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Flüchtlingsstatus: Selbstständig – Geschäftsleute in neuer Heimat Wiesbaden zwischen Hürden und Hoffnung

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Kai Pelka.

Sie sind noch Einzelfälle: Flüchtlinge, die den Weg in die Selbstständigkeit wagen. Hürden sind hoch, realisierte Geschäftsideen jedoch vielversprechend. Vier Beispiele aus Wiesbaden.

„Mach eine Geschichte über Flüchtlinge in Wiesbaden als Unternehmer“, lautet mein Auftrag. Das kann ja nicht so schwierig sein, denke ich. Schließlich habe ich zum Beispiel die Facebook-Seite „Flüchtlinge sind Menschen wie du und ich“ abonniert, die mir täglich positive Nachrichten in die sonst nicht eben aufbauende Timeline spült. Vom Syrer, der in Darmstadt ein Café eröffnet hat und verlockende Frühstücks-Büffet-Fotos postet. Vom Cateringservice „Chickpeace“ aus Hamburg, mit dem Frauen aus verschiedenen Ländern sich eine Existenz aufzubauen versuchen. Vom „orientalischen Friseur“ in Pasewalk. Aber in Wiesbaden? Anfragen bei den einschlägigen Institutionen – Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, Exina, Berufswege für Frauen – ergeben erst mal sehr wenig.

„Fragen Sie in einigen Jahren nochmal“, empfiehlt Handwerkskammer-Pressesprecher Dirk Kornau. „Erst mal sind die ja jetzt noch in Ausbildung.“ Und Melanie Dietz von der IHK berichtet: „Im März 2018 hatte IHK-Gründungsberater David Bothur zusammen mit unserem Willkommenslotsen Gerald Beinlich einen Vortrag zum Thema Existenzgründung vor geflüchteten Menschen gehalten. Eingeladen hatte das Freiwilligen-Zentrum Wiesbaden, das ein Pilotprojekt `Flüchtlinge Gründen´ geplant hatte. Aufgrund mangelnder Nachfrage wurde das Projekt jedoch nicht umgesetzt.“ Die IHK-Sprecherin zitiert zudem den bundesweiten IHK-Gründerreport 2017: „Neben Ausbildung und Beschäftigung ist die unternehmerische Selbstständigkeit eine gute Möglichkeit für geflüchtete Menschen zur Integration in die Arbeitswelt. Vom Sommer 2015 bis Frühjahr

2016 erkundigten sich rund 150 Geflüchtete bei den IHKs zur Selbstständigkeit. In den folgenden Monaten ist die Zahl deutlich angestiegen. Für 2016 melden die IHKs rund 700 gründungsinteressierte Flüchtlinge.“ Klingt nach einer Hausnummer. Diese relativiert sich aber bei genauem Hinsehen: „In Relation zur Gesamtzahl ist der Anteil nach wie vor aber gering. Die IHKs berichten von ersten Existenzgründungen von Flüchtlingen zumeist im Handel oder in der Gastronomie, vereinzelt auch in der IT-Branche. Neben schwieriger Finanzierung sehen die IHKs vor allem Rechtsunsicherheit und mangelnde Deutschkenntnisse als Starthürden.“ Aus Wiesbaden fällt Dietz auf Anhieb auch nur einer ein, der allen Hürden trotzt – sein Name fällt aber immer wieder.

Geschäftsidee: Produkte mit Geschichte

„Musterbeispiel für Integration“, „Best Practice“  – es kommt viel Positives, sobald der Name Bledion Vladi auftaucht. Der 23-Jährige Albaner ist tatsächlich einer, der beeindruckt. 2015 ist er mit seinen Eltern und drei Brüdern nach Deutschland gekommen. Damals sprach er kein Wort Deutsch. Im März 2019 hat er gemeinsam mit der Wiesbadener Pädagogin Kristine Tauch ein „Social Business“- gegründet: „The Story Store“. Hier sollen „Produkte mit einer Geschichte“ verkauft werden. Allen voran das Buch „Warum wir hier sind – Reisegeschichten aus unserer Welt“. Es wurde per Crowdfunding finanziert und ist seither auch Basis für verschiedenste Veranstaltungen mit großer Resonanz. Aber im „Story Store“ gibt es auch T-Shirts und Taschen, künstlerische Unikate und mehr. Derzeit sind etwa zehn Produkte im Angebot. Es werden mehr, verspricht Vladi. Er hat Kristine Tauch kurz nach seiner Ankunft in Deutschland bei einem Stammtisch „Wandern mit Flüchtlingen“ kennen gelernt. Auch sie war damals neu in Wiesbaden und ebenso voller Tatendrang wie der junge Albaner, der sich ins Lernen der deutschen Sprache buchstäblich hineinkniete und durch eine Nachbarin ein Stipendium an einer prestigeträchtigen Privatschule in Bad Homburg vermittelt bekam. Mittlerweile studiert er Digital Business Management.

Ein halber Meter Formulare  – Businessplan und Bürokratie

Gemeinsam mit Tauch gründete er den „MasterPeace-Club Wiesbaden“, eine internationale Organisation, die sich für Frieden und interkulturelle Freundschaften einsetzt. Mit „MasterPeace“ liefen in Wiesbaden schon diverse Aktionen wie eine Rheinufer-Reinigung oder die Gestaltung einer hässlichen Betonwand in der Mainzer Straße durch Graffiti-Profis und Flüchtlinge. Die Idee, sich mit dem „Story Store“ selbstständig zu machen, reifte währenddessen. „Es war aber nicht so einfach mit der deutschen Bürokratie“, sagt Bledion Vladi. Man sei seitens der Behörden relativ skeptisch gewesen, außerdem war er mit seinem Ansinnen, sich als Geflüchteter selbstständig zu machen, ein Präzedenzfall.

„So hoch“, sei der Berg von Formularen gewesen, durch den er sich kämpfen musste, sagt Bledion, und zeigt etwa einen halben Meter Höhe an. Er musste seinen Businessplan und alle anderen Unterlagen der Ausländerbehörde vorlegen, „die damit wenig Erfahrung hatte.“ Doch Bledion Vladi ist keiner, der schnell aufgibt. Auch wenn er, sobald er mit Kristine Tauch unterwegs war, kaum noch an Gesprächen teilnahm: „Es wurde immer nur sie angesprochen, als Deutsche halt.“ Auch das steckte er weg.

Die beiden sind nun gleichberechtigte Geschäftsführer der GbR, die Anfang März eingetragen wurde. Einen Kredit brauchte man nicht, da das Startkapital aus Crowdfunding- Erlösen und Preisgewinnen stammte – zum Beispiel von der Hertie-Stiftung und vom Social Impact Lab Frankfurt.  Es gibt zu jedem Päckchen die Geschichte – eine wahre Geschichte muss es sein, sagt er und überreicht stolz seine Visitenkarte, auf der er als „CEO“ ausgewiesen ist. „Wir hören uns auch gerne eure Geschichte an. Vielleicht wird was draus.“

Am Anfang flossen viele Tränen

Marwand Roshand, oder „Zory“ – ihr zweiter Vorname, den sie als Label für ihren Kosmetiksalon gewählt hat – ist ein ganz genauso positiv, kämpferisch und bildungshungrig eingestellter Mensch. Und das, obwohl die junge Frau mehr als eine Hürde überwinden musste, bevor sie hier, im Untergeschoss eines Friseursalons in Wiesbaden-Erbenheim, ihr eigenes Ding aufziehen konnte. Man kann sich hier in der Berliner Straße 268 komplett, von Kopf bis Fuß, verschönern und pflegen lassen – Haare, Füße, Nägel und eben Gesichtsbehandlungen bei Zory. Die 32-Jährige kam bereits 2002 mit 17 aus Afghanistan. „Die Taliban“, sagt sie nur. „Wir Mädchen konnten nicht in die Schule.“ Nach Bildung hungerte es Zory aber, und so entschlossen sich zwei Töchter der großen Familie, nach Deutschland zu gehen.

„Es war schwer“, sagt Zory, sie beschönigt da nichts. Erst einmal Deutsch lernen, dann die Schule besuchen – und all das ganz allein, „ich habe viel geweint“, erinnert sie sich. Ein zusätzliches Problem war ihre Krankheit – ein gutartiger Tumor im Hals, der aber ihre Stimmbänder so beeinträchtigte, dass sie heute nur noch flüstern kann. Sie ist in Behandlung, „es wurde so viel versucht, aber laut sprechen werde ich wohl nicht mehr können“, meint sie. Das hindert sie aber nicht daran, lebhaft davon zu erzählen, wie sie sich hier in Deutschland Bildung erarbeitet.

Schönheitsexpertin mit großen Zielen

Nach ihrem Hauptschulabschluss wollte sie weiter zur Schule gehen, wurde aber eher in Richtung Ausbildung beraten und fing zunächst als Damenschneiderin an. „Aber das hat mir nicht gefallen“, sagt sie. Sie ließ sich dann an der Berufsfachschule für Kosmetik zur staatlich geprüften Kosmetikerin ausbilden. „Das hat Spaß gemacht“, sagt sie strahlend. „Ich habe mir dann auch gleich einen Gewerbeschein besorgt, um mich selbstständig zu machen.“ Nun ist sie seit Sommer vergangenen Jahres in Erbenheim. „Es könnte ein bisschen besser laufen“, sagt sie ehrlich. Einen Kredit hat sie nicht bekommen, hat sich das, was sie zur Einrichtung ihres kleinen Studios brauchte, selbst zusammengespart oder von ihrer Schwester, die mittlerweile verheiratet ist und eine Ausbildung zur Konditorin gemacht hat, geliehen. „Es ist aber auch immer noch in meinem Kopf, Abitur zu machen und zu studieren“, sagt die fröhliche Schönheitsexpertin. Man traut es ihr zu.

Hundert Angestellte in Damaskus – und Neustart in Wiesbaden

Damaskus muss einst eine wunderbare Stadt gewesen sein. „Es war für seinen regen Handel bekannt“, sagt Khaled Alfaouri und schaut dabei ein bisschen traurig. Auch sein Vater Jamal war daran beteiligt, er hatte eine Firma für schicke Damen- und Herrenbekleidung mit 100 Angestellten. Jetzt fängt er in Wiesbaden ganz neu an. Alfaouri ist ein elegant gekleideter Mann, sein Sohn, der dolmetscht, ebenfalls. Der Vater hat die A2-Deutschprüfung auch bestanden, ist aber ein wenig schüchtern. Dafür kann er wunderbare Dinge nähen. Upcycling ist sein Stichwort: Aus alten Kleidern macht er neue, hat sich gerade bei der Kreativ-Messe mit einem schicken Minikleid um einen Preis beworben. „Wir haben auf dem Basar des deutsch-amerikanischen Frauenclubs viele tolle Sachen gekauft und Jamal macht jetzt noch tollere daraus“, sagt Dagmar Weber. Sie ist inoffizielle Patin der Familie, die auf dem Umweg über Ägypten nach Deutschland kam.

Vier Söhne hat Jamal. Er kam mit dem Ältesten 2014 über das Mittelmeer nach Italien, holte später die anderen nach. „Wir wollten nach Deutschland“, übersetzt der Sohn. „Wir wussten, dass dort auch nach dem Zweiten Weltkrieg viele Flüchtlinge aufgenommen wurden und es hier geschafft haben. Wir dachten, die Deutschen können unsere Situation verstehen.“ Jamal hat mit Webers Hilfe den Laden in der Luisenstraße 3 angemietet, auch eine Wohnung direkt darüber gefunden. Dagmar Weber kümmert sich um alles, auch wenn die Familie angesichts der deutschen Bürokratie beim Gründen manchmal kurz vor dem Verzweifeln war.

Einen Kredit gab es nicht

Exina hat sich um den Start mit Businessplan und Co. gekümmert. Einen Kredit gab es  natürlich nicht, „wir haben alles gebraucht gekauft“. Das Atelier ist schick, es gibt weiße Polsterstühle, einen roten Teppich, rosa Gardinen, Nähmaschinen, genug Platz zum Zuschneiden und Anprobieren. Jamal näht bezahlbare Ballkleider für alle Gelegenheiten. Auch Brautkleider fertigt er an oder ändert sie. Unterstützt wurde er auch von Elke Gruhn vom Nassauischen Kunstverein. Von ihr kam die Idee, aus ausgedienten Ausstellungs-Bannern Taschen, Wäschesäcke und andere Textilobjekte zu machen. Das Label heißt „Wilhelm und Wilhelmine“, der Nähe zu Wiesbadens Rue geschuldet. Und über die Lage, fast an der Ecke Wilhelm/Luisenstraße, ist der Designer ganz glücklich. „Wir laufen hier ganz viel rum und schauen uns an, was die Wiesbadener so tragen“, sagt Dagmar Weber. Vielleicht gibt es mal eine Modenschau, syrische kulinarische Spezialitäten inklusive, dazu eine mehrsprachige Gedichtlesung aus Werken des kreativen Sohnes? Das Atelier kann man sich gut als Kulturort vorstellen. „Wir wollen ja arbeiten, kreativ sein.“

Und dann geht Abdul noch mit mir über die Wilhelmstraße, nachdem er erfahren hat, dass ich auf Suche nach „Flüchtlingen als Unternehmer“ bin und es ganz schön schwierig ist, solche zu finden. „Ich hab in einer der Passagen doch diesen Parfümladen gesehen… und ich glaube, der Inhaber kommt auch aus Damaskus.“ Recht hat er: Bei „Dio Lio“ empfängt uns Abdulelah Osman, ebenfalls aus Syrien vor dem Krieg geflüchtet und mit seiner Frau und den beiden Töchtern in Offenbach gelandet.

Duftendes Geschäft mit Rohstoffen aus Grasse

Auch er hatte in Damaskus einen Laden – ebenfalls ein Parfümgeschäft. „Ich wollte das hier auch“, sagt er. Gerne hätte er es in Frankfurt  oder Berlin versucht, „aber die Mieten waren nicht zu stemmen.“ Im Internet stieß er auf den Laden in der Wilhelm-Passage und eröffnete hier kurz vor Weihnachten sein wohlduftendes Business. Die Idee: Parfüm selbst mischen. Die Rohstoffe bestelle er im französischen Grasse, der weltbekannten „Parfüm-Hauptstadt“, erzählt Osman. Diese mischt er oder lässt die Kundinnen eigene Duftnoten kreieren. Dazu gibt es Körperöle und Duftkerzen.  Khaled hört aufmerksam zu – und die beiden Syrer aus Damaskus, die sich hier in Wiesbaden zum ersten Mal sehen, vernetzen sich prompt. Vielleicht gibt’s ja beim Modenschau-Event dann auch die Dio Lio-Duftbar? Syrische Geschäftsideen, die zusammen passen.

Zwei Tage nach Ende meiner Recherchen postet Bledion Vladi bei Facebook einen interessanten Artikel aus dem „Startup Guide“, einer Webseite für Gründer. Es passt zu dem, was ich gehört habe, was dort zu lesen ist: In Deutschland, Polen und Österreich ist es europaweit am schwersten für Gründer. Nur drei Prozent der Migranten trauen sich das zu – aber immerhin, es sind nur 2,3 Prozent aller Menschen mit Abschluss. 709.000 Migranten-Gründer gibt es in Deutschland, sie haben 1,3 Millionen Jobs geschaffen. Das trägt ja schon einiges zur Volkswirtschaft bei. Vielleicht wird es auch noch mal mehr.