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Falk Fatal genießt den Moment

FalkFatalIch liebe das Chaos, wenn alles durcheinanderläuft und nichts einer gewohnten Ordnung folgt. Wenn sich auf dem Schreibtisch Zeitungen und daraus herausgerissene Seiten stapeln und mit losen Blättern sowie Briefen der Eswe oder Naspa um den höchsten Berg wetteifern. Dazwischen achtlos liegengelassene Bücher, zurzeit „Nacht in der Stadt“, „Brief an Deutschland“, „Minima Moralia“ und „Abfall für alle“ (wie passend). Vollgeschriebene Notizbücher ruhen auf alten Moleskinekalendern, Kugelschreiber und Heftklammern liegen in den Schluchten und mitten im Getümmel, zwischen Tastatur und Monitor auf einem Stapel Kontoauszügen wie auf einem Thron balancierend, steht der Aschenbecher. Irgendwo dazwischen verstecken sich leere Kaffeetassen. Und über allem haben sich wie Puderzucker auf einem Kuchen kleine Schmierzettel verteilt.

„To Do“ steht auf einem, gefolgt von einer Auflistung größerer und kleinerer Aufgaben: Keller aufräumen, Treppenhaus putzen, Kolumne schreiben. Ein Zitat Samuel Becketts findet sich auf einem anderen: „Das ist der Fehler den ich gemacht habe… Eine Geschichte gewollt zu haben, wo das bloße Leben genügt.“

Links vom Schreibtisch das Fenster zum Hof, zum Leben. Schotter trifft auf Beton. Dann eine Mauer, noch ein Hof. Zwischen erleuchteten Fenstern eine Schneise. Sie gibt den Blick frei auf die Straße. Der Himmel wolkenverhangen, grau. Dämmerung. Welke Blätter wirbeln im Wind. Dann prasseln Regentropfen auf den Asphalt. Erst vereinzelt, dann immer mehr. Zwei hochgeklappte Kragen huschen auf dem Bürgersteig entlang. Nach Hause, zum Kiosk oder in eine Bar? Ich weiß es nicht. Es interessiert mich nicht.

Auf der Straße steigert sich das Hupkonzert vor der Ampel zum Crescendo. Eine Sirene ist zu hören. Erst leise, dann immer lauter, näher kommend. Blaulicht blitzt auf, dann zieht eine Karawane von Rettungswagen vorbei. Das Hupkonzert verstummt. Dann werden die Signalhörner leiser, bis sie irgendwann nicht mehr zu hören sind. Kurz Stille, dann beginnt das Konzert an der Ampel den zweiten Akt.

Das Kratzen der Nadel schreckt mich aus meinen Gedanken. Sie ist über die Endlosrille gerutscht und schleift jetzt auf dem Label. Ich stehe auf, drehe die Platte und lege die Nadel wieder auf das Vinyl. Es knistert, dann beginnt die Musik. Beruhigt lasse ich mich wieder auf meinen Stuhl fallen.

Es wird Abend in der Stadt. Der Winter ist da und die Cafés holen die Tische rein.

Ich wende meinen Blick wieder auf mein Chaos. Beckett hat recht. Doch in diesem Moment bin ich froh, dass das Leben da draußen auch ohne mich auskommt. Ich will einfach nur diesen Augenblick genießen. In meinem Chaos verharren, der Musik lauschen und meinen Rioja trinken. Das reicht für den Moment.

Kommt gut ins neue Jahr.

fatalerror.biz