsten Sitzung – am 857. Tag des Leerstands – den Blick auf die weiterhin ungewisse Zukunft der Walhalla-Immobilie gerichtet – und Interessantes zutage gefördert, in der Einschätzung der Lage und der erforderlichen weiteren Schritte. Neben insgesamt sachlich-konstruktiv-kritischem Austausch und Diskussion krachte es zwischenzeitlich auch gewaltig zwischen handelnden – und zum Handeln bereiten – Akteuren. Heute – am 872. Tag des Leerstands – ist nun der Kulturausschuss wieder an der Reihe. In der öffentlichen Sitzung um 17.30 Uhr im Raum 318 im 3. Stock des Rathaus geht es ebenfalls um die Walhalla-Zukunft. Interessierte sind willkommen.
Zum Bürgerdialog waren Andreas Guntrum, Geschäftsführer der im Auftrag der städtischen WVV Holding projektverantwortlichen SEG, und Dr. Maria Wüllenkemper als zuständige Gebietskonservatorin der Landesdenkmalpflege zu Gast. Sie saßen in einer Reihe mit Michael Müller und Dr. Martino La Torre, beide von der Initiative Walhalla Studios, die im mit interessierter Öffentlichkeit gut besetzten Raum ihre Bereitschaft für die Bespielung der Immobilie erneuerten und bekräftigten: „Sonst säßen wir heute nicht hier“. In der dem Thema gewidmeten Stunde wurde vor allem über die Nutzung der Immobilie und ihre Finanzierung debattiert. Soll zuerst eine Finanzierung stehen, bevor die Nutzung ausgeschrieben wird? Oder soll die Nutzung feststehen, um als Basis für Sanierungsgedanken zu dienen? Huhn oder Ei, was kommt zuerst? Diskutiert, und letztlich gestritten, wurde aber auch über den Zustand der Immobilie und über die bereits erfolgten – oder auch nicht erfolgten – Schritte des notwendigen Prozesses.
Erst die Nutzung oder erst die Finanzplanung?
Die Stadtverordnetenversammlung stehe vor der Grundsatzentscheidung, ob sie die Sanierung in großem Maße subventioniere, so Guntrum zum Stand der Planungen. Dies sei sinnvoll, bevor es zu einer Ausschreibung für eine Kulturnutzung komme, da man sonst als interessierter Betreiber im luftleeren Raum plane. Die Vertreter der Initiative Walhalla Studios sowie einige Dialogteilnehmerinnen und –teilnehmer setzten dem entgegen, dass ohne Nutzungskonzept eine entsprechende Sanierung nur schwer in Zahlen zu beschreiben sei. Die Vertreterin des Landesamtes für Denkmalpflege, Dr. Wüllenkemper, stützte diese Argumentation. Eine Aussage des Amtes über Auflagen im Denkmalschutz sei im Detail erst möglich, wenn ein konkretes Nutzungskonzept vorliege.
Bisher spricht nichts gegen „morbiden Charme“
Damit widersprach die Denkmalschutz-Expertin doch sehr deutlich dem Bild, das bisher sowohl von SEG-Chef Andreas Guntrum als auch von OB (und WVV-Aufsichtsratsvorsitzendem) Sven Gerich aktiv kolportiert wurde. Die Aussage, das Walhalla in seinem derzeitigen Zustand sei „ein völlig marodes Gebäude“, mit der Guntrum seine Ausführungen beim Bürgerdialog eröffnet hatte, wollte Wüllenkemper ebenso wenig stehen lassen wie das verlesene Zitat von OB Sven Gerich aus einer Pressekonferenz: „Warum muss es perfekt sein? (fragen viele und sagen:) Macht es doch mit dem morbiden Charme. Die Landesdenkmalpflege sagt uns sehr genau, was wir in welcher Form zu machen haben. Da ist dann nicht mehr viel mit morbidem Charme. Morbider Charme passt da nicht.“ Die Vertreterin der Landesdenkmalpflege sagte, dass sie über diese Aussage sehr verwundert sei: „Ein solcher Satz ist aus unserem Haus sicher nicht gesagt worden.“
Sanierungstiefe abhängig von künftiger Nutzung
Solche Details seien für sie und ihre Kollegen bislang noch gar kein Thema gewesen. Auch nicht, weil man dies zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht seriös einschätzen könne: „Zur Sanierungstiefe kann man in diesem frühen Stadium keine Aussage machen, das ist auch abhängig von der vorgesehenen Nutzung“. Sehr wohl könne man derzeit aber zum Zustand des Walhalla-Gebäudes sagen, dass derzeit keine Einsturzgefahr bestehe. Ebenso stellte Wüllenkemper klar, dass zur Rabitzdecke, die von Andreas Guntrum gerne als ein wesentlicher Kostenfaktor für eine Sanierung ins Feld geführt werde, zwei erheblich differierende Gutachten vorliegen.
Kulturbeirats-Mitglied Dr. Helmut Müller bemerkte anschließend ob der Diskrepanzen zwischen den öffentlich verbreiteten und nun von der Denkmalpflege vertretenen Ansichten: „Das ist schon ein gewaltiger Unterschied. Da liegen Welten dazwischen.“
Walhalla Studios-Akteure: „Mit uns spricht einfach niemand“
Welten lagen zwischen manchen Aussagen und Einschätzungen von Andreas Guntrum auf der einen und den Walhalla Studios-Akteuren auf der anderen Seite. Als ein Bürger meinte, er habe den Eindruck, bei dem Projekt sei bei den Verantwortlichen „irgendwas außer Kontrolle geraten“, platzte Guntrum der Kragen. Nichts sei außer Kontrolle geraten. Und bevor er den GOP-Varieté-Vorschlag präsentiert habe, habe sich in der Stadt „keine Sau dafür interessiert“, sich um das Walhalla zu kümmern. „Weil es bis dahin keinerlei Signale gab, dass die Stadt bereit ist, Geld in die Hand zu nehmen“, bemerkte Michael Müller, dem seinerseits der Kragen platzte. Er listete auf, welche notwendigen Verfahrens- und Prozessschritte erst durch ihre Truppe veranlasst worden seien und nicht etwa durch die eigentlich Projektverantwortlichen bei SEG und WVV. Einige dieser Punkte hatte vorher schon Guntrum selbst Michael Müller „zugeschrieben“. Müller monierte, man habe schon viel Zeit und Geld in das Projekt investiert – ohne irgendwelche nennenswerte Resonanz seitens der Stadt: „Mit uns spricht einfach niemand.“ Immerhin, am Ende des Bürgerdialogs saßen Guntrum und Müller dann doch noch zusammen – und sprachen miteinander.
Kulturbeirats-Vorsitzender: Erst die Fakten, dann die Zahlen
Im Nachgang zum einstündigen Dialog diskutierte der Kulturbeirat das Thema weiter und zog erste Schlüsse, die er der Stadtverordnetenversammlung zur Beratung weiterreicht. „Es ist jetzt wichtig, keine Entscheidungen über Zahlen zu treffen, ohne eine solide Faktenbasis zu haben“, nimmt Ernst Szebedits, Vorsitzender des Beirats, nochmal Bezug auf „Ei“ und „Huhn“. „Die Frage nach der Form der kulturellen Nutzung ist nie richtig gestellt worden. Und ohne Nutzungskonzept brauchen wir über die Finanzierung nicht zu sprechen. Das ist heute mehr als deutlich geworden“, fasst er die Diskussionen zusammen.
Neue Transparenz der Entscheidungswege – Schluss mit WVV-Alleinverantwortung
Der nächste Schritt sei ein offenes Interessenbekundungsverfahren und ein fester, öffentlich kommunizierter Zeitplan, der zwischen allen beteiligten Akteuren vereinbart wird, so Szebedits. „Der Schritt ist zwingend, damit wir aus dem Argumentationszirkel Nutzung gegen Finanzierung ausbrechen.“ Für die heutige Sitzung des Kultur-Ausschusses hat der Beirat eine entsprechende Beschlussempfehlung vorgebracht, die hier im Detail nachzulesen ist. Die Anträge, die heute im Kulturausschuss besprochen werden, sind ebenso wie die insgesamt mehrere hundert Seiten umfassenden Gutachten, die bisher unter Verschluss gehalten worden waren, hier zu finden. Neben den anstehenden Entscheidungen über die Bereitstellung finanzieller Mittel ist eine entscheidende, und überfällig erscheinende, geforderte Neuerung im Vorgehen, dass künftige Entscheidungen nicht mehr alleine vom WVV Aufsichtsrat beschlossen werden, sondern zuerst durch den Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung und mit Einbeziehung von Kulturausschuss und Kulturbeirat. (Dirk Fellinghauer/Fotos Kulturbeirat)
Und so sieht es aus im Moment im Walhalla-Gebäude:
Der einzige, wirklich aussagekräftige journalistische Beitrag zur aktuellen Situation um das WALHALLA. Die deutlichen Widersprüche in der Bewertung von Sachlage und Verfahrensabläufen machen einmal mehr deutlich, wie wichtig das genaue Hinsehen und die Herstellung von Öffentlichkeit um diesen „Wiesbadener Identitätskern“ (s.a. Wisek 2030+) ist und bleibt. Dank an Dirk Fellinghauer.