Von Hendrik Jung. Fotos Samira Schulz.
„Ich bin nicht behindert. Ich habe das Down-Syndrom“, sagt Erfolgssportlerin Chloé Beloin. Und ist mit 26 von zuhause ausgezogen.
Es ist ein besonderes Jahr für Chloé Beloin: Sportlich erfolgreich durch Goldmedaillen im Feldhockey bei den Special Olympics in Berlin und der Specialhockey Europameisterschaft in Mönchengladbach. Privat durch den Auszug aus dem Elternhaus.
Sport ist ihr Leben. Das sieht man beim Blick in die kleine Wohnung der jungen Frau mit Down-Syndrom sofort. Besonders fallen die vielen Medaillen auf, die sie rund um ihr Bett an der Wand aufgehängt hat. Manche stammen noch aus dem Schulsport, andere vom Judo. Die beiden neuesten leuchten in Gold. „Das beruhigt mich, wenn man den ersten Platz hat, dann kann man ein bisschen feiern“, erklärt Chloé Beloin.
Zwei Tore im Special Olympics-Finale
Die 26-Jährige, die zum 7:1-Sieg gegen die Niederlande im Special Olympics-Finale zwei Tore höchstpersönlich beigetragen hat – und für ihren Erfolg im Wiesbadener Rathaus empfangen, geehrt und gefeiert wurde –, macht deutlich, dass ihr ein zweiter Platz mit ihrem Team nicht wirklich ausgereicht hätte. Da denkt sie ganz wie die Verantwortlichen beim FC Bayern München, dessen Wappen ein Kissen ziert. Auch auf der Playstation setzt sich Chloé Beloin gern mit Sport auseinander und misst sich im Boxen, Eishockey oder American Football.
Mit dem Fahrrad zum Training und zur Arbeit
Doch auch Hockey-Schläger und Ball sind in der im Mai bezogenen Wohnung schnell griffbereit, und ihr Fahrrad steht auf dem Flur. Damit fährt sie nicht nur ins Hockey-Training beim DHC Wiesbaden oder zum Judo, sondern auch zu den Proben des inklusiven Staatstheater-Ensembles Theater Anders. Außerdem macht das Rad sie mobil auf ihrem Weg zur Arbeit in einem Unternehmen der facettenwerk-Gruppe, dem gemeinnützigen Verein für Behindertenhilfe.
Am Wochenende ist Chloé gern am Rhein unterwegs oder fährt zur Familie, die nur wenige Minuten entfernt lebt von der ersten eigenen Wohnung, die sie im Kastel Housing bezogen hat. Diese gehört zum Angebot der Stiftung für Inklusion durch Förderung und Betreuung (IFB). Im Verbund mit fünf anderen kleinen Wohnungen verfügt sie hier über ein eigenes Bad und eine kleine Kochecke. Sie kann aber auch einen Gemeinschaftsraum nutzen, in dem allen Bewohnern eine große Küche, zwei Waschmaschinen, ein Fernseher, Tische sowie ein Balkon zur Verfügung stehen.
Selbstbewusst gegenüber Herausforderungen
„Ich bin nicht behindert. Ich habe das Down-Syndrom“, betont die in Montpellier geborene Wiesbadenerin. Doch bei allem Selbstbewusstsein gilt es, mit der eigenen Wohnung auch neue Herausforderungen zu bewältigen. Auf einem Klebezettel hat sie zwar zur Sicherheit die wöchentlichen Trainingszeiten notiert, ihre Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen sind jedoch rudimentär. Aus diesem Grund geht Chloé Beloin meistens gemeinsam mit einer Betreuerin einkaufen, für die in ihrem eng getakteten Terminkalender mittwochs nachmittags eine Lücke besteht. Die Dame kann ihr dann auch bei allem Bürokratischen helfen.
Großer Wunsch: Kochen lernen
Wünschen würde sich die 26-Jährige, dass ihre Betreuerin ihr dabei hilft, Kochen zu lernen. Damit würde sie sich nämlich auch auf der Arbeit viel lieber auseinandersetzen, als mit ihrer bisherigen Tätigkeit in der Spülküche. Zusätzlich zum Mittagessen auf der Arbeit nutzt Chloé Beloin die Möglichkeiten ihrer neuen Wohnung aber bereits, um sich mal Gnocchi oder eine Bratwurst zu machen. Um hier mehr Fortschritte zu erzielen, würde nicht nur sie selbst sich mehr Unterstützung wünschen.
Hürden beim Recht auf Teilhabe
„Ich finde es ganz schlimm, wie das in Deutschland läuft“, erklärt Mutter Chantal Beloin. Schließlich habe ihre Tochter ein Recht auf Teilhabe. Es sei aber schwierig, nähere Hinweise dazu zu erhalten. Gerade am Morgen des Interviews habe sie vergeblich versucht, beim Landeswohlfahrtsverband Informationen einzuholen. „Chloé möchte nicht, dass ich jeden Tag vorbeikomme. Sie möchte selbstständig werden“, verdeutlicht die international tätige Kundenbetreuerin. Auch ihre sportlich so erfolgreiche Tochter betont, dass sie ihre beruflich stark eingespannte Mutter gern entlasten wolle. „Chloé ist total ordentlich geworden“, lobt Claudia Spura von der IFB-Stiftung die Haushaltsführung. Mit ihrer ersten eigenen Wohnung ist die junge Bewohnerin denn auch ausgesprochen glücklich und freut sich schon darauf, hier Weihnachten und Silvester zu feiern.