Von Sebastian Wenzel. Fotos Tim Dechent.
Couchsurfer reisen um die Erde, übernachten bei wildfremden Personen und machen Erfahrungen, die ihr Leben verändern. Auch Wiesbaden ist Ziel und Ausgangspunkt für Couchsurfer. Mehr als vier Millionen Menschen in über 230 Ländern machen bereits mit. Sie fahren und fliegen rund um die Erde. Sie treffen sich mit fremden Menschen und schlafen kostenlos in deren Wohnungen. Sie rollen ihre Isomatten auf den Boden, schlummern auf Sofas oder kuscheln sich in richtige Betten. Couchsurfing ist eine neue Art zu reisen. Wer sich auf der Internetseite couchsurfing.org anmeldet, ist dabei. Um ein vollständiges Mitglied der Gemeinschaft zu werden, reicht das aber nicht.
Die Einstellung muss stimmen. Couchsurfing ist mehr als nur eine billige Alternative zu Hotels. Es ist eine Lebensphilosophie. Sie verbindet Menschen und Kulturen. Da sind zum Beispiel Rajiv aus Indien, Charlotte aus Frankreich oder Niek aus Holland. Sie alle suchten Mitte Juni ein Sofa in der hessischen Landeshauptstadt oder in der Nähe davon. Auswahl hatten sie genug. Über 500 Wiesbadener sind auf couchsurfing.org registriert. Darunter ein 55-Jähriger Landschaftsarchitekt, eine 41-Jährige Lehrerin und ein 20-Jähriger Student. Einige sind seit Jahren dabei, andere seit Wochen.
„Fallt nicht direkt ins Bett!“
Malvine Schädler (Fotos) ist seit 2008 auf der Plattform angemeldet. Ihr Tipp für Anfänger: „Nehmt euch Zeit für fremde Kulturen und eure Gastgeber. Unterhaltet euch mit ihnen. Fallt nicht direkt nach der Ankunft ins Bett.“ Wer den Ratschlag beherzigt, findet schnell neue Freunde. In Paris picknickte Malvine mit ihrem Gastgeber an der Seine. In Riga traf sie einen Künstler mit außergewöhnlichen Haustieren. In seinem Terrarium krabbelten zwei Kakerlaken. In Indien fuhr die Wiesbadenerin mit ihrem Gastgeber auf einem Roller fünf Stunden in die Berge, um eine Teeplantage zu besichtigen.
Die Lebenseinstellung vieler Couchsurfer lautet: Fremde sind Freunde, die wir nur noch nicht getroffen haben. Einige Gastgeber überreichen Besuchern die Schlüssel zu ihren Wohnungen. Nur selten wird das Vertrauen missbraucht. Im Januar 2011 übernachtete ein Couchsurfer bei einer jungen Wiesbadenerin. Er klaute ihren Laptop und eine Kamera. Das Opfer erstattete Anzeige bei der Polizei. Solche Vorfälle sind Einzelfälle. Die Gemeinschaft schützt sich vor Kriminellen so gut es geht. Die Nutzer warnen sich in Foren vor Gefahren. Couchsurfer bewerten sich außerdem nach dem Aufenthalt gegenseitig. Wer seine Identität überprüfen lässt, erhält ein verifiziertes Profil – wie zum Beispiel der Wiesbadener Frank. Der Jurist möchte sein Berufs- und Privatleben trennen und seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. Frank ist seit 2010 bei Couchsurfing dabei und hat nur gute Erfahrungen gemacht. „Bevor ich jemanden bei mir übernachten lasse, lese mir die Profile und Bewertungen allerdings genau durch“, sagt der 36-Jährige. Sein Fazit: „Ich hätte einen interessanten Teil meines Lebens verpasst, wenn ich mich nicht auf couchsurfing.org angemeldet hätte.“
Nicht alle Couchsurfer suchen ein Sofa. Manche freuen sich auch, wenn Wiesbadener mit ihnen einen Kaffee trinken oder ihnen die schönsten Ecken und Kanten ihrer Heimat zeigt. Frank fährt mit seinen Gästen auf den Neroberg, spaziert mit ihnen durch die Weinberge oder feiert mit ihnen im Irish Pub. In Mainz und Frankfurt gibt es regelmäßige Treffen von Gastgebern und Couchsurfern, die gerade in der Stadt weilen. Dort trifft man die Welt, ohne seine Heimat zu verlassen. Und viele Fremde, die vielleicht bald neue Freunde sind. Die Wiesbadener sind nicht so aktiv. Sie verabreden sich eher sporadisch, zum Beispiel auf dem Kranzplatzfest. Dafür haben sie eine andere Leidenschaft, so wie alle Couchsurfing-Mitglieder. Sie reisen gerne durch die Welt. Auch Malvine plant bereits ihre nächste Tour. Sie fliegt nach Nairobi. Wo sie schlafen wird, weiß sie noch nicht. Die Wiesbadenerin muss sich darum aber keine Sorgen machen. In der Hauptstadt von Kenia sind über 400 Couchsurfer registriert.