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Falk Fatal spielt Karten

FalkFatal

Das Zimmer ist rauchverhangen. Leere Bierflaschen säumen Tisch und Boden. Müde Gesichter starren sich an. Ich brauche keinen Blick auf die Uhr zu werfen, um zu wissen, dass es schon spät ist. Seit Stunden wogt die Schlacht hin und her. Die Verluste auf beiden Seiten sind beträchtlich, der Raumgewinn dagegen ist ziemlich gering – fast wie 1916 in Verdun. Dann geht es plötzlich ganz schnell. Meine Linien brechen zusammen. Ein Land nach dem anderen fällt in die Hände des grausamen Usurpators, der die blauen Armeen befehligt. Meine Rotarmisten sind auf dem Rückzug. Binnen weniger Minuten hat sich das Gleichgewicht des Schreckens in eine drückende Überlegenheit des Bösen gewandelt. Zuletzt fällt Irkutsk.

Die roten Armeen sind geschlagen, vom Spielfeld gefegt. Die blaue Armee hat die Weltherrschaft an sich gerissen. Ich sehe den triumphierenden, irren Blick meines Freundes und höre sein diabolisches Lachen. Die Welt darf sich auf ein grausames Regime einstellen – bis zur nächsten Risikopartie.

Ich weiß nicht warum, aber dieses Spiel schafft es mühelos, die dunklen Seiten der Menschen hervorzukitzeln. Menschen, die sonst die Friedfertigkeit in Person sind, den Wehrdienst verweigert haben und auf jeder Anti-Kriegsdemo zu finden sind, verwandeln sich plötzlich in blutrünstige Monster und gewiefte Strategen, die mühelos Clausewitz nachspielen. So etwas erlebe ich sonst nur noch bei Monopoly, bei dem sich überzeugte Antikapitalisten plötzlich in windige Immobilienspekulanten verwandeln, die an einstigen Schmuddelecken wie der Turmstraße oder der Chausseestraße ein Haus nach dem anderen bauen und Hotels hochziehen, als gäbe es kein Morgen. Die sich dann über die steigende Mieten freuen und jubeln, wenn ein armer Tor sein gesamtes Hab und Gut opfern muss, wenn er an einer dieser hochglanzsanierten Ecken strandet. Und die sich am Spielgeld laben, wie sonst nur Dagobert Duck.

„Am Spiel erkennt man, was in einem steckt“, soll einst der Pädagoge Karl Friedrich Wilhelm Wander gesagt haben, der im 19. Jahrhundert lebte. Wenn das stimmt, hoffe ich, dass meine Freunde, mit denen ich mich früher zum Spielen traf, ihre dunkle Seite niemals an anderer Stelle als am Spielbrett ausleben. Nicht auszudenken, was Wiesbaden sonst bevorstünde. Am Ende würde die Stadt noch Platz 1 im Immobilienstandort-Ranking des Wirtschaftsmagazins Cash belegen, weil Anleger gute Renditen erwarten können und Mietern immer mehr Geld abverlangt wird. Schlimm wäre das, wirklich schlimm.

Ich habe den Brettspielen deshalb abgeschworen. Ich möchte meine dunkle Seite nicht kennenlernen. Ich spiele nur noch Karten. Das Diktatoren-Quartett macht mir besonders viel Spaß.

fatalerror.biz

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