Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Kai Pelka.
Es ist ein Paradies für Leckermäulchen jeden Alters: In der „Kunder Chocolateria“ weiß man gar nicht, wo man zuerst hinsehen soll. Nostalgisch gestaltete Pralinenschachteln in jeder Größe, dazu dann Dutzende bunter Spezialitäten an der Frischtheke. Und die gerade neu gestaltete Café-Ecke lädt ein, ganz gemütlich einen Cappuccino oder eine heiße Schokolade zu genießen. Kunder ist in Wiesbaden ein Begriff, und das bereits seit 120 Jahren.
Damals kam das Ehepaar Fritz und Hermine Kunder in die mondäne Kurstadt und eröffnete eine Konditorei. Historische Bilder aus dieser Zeit und den späteren Jahrzehnten sind auch heute noch im Kunder-Stammhaus auf der „Rue“ zu sehen. Und auch heute noch tragen die Verkäuferinnen blütenweiße Schürzen mit Rüschen. Das gehört einfach dazu – und wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Aber: Natürlich ist Kunder auch mit der Zeit gegangen. Auf der Webseite präsentiert jede der sieben Verkäuferinnen ihre Lieblingspraline. „Wer nicht selbst gerne Süßes nascht, ist hier definitiv falsch“, nennt Chefin Christa Schön ein klares Einstellungskriterium. Auch sie selbst könne gar nicht genug von den tollen Pralinen bekommen.
Vom Praktikanten bis zum Chef – alles „Schokoholiker“
Den Direktzugang zu den Leckereien lernen auch die Schülerpraktikanten schnell zu schätzen: „Die wollen nach den üblichen zwei Wochen gar nicht mehr weg hier“, lacht die Chefin des Schokoladenreiches. Geschäftsführer des Familienbetriebs ist mittlerweile in vierter Generation Jürgen Brand, von Hause aus Lebensmitteltechnologe und selbstverständlich auch ein echter „Schokoholiker“. Und dazu ein äußerst kreativer Kopf: Jürgen Brand ist es ein Anliegen, genau wie seinem Urgroßvater, die Spezialitäten fest in ihrer Heimatstadt zu verankern.
Die Urgroßeltern sind für die Rezeptur der heute noch unverändert angebotenen „Wiesbadener Ananastörtchen“ verantwortlich, die um die Jahrhundertwende mit damals exotischen Zutaten wie Nougat, Marzipan und Ananas die Kurgäste begeisterten. Jürgen Brand kreiert mit seinem Team seit einigen Jahren immer eine „Praline des Monats“, dafür sucht er sich jeweils Wiesbadener Partner aus. So konnte schon die Tanzschule Weber als Inspiration für Walzer- oder Tangopralinen dienen, den Spielplan des Staatstheaters setzte man bei Kunder ein Jahr lang in süße Geschmacksrichtungen um. Im vergangenen Jahr waren es Kunstwerke aus dem gegenüber gelegenen Landesmuseum, die Pralinenkunstwerke inspirierten. Noch heute schwärmen Christa Schön und Jürgen Brand von der exklusiven Museumsführung, bei der sie sich die Bilder aussuchten, die den Chocolatiers in der Manufaktur als Inspiration dienten.
Discokugel-Praline zum Jubiläum
„Und dieses Jahr feiern wir uns zum 120. Jubiläum einfach mal selbst mit Pralinenkreationen“, meint Jürgen Brand: Jedes Jahrzehnt bekommt eine Praline, so gibt es für die 80er eine silberne „Discokugel“ mit fruchtig-alkoholischem Inhalt. Die „90er-Praline“ erinnert an den Geiger Yehudi Menuhin, der seinerzeit in Wiesbaden gastierte und eine Geige aus Krokant als Gastgeschenk erhielt. Auch andere Ereignisse oder Menschen aus Wiesbaden regen Jürgen Brand dazu an, eine besondere Praline zu kreieren. Das „Velvets“-Theater etwa hat eine „Kleiner Prinz“-Praline bekommen, und als das niederländische Königspaar vor einigen Jahren zu Gast war, gab es eine „Oranje“-Praline für den adligen Besuch.
Eigene Manufaktur und Pralinenworkshops
Was besonders gut ankommt, bleibt im Programm. Andere Pralinen des Monats sind tatsächlich vergängliche Kunstwerke, die nur vier Wochen lang dem Gaumen schmeicheln. Doch es sind längst nicht nur Pralinen, die Kunder in seiner Manufaktur in der Dotzheimer Straße herstellt. Es gibt Schokoladentafeln in vielen Sorten, darunter auch zwei Rheingau-Schokoladen mit Wein in einer Künstlerverpackung von Michael Apitz. Es gibt Käsegebäck, Stollen, Macarons, ganz neu sind auch Cookies nach im Keller entdeckten Rezepten von Großmutter Lilly. Firmenkunden können besondere Verpackungen ordern, in ganz Deutschland sind „Städtepralinen“ zu haben, für die die eigenen Grafiker Schachteln mit Lokalkolorit entwerfen. Eine Spezialität sind auch saftige Früchte in Schokoladenumhüllung. Und wer selbst mal Pralinen herstellen will: Einmal im Monat wird seit neuestem ein Pralinenworkshop angeboten, in den Räumen des Landesmuseums. Dort kennt man sich ja bestens aus. www.kunder-confiserie.de