Gastbeitrag von Dr. phil. Mohammad Tabatabai, Dipl.-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut mit Praxis in Wiesbaden.
Nowruz (der neue Tag) ist das schönste und wichtigste iranische Neujahrs- und Frühlingsfest, dessen Wurzeln zu mindestens der Zeit der Achämeniden zurückreichen. Dieses Fest, das tief in der iranischen Kultur und Gesellschaft verwurzelt ist, wurde in den letzten Jahrzehnten von den Mullahs unterschätzt und es wurde systematisch dagegen angegangen. Als ein Mehrvölkerstaat hat dieses Fest über Jahrtausende die iranische Gesellschaft unabhängig von religiös-ethnischer Zugehörigkeit miteinander verbunden.
Dieses Fest wird im großen persischen Kulturkreis und Kulturgebiet gefeiert. Das älteste und wichtigste iranische Fest beginnt mit dem astronomischen Frühlingsanfang, der gleichzeitig der Beginn des iranischen Kalenderjahres ist und nach der abendländischen Zeitrechnung etwa auf den 20./21. März eines jeden Jahres fällt. Die genaue Zeitberechnung der Tag-Nacht-Gleiche ist entscheidend für den Höhepunkt des Festes. Je nach Sonnenstand wird der genaue Zeitpunkt des Jahreswechsels (der astronomische Frühlingsbeginn) im Iran berechnet, welcher entweder auf den Nachmittag des letzten Tages des alten Jahres (20. März) oder auf den Vormittag des ersten Tages des neuen Jahres (21. März) fällt.
Weit verbreitet und bedeutsam
Nowruz ist das am weitesten verbreitete und bedeutsamste Fest der iranischen Gesellschaft sowie in vielen anderen Ländern der Region wie zum Beispiel Afghanistan, Aserbaidschan, den kurdischen Gebieten der Türkei sowie Irak. Sogar unter den iranischstämmigen Juden in Israel wird dieses Fest gefeiert.
Dieses Fest ist insbesondere entscheidend und das einzige Fest, das von unterschiedlichen Völkergruppen im Iran gefeiert wird. Religiöse, ethnische und kulturelle Zugehörigkeit spielen keine bedeutsame Rolle, da der Ursprung des Festes und dieser Tradition vor dem Islam entstammt und nicht einer einzelnen religiösen Zugehörigkeit vorbehalten ist.
Weltliches Fest hat sich durchgesetzt
Dieses weltliche Fest hat sich in den letzten Jahrtausenden trotz unterschiedlicher historischer Veränderungen und unter Drohungen durchgesetzt und überlebt. Die iranische Gesellschaft hat trotz der Vermischung ihrer Sitten und Gebräuche mit den arabisch-islamischen Werten und Traditionen ihren Kalender bewahrt.
Über den Ursprung und den Beginn von Nowruz gibt es unterschiedliche Meinungen. Am ehesten wird dieses Fest mit dem König Jamshid, dem mythischen iranischen König, in Verbindung gebracht. In der Sasaniden-Zeit (226-652 n. Chr.) war dieses Fest das wichtigste Fest in der iranischen Gesellschaft und sogar Menschen mit anderer religiöser Zugehörigkeit als Zoroastrismus konnten sich damit identifiziert und mitfeiern. In dieser Zeit wurde zwischen einem kleinen Nowruz (in den ersten fünf Tagen des Neujahres) und einem großen Nowruz (ab sechsten Tag des neuen Jahres) unterschieden. Ab dem sechsten Tag des neuen Jahres wurde im Königshaus weiterhin der Frühlingsanfang gefeiert. Nachdem zwölf Tage Nowruz gefeiert wurden, wird das Fest am 13. Tag in die freie Natur gezogen und es wird ausgiebig in der Natur gefeiert und ein Ausflug organisiert.
Nowruz und der Frühling
Im antiken Persien war der Kalender nicht organisiert. Im Jahre 467 nach iranischer Zeitrechnung (1006 nach Chr.) wurde durch den iranischen Dichter, Philosoph und Wissenschaftler „Omar Khayam“ eine Kalenderreform durchgeführt. Nach dieser Reform wurde der Nowruz auf den ersten Frühlingstag gelegt und die Schaltjahre (alle vier Jahre) mitgerechnet, um Nowruz an den Frühlingsbeginn zu koppeln.
Neben diesem Fest, welches als ein Symbol der Fruchtbarkeit, Erneuerungsriten und Auferstehung aufzufassen ist, bildet das Yalda-Fest ein weiteres wichtiges Fest (Nacht der Winter Sommerwende), das als Symbol des Sieges der Helligkeit, sowie des Glaubens an alte persische Mythologie und an den Kampf zwischen Gut und Böse in der iranischen Gesellschaft.
Rituale und Bräuche
Die Vorbereitungen für Nowruz sind mit bestimmten Ritualen und einigen Bräuchen verbunden. Der sogenannte Frühlingsputz ist der wichtigste Teil dieser Vorbereitung. Dabei reinigen Menschen ihre Häuser und entsorgen gebrochene und beschädigte Gegenstände. Sie dekorieren schöne Blumentöpfe und stellen diese gepflanzten Töpfe an ihre Fenster.
Trotz der Verbote und Einschränkungen nach der islamischen Revolution im Iran wird weiterhin ein zoroastrisches Reinigungsritual in der iranischen Gesellschaft praktiziert, und Menschen wenden sich zunehmend diesen Sitten und Gebräuchen zu und distanzieren sich von den islamischen Werten.
Kurz vor iranischem Neujahr am letzten Dienstag des letzten Jahres springen die Iraner über das Feuer als ein zoroastrisches Reinigungsritual aus. Ein uralter iranischer Ritus bereitet sich ab dem siebten Jahrhundert vor Christus in dem iranischen Kulturraum aus. Das Gotteslicht als Sieger und das ewig brennende Feuer und ein Symbol für die vollkommene Reinheit. Dabei sprechen sie singenden zum Feuer die Worte: „Meine Blässe (=mein Schädliches) möge dir gehören, deine Röte (= dein gutes) mir. Meine Kälte ich dir, deine Wärme ist mir“.
Festlich gedeckter Nowruz-Tisch
Ein wichtiges Brauchtum des Neujahrsfestes ist der sogenannte Nowruz-Tisch. Auf einem festlich gedeckten Tischtuch oder auf dem Boden werden sieben Gegenstände ausbreitet, welche in der persischen Sprache mit dem Buchstaben S (pers. Sin) beginnen. Sabze (weizensprossen), Samanu (eine süßliche Speise aus Weizenkeimen), Sir (Knoblauch), Serke (Essig), Somagh (saures Geürz), Sib (Apfel) und Senjed (Mehlbeeren).
Hinzu kommen weitere häufig angewendete Symbole wie zum Beispiel Spiegel ein Symbol für Glück und Reflektieren (Hyazinthe, Weihrauch, bemalte Eier sowie Gedichtband von Hafez, bei Zoroastriern eher das heilige Buch Awesta oder bei Muslimen der Koran. Diese sieben sinnbildlichen Gegenstände symbolisieren Gesundheit, Schönheit, Fruchtbarkeit, Geduld, Weisheit, Überwindung, gute Atomsphäre und Harmonie wie Besinnung.
Gegenseitigen Besuchen von Verwandten und Freunden sind weitere schöne Nowruz-Zeremonien und Rituale. Der Nowruz-Besuch ruft alle Menschen zur Versöhnung auf und bietet ihnen gegenseitig die Möglichkeit und die Gelegenheit, zu verzeihen, an.
Seit September 2019 wurde Nowruz durch die UNESCO in die Liste der „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ aufgenommen. Durch den Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde Nowruz als internationaler Nowruz-Tag anerkannt. Nach Angaben der UNO beteiligen sich mehr als 300 Millionen Menschen an dieser Festlichkeit.
(Foto: privat)
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