Interview Dirk Fellinghauer. Fotos Thorsten Haun.
Als Überraschungs- und Stargast beim letzten Exground-Filmfest begeisterte und berührte Anne Clark, deren große Hits „Sleeper in Metropolis“ und „Our Darkness“ ihren Kultstatus begründeten, das Festivalpublikum. Bevor ihre Filmbiographie „I´ll Walk Out Into Tomorrow“ im ausverkauften Caligari lief, trafen wir die warmherzige, witzige und bescheidene Britin, die aber auch sehr wütend werden kann, zum komplett entspannten („Wie viel Zeit haben wir?“ – „Keine Ahnung, so viel Zeit, wie du hast …“) Interview im Kinofoyer. An der Seite der 57-Jährigen der Filmemacher Claus Withopf, der uns berichtete, dass er mit seinem Film ein Bild der „zeitlosen“ Anne Clark vermitteln wolle und bewusst den Fokus auf die Texte und Botschaften gerichtet habe: „Mit der Zeit wurde es aber auch immer persönlicher, das fand ich ebenso interessant. Dahinter steht die Idee und Vorstellung, dass, wenn man solche Texte schreibt wie Anne Clark, es einfach persönlich sein muss, weil es sich einfach so echt anfühlt.“
Was für ein Gefühl ist es für Sie, Gegenstand eines Kinofilms zu sein?
Es ist so unglaublich, überhaupt in dieser Position zu sein. Meine Karriere dauert nun fast vierzig Jahre. Das ist für mich unfassbar, wenn man meinen Background bedenkt – wo ich herkomme, wer ich bin, was meine Perspektiven waren und was daraus geworden ist. Wenn dann noch jemand kommt und das dokumentieren möchte, ist das etwas sehr Besonderes. Ich habe mich aber auch etwas unwohl gefühlt.
Was hat Ihnen Unbehagen bereitet?
Es ist ein bisschen so, wie unter dem Mikroskop zu sein. Auf der Konzertbühne habe ich die Kontrolle, was geschieht, bei einem solchen Film muss ich die Kontrolle abgeben. Und Claus ist in der Art, wie er als Regisseur arbeitet, manchmal gnadenlos. Er geht wirklich ans Eingemachte. Das macht es manchmal schwierig, weil es Perioden in meinem Leben gab, die nicht so großartig waren. Aber es ist eine große Ehre, wenn jemand einen solchen Film macht. Ich bin nur irritiert, warum sich irgendjemand dafür interessieren könnte (lacht).
Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, ein ganzes Leben, eine ganze Karriere in 80 Filmminuten zu packen. Würden Sie trotzdem sagen, wir sehen im Film eine Art „komplette“ Anne Clark?
Das kann ich nur schwer beantworten. Natürlich hat man nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung. Der Film fängt Teile meines Lebens zu bestimmten Zeitpunkten ein, das ganz bestimmt. Aber wir entwickeln und verändern uns ständig. Die Person, die ich vor zwei Jahren war, vor zehn Jahren, ist eine andere als die, die ich heute bin. Es ist auf jeden Fall wundervoll, ein Dokument wie dieses zu haben.
Sie wirken erstaunlich offen, offenbaren viel Persönliches.
Diese Zeiten gerade, wo gilt, erfinde alles, was du willst, erzähle alles, was du willst, schaffe jede Wirklichkeit, die du willst, das widerstrebt sehr meinem Wesen. Manchmal bin ich dann sicher zu offen und zu ehrlich oder direkt. Es ist ein bisschen ein Gegenteil von dem, was gerade los ist auf dieser Welt, wo Dinge wahr erscheinen, aber nicht wahr sind. Alles wird zu viel. Es ist an der Zeit, dass wir alle still sind, dass wir wirklich alle einen Schritt zurücktreten und ruhiger werden Dass wir einfach tief durchatmen, bevor wir irgendetwas sagen und machen.
Wie schaffen Sie es, durchzuatmen?
Ich habe mich zurückgezogen und mehr oder weniger aufgehört mit dem Musikmachen. Ich würde gerne Projekte machen, aber sehr ausgewählt und gezielt. Und hoffentlich etwas, was den Menschen etwas anbietet, das ganz anders ist als diese wirklich schreckliche Politik und all diese schrecklichen Sachen. Ich versuche, nichts herauszuschreien, mich nicht aufzuregen, nicht den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben. Schaut auf euch selbst. Und realisiert, dass die einzigen guten Dinge die passieren, jene zwischen dir und mir sind, zwischen den Menschen sind. Die Politik, diese Wegwerf-Konsum-Mentalität – Black Friday, what the fuck ist that!? – als hätten wir nicht schon genug Mist, den wir nicht brauchen!
Sind „die Guten“, zu denen wir Sie auch mal zählen, in diesen Zeiten nicht erst recht gefragt?
Nein. Weil ich müde und erschöpft bin von der Welt. Ich bin sehr leidenschaftlich, wenn es um Ungerechtigkeit geht und Dinge, die falsch laufen. Es ist einfach zu viel. Meine wahre Liebe ist es, mich mehr und mehr der Kultur, der Kunst, der Natur und der Spiritualität, die nichts mit Religion zu tun hat, zu widmen. Kunst wird uns retten, hoffe ich.
Sind Sie komplett pessimistisch über den Zustand der Welt?
Ich bin komplett pessimistisch über den Zustand der Menschheit. Es gibt wunderbare, wunderschöne, intelligente, kreative, mitfühlende Leute da draußen. Sie werden einfach weggedrängt von dieser Welle aus … was ist es eigentlich – was ist all dieses Brexit, Trump, Terror, Materialismus, Gier, Geld? Sind das unsere Werte?
Der Film schildert sehr eindrucksvoll, wie Sie als junge Künstlerin nach den unglaublichen Erfolgen plötzlich „dank“ des gnadenlosen Gebarens Ihrer Plattenfirma vor dem Nichts standen. Dabei hatten Sie am Anfang einen Plattenvertrag, der fair klang, mit einer 50:50-Aufteilung …
Ja, mit dem Indie-Label, klar. Das hätte prima laufen können. Diese beiden Songs „Sleeper In Metropolis“ und „Our Darkness“ wurden auf einmal so groß – David Harrow (Anne Clarks musikalischer Partner) und ich waren einfach zwei Kids aus South London, die kleine Shows mit dieser Post-Punk-Energie spielten, wir hatten eine großartige Zeit – und plötzlich ging es in Amerika und Australien und Deutschland durch die Decke und wurde richtig groß. Wir gingen hier auf Tour, machten Promotion dort, wir haben ein wenig Geld verdient, die Sache lief und wir kamen gar nicht darauf, Fragen zu stellen. Das war der Anfang des Schlammassels. Das größte Problem ist, dass ich alles bin, was die Musikindustrie hasst – ich bin kein Popstar, ich bin kein Babe, ich bin kein Rock Chicken. Sie fragen sich: Wie zur Hölle kann dieses Punkfrau es schaffen, dass Leute sie hören wollen? Ich weiß es ja selbst nicht.
Bevor Sie selbst als Musikerin groß rauskamen, haben Sie Konzerte und kleine Festivals in einem besonderen Theater organisiert.
Es war ein kleines Theater. In East-Croydon gab es das Haus, wo ich gelebt habe, eine Bahnstation, ein Plattenladen um die Ecke und ein sehr nettes kleines unabhängiges Theater. Sie waren etwas radikal, independent, aber eben ein Theater. Und dann gab es da diesen Plattenladen. Das war 1976,77 .. als Punk explodierte. Siouxie and the Banshies, Generation X, The Damned, all diese Musiker kamen mit dieser Explosion von Energie. Wow! Diese Dynamik war überall präsent. Dann kamen die Leute vom Theater und sahen sehr bedrückt aus und meinten: Wir müssen vielleicht unser Theater schließen. Es kommen keine Leute. Und ich sagte – wow, lasst mich Konzerte dort organisieren. Und sie sagten: Nein, wir wollen nicht dieses stinkenden, spuckenden Punkrocker in unserem Theater. Ich flehte sie an, lasst es uns doch probieren. Schließlich ließen sie uns einmal alle zwei Wochen einen Abend mit Musikern, Comedians, Tänzern, Dichtern veranstalten, das ich kuratierte.
Es waren Künstler dabei, die heute zu den ganz Großen zählen.
Ja. Depeche Mode, Paul Weller, Linton Kwesi Johnson …
Sind Sie noch in Kontakt mit Künstlern von damals?
Nein, nein. Sie wurden Megastars, sie reden nicht mehr mit mir (lacht).
Ihre Songs sind oft sehr wütend, auch aggressiv. Im Kontrast dazu sind Sie die netteste Person, die man nur treffen kann …
Sie haben mich nicht erlebt, wenn ich sauer bin (lacht). Aber genau das meine ich: Es kommt nicht auf Politiker an. Es geht darum, wie ich mit dir spreche, wie du mit der Verkäuferin im Geschäft sprichst – es ist so viel einfacher, nett zu sein anstatt ein Arschloch zu sein. Mich hat dieser Ärger erschöpft, dieser Furor der Ungerechtigkeit. Ich kann nichts dagegen tun, es bringt mich um, körperlich. Ich fürchte, ich verwandle mich in eine seltsame hippie-artige Figur, was ich nie für möglich gehalten hätte. Ich will gute Menschen reden hören, ich will nicht diese Monster reden hören …
Verweigern Sie sich komplett, also auch den Nachrichten?
Ich denke, es wäre falsch zu sagen: Ich will von all dem gar nichts mehr wissen. Ich will schon Bescheid wissen, was los ist, weil ich Menschen liebe und neugierig auf sie bin. Aber diese „Newsporn“, dieses immer weiter Grenzen austesten und überschreiten, diese Sensationsgier? Was soll es mit mir machen? Ich weiß, wie schlecht wir sind, wir sind eine schlechte Spezies. Aber ich will, dass die guten Seiten von uns scheinen und herausgestellt werden. Sorry, jetzt bin ich wieder sauer geworden …
Der Film „Anne Clark – I´ll Walk Out Into Tomorrow“ läuft am 9. Februar um 20 Uhr im Caligari. Der Frankfurter Regisseur Claus Withopf (links) und der aus Wiesbaden stammende Kameramann Daniel Meinl sind zu Gast. Wir verlosen 3×2 Freikarten: Mail mit Nennung des Anne-Clark-Lieblingssongs an losi@sensor-wiesbaden.de
Der Trailer zum Film:
Und genau darum lieben wir dich sooo.