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Ein Licht in der Dunkelheit: Das „Café Nachtlicht“ ist eine offene Anlaufstelle für Menschen mit seelischen Sorgen


Von Laura Ehlenberger. Fotos Offert Albers.

Samstagabend, halb zehn in Wiesbaden: Die einen sitzen in ihren vier Wänden, die anderen zieht es in die Kneipen der Stadt – und einige wenige besuchen zu dieser späten Stunde das Café Nachtlicht. Es ist eine besondere Anlaufstelle für Menschen mit seelischen Sorgen. Hier finden sie einen Ort zum Reden und Beisammensein. Dieser Ort liegt ein wenig versteckt nahe des Bahnhofs, hinter der Lutherkirche. Am Anfang der Sartoriusstraße verweist ein unscheinbares Schild mit der Aufschrift „Café Nachtlicht“ auf das Angebot zum Hereinkommen, und ein brennendes Licht macht deutlich, dass im Inneren des Hauses zu dieser Uhrzeit noch Leben herrscht.

Beim Betreten wartet ein freundlich eingerichteter Raum. In einer Ecke steht ein altes Klavier, in einer anderen ein Tisch. An der gedeckten Tafel sitzt eine Gruppe bunt zusammengewürfelter Menschen, von denen sich einige bereits kennen. Andere sind heute zum ersten Mal hier. Jeder von ihnen bringt seine Lebensgeschichte – unterschiedlich schmerzhaft, unterschiedlich intensiv – mit in die Runde. Doch alle, die vorbeigekommen sind, vereint eines. Es ist der Wunsch, nicht alleine in die neue Nacht zu starten.

Nachts kreisen die Gedanken besonders wild

„Denn eben dies birgt für jene, die psychisch belastet sind, Gefahren“, sagt Daniela. Nachts kreisten die Gedanken besonders wild, erklärt die Wiesbadener Psychiaterin. Wie all die anderen sitzt auch sie heute als Privatperson in der Runde, gleichzeitig übernimmt sie eine wichtige Aufgabe: Daniela ist eine von mehreren Freiwilligen, die das Café Nachtlicht jeden Samstag zum Leben erwecken. Ins Leben gerufen wurde es im vergangenen Juni – unter anderem durch Manfred Rosental. Der engagierte Wiesbadener entschied, nachdem er einer eigenen Krise entflohen war, seine Erfahrung zu teilen und anderen damit zu helfen. Der Mangel an öffentlichen Orten, um nicht in seiner labilen Seelenwelt in den eignen vier Wänden gefangen zu sein, motivierte ihn, das Café zu gründen. Den Raum stellt der Evangelische Verein für Innere Mission (EVIM). Überdies unterstützen einzelne Spenden das Projekt.

Bekanntschaften und Freundschaften

Regelmäßig erscheint hier Martin. Er gehört zum harten Kern: „Ich finde die Idee toll. Hier kann man reden und spielen, wenn es einem wieder einmal nicht gut geht.“ Auch hätten sich aus Bekanntschaften schon Freundschaften entwickelt. „Die Leute wissen diesen Ort zu schätzen“, weiß er, „es ist ein Geben und Nehmen, und nur so kann es funktionieren.“ Auch wenn sie heute Abend allen tatkräftig zur Seite steht, kann Esther das Bedürfnis nachvollziehen: „Ich hatte vor 30 Jahren eine Depression und hätte mir so etwas gewünscht.“ Dennoch müsse sie sich, um diese Aufgabe zu meistern, nach ihrer Schicht von dem Leid der anderen entfernen.

Mit Esther stemmt Daniela an diesem Samstag „den Betrieb“ im Nachtlicht. Gemeinsam öffnen sie um 20 Uhr die Tür, kochen Kaffee, hören den Menschen zu, räumen auf und schließen am nächsten Morgen wieder die Tür hinter sich. „Wir suchen nach Freiwilligen, die wie wir dazu bereit sind, diese Aufgabe einmal im Monat zu stemmen“, eröffnet Daniela. Durch ihren Beruf ist sie im sensiblen Umgang mit seelischen Sorgen geschult. Das sei aber keine Notwendigkeit. „Wer sich der Verantwortung gewachsen fühlt, ist bei uns willkommen“, sagt die Ehrenamtliche. Willkommen sind vor allem jene, die seelisch belastet sind und doch biete das Café keine Lösung. Es sei ein Freizeittreff – nicht mehr, nicht weniger.

Offenes Angebot, klare Regeln

Klare Strukturen, das heißt – Alkohol und Drogen sind streng verboten und um Punkt 2 Uhr morgens ist Schluss – seien dabei ebenso wichtig. „Wir schmeißen keinen raus, aber es muss Regeln geben“, erklärt Daniela, die sich freut, einmal fernab ihres Jobs mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Hierarchien gibt es nicht, Begegnungen auf Augenhöhe sollen es sein. Ihr gegenüber sitzt Klaus. Dem jungen Mann sind die Sorgen anzusehen, zugleich entfacht ein Funkeln in seinen Augen, spricht er von seinem Studium. „Ich bin gelernter Sozialarbeiter“, sagt er, „leider bin zurzeit nicht arbeitsfähig.“ Der innige Wunsch, eines Tages wieder anderen zu helfen, treibt ihn jedoch an – und so kreuzt sich sein steiniger Lebensweg für einige Stunden mit denen der anderen, bis sich alle in die Dunkelheit der Nacht verabschieden werden und wieder ihrer Wege gehen.

Das „Café Nachtlicht“ in der Sartoriusstraße hat jeden Samstag von 20 Uhr bis 2 Uhr morgens geöffnet. Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, meldet sich unter 0611/184 64 04 oder per Mail an mrosental@gmx.de oder schaut einfach mal vorbei.

Hilfe bei seelischen Problemen bietet auch die Telefonseelsorge Mainz/Wiesbaden, die unter dem Motto „Anonym. Kompetent. Rund um die Uhr“ jederzeit gebührenfrei erreichbar ist unter 0800/1110111 oder 0800/1110222 und unter www.telefonseelsorge-mz-wi.de auch Chat- und Mailberatung anbietet.