Als Andreas Brehme am 8. Juli 1990 zum Elfmeter antrat und diesen eiskalt im Tor des argentinischen Elfmeterkillers Sergio Goycochea versenkte, saß ich auf einem Bauernhof in der bayrischen Einöde. Während im restlichen Deutschland wenige Minuten später die Menschen auf die Straßen strömten, sich um den Hals fielen und die Autokorsos laut hupend umherfuhren, sagten sich in Weiler im Allgäu Fuchs und Hase gute Nacht. Damals war ich enttäuscht, dass ich bei der großen Party nicht dabei sein konnte. Heute wäre ich das nicht.
Sollte Philipp Lahm am 13. Juli wirklich den WM-Pokal überreicht bekommen, werde ich mich wohl in mein Zimmer verziehen und Hammerhead hören. Solange es Autokorsos gibt, ist das Benzin noch nicht teuer genug. Überhaupt ist mir dieser patriotische Überschwang suspekt, der regelmäßig bei Welt- und Europameisterschaften durch dieses Land schwappt. Kein Grund, so auszuflippen.
Ich freue mich trotzdem auf die Weltmeisterschaft. Ich freue mich darauf, den Fernseher einzuschalten, und es läuft Fußball. Ich freue mich auf die sogenannten Exoten, die den Großen hoffentlich das eine oder andere Bein stellen werden. Ich freue mich auf echte Typen, wie es sie mit René Higuita oder Roger Milla früher gab. In der stromlinienförmigen Bundesliga bekommt man solche Spieler kaum noch zu Gesicht. Ich freue mich auf die Liveübertragungen in meiner Stammkneipe und die dummen Kommentare, die fallen werden. Ich freue mich auf das Bangen und Hoffen, ob doch noch ein Tor fällt. Auf das Zittern im Elfmeterschießen. Auf das Fluchen nach einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters. Auf das „Goin‘ through emotion“. Selbst auf die Spielanalysen von Olli Kahn, in denen es nur um den Druck gehen wird, freue ich mich irgendwie. Am meisten freue mich aber auf hoffentlich großartigen Sport, bei dem die Besten gewinnen sollen – selbst wenn es die Niederländer sein sollten.
Aber etwas trübt meine Freude. Die Weltmeisterschaft findet in einem Land statt, das zwar zu den aufstrebendsten Wirtschaftsnationen der Welt gehört, in dem aber ein Großteil der Bevölkerung trotzdem in großer Armut lebt. Nicht auszudenken, was man mit den 10,5 Milliarden Euro, die die Weltmeisterschaft kosten soll, hätte anfangen können.
Aber gut, Fußball ist ein Geschäft. Big Business. Solange der Rubel rollt, geht man auch in Länder, die mit Fußball überhaupt nichts zu tun haben, wie zum Beispiel Katar. Da ist es dann auch egal, dass die Fußballstadien mit dem Blut von Gastarbeitern gebaut und dass diese wie Sklaven gehalten werden. Wer am meisten zahlt, bekommt die Weltmeisterschaft. Selbst, wenn sie dann in der Wüste stattfindet.
Ich weiß, Geld regiert die Welt. Und im Fußball besonders. Aber ein schaler Beigeschmack bleibt. Es geht los. Ich freue mich drauf.