Interview Dirk Fellinghauer.
Das Thema Stadtmuseum bleibt der Stadt Wiesbaden auch nach dem kurz vor Weihnachten von der Großen Koalition verkündeten “Aus” erhalten. Die politische Diskussion, ob und wie es weitergehen soll, ist nach dem Ende der Winterpause wieder voll im Gange. Ebenfalls weitergeführt werden muss die Diskussion um mögliche Kürzungen im Kulturetat. Im Raum steht weiterhin der Ausstieg Wiesbadens aus dem Kulturfonds RheinMain. Im sensor-Interview macht sich dessen Geschäftsführer Dr. Helmut Müller, der sich als ehemaliger OB von Wiesbaden in der Diskussion Zurückhaltung auferlegt hat und sich zum Thema Stadtmuseum gar nicht öffentlich äußern will, für einen Verbleib Wiesbadens stark: „Die aktuelle Debatte hat gezeigt, dass viele Projekte nur zustande kommen, weil sie vom Kulturfonds gefördert werden.“
Was hat Wiesbaden davon, Mitglied des Kulturfonds zu sein?
Zwei Gründe sprachen dafür, dem Fonds beizutreten: Generell die Einbettung in die kulturelle Vernetzung im Rhein-Main-Gebiet und die Verbesserung der Sichtbarkeit Wiesbadens über die Region hinaus. Und beides hat sich realisiert: Die Fördermöglichkeiten des Kulturfonds helfen Initiativen, die Strahlkraft ihrer Projekte weit über die Rhein-Main-Region hinaus zu erhöhen. Und konkret sind in der Stadt Wiesbaden kulturelle Projekte möglich geworden, die ohne den Kulturfonds nicht realisierbar gewesen wären.
Welche denn zum Beispiel?
Die Theaterbiennale hätte so ohne Förderung durch den Kulturfonds nicht stattgefunden. Die zieht natürlich keine hunderttausend Menschen an, aber sie steht für eine Facette, bei der Wiesbaden ein etablierter Standort ist und als wichtiger Ort des zeitgenössischen Schauspiels wahrgenommen wird. Übrigens über die Grenzen der Stadt und Region hinaus, zum Beispiel durch Berichte in Fachzeitschriften.
Sie halten sich als ehemaliger Oberbürgermeister von Wiesbaden in der aktuellen Debatte um einen möglichen Ausstieg Wiesbadens aus dem Kulturfonds ganz vornehm zurück. Aber egal wird es Ihnen doch nicht sein, ob Wiesbaden dabei bleibt oder aussteigt?
Natürlich habe ich mir Zurückhaltung auferlegt. Aber ich hoffe natürlich, dass Wiesbaden dabei bleibt. Und mein Eindruck ist, dass die Kulturschaffenden ziemlich einhellig erkannt haben, welche Vorteile die Kulturszene der Stadt durch die Mitgliedschaft Wiesbadens im Kulturfonds hat.
Mich freut, dass die Bereitschaft zur Kooperation zwischen den vielen Akteuren der Kultur in der Region so groß wie noch nie ist. Natürlich gilt: Kooperation als Selbstzweck hilft noch nicht. Aber es gelingt doch die Chancen wahrzunehmen und durch Kooperation Dinge möglich zu machen, die bisher nicht möglich waren.
Was sagen Sie zu Stimmen, die sagen, der Kulturfonds fördere in Wiesbaden ja nicht nur Wiesbadener Einrichtungen, sondern auch Landeseinrichtungen wie das Staatstheater oder das Museum?
Frei heraus: Damit kann ich wenig anfangen. Und ich glaube, dass es die kulturinteressierten Wiesbadener Bürger beim Besuch von Veranstaltungen nicht sehr beschäftigt, wer der jeweilige Träger ist.
Ähnlich wenige Gedanken haben sich die Wiesbadener bisher darüber gemacht, ob und wie der Kulturfonds einzelne Veranstaltungen fördert und ermöglicht. Woran liegt das?
Die Existenz und Arbeit des Kulturfonds ist vielen bisher noch nicht sehr bewusst. Das liegt sicher auch daran, dass der Kulturfonds selbst nicht als Veranstalter auftritt, sondern als fördernder Partner. Wir wollen uns nicht in den Vordergrund drängen. Im Vordergrund stehen immer die Projekte. Aber die aktuelle Debatte hat gezeigt, dass viele Projekte nur zustande kommen, weil sie vom Kulturfonds gefördert werden. Und insofern wird vielen die Existenz und die Bedeutung des Kulturfonds in diesen Wochen so richtig bewusst. Das hat dann ja durchaus auch etwas Gutes.
Nach welchen Kriterien werden die Projekte ausgewählt, die der Kulturfonds fördert?
Wir haben temporäre Förderschwerpunkte jeweils über den Zeitraum von zwei Jahren, die auch ein thematisches Band herstellen. Als Beispiel sei das Stichwort „Romantik“ genannt. Veranstaltungen in den einzelnen Städten rund um ein solches Thema beziehen sich jeweils aufeinander, erhöhen die deutschlandweite Aufmerksamkeit für den Schwerpunkt und helfen so, dass die Rhein-Main-Region stärker und stärker als Ganzes wahrgenommen wird.
Erfolgt die Förderung von „Leuchtturm“-Projekten und eher kleineren Veranstaltungen und Projekten in einem festgelegten Verhältnis?
Die Fördermittel werden nicht nach Proporz vergeben. Ein Kuratorium mit Experten, die aus ganz Deutschland kommen und die verschiedenen kulturellen Sparten widerspiegeln, trifft die Auswahl, und zwar möglichst ohne eigene Interessen. Die letzte Entscheidung liegt dann beim Aufsichtsrat. Entscheidend sind Kriterien wie die Qualität, die Strahlkraft und der Aspekt der Vernetzung.
Es kommt also nicht auf die Größe und Etabliertheit des Antragstellers und der geplanten Veranstaltung an?
Es zählt die Qualität der Veranstaltung, nicht deren Größe. Wenn die formalen Kriterien erfüllt sind, haben alle grundsätzlich die gleichen Chancen. Ich ermuntere daher auch kleine und freie Initiativen und Einrichtungen, Förderanträge zu stellen.
Welche kleineren Projekte hat der Kulturfonds in Wiesbaden bereits mitfinanziert?
Ein tolles aktuelles Beispiel in Wiesbaden war das Theodor-Chindler-Projekt. Das war gar nicht so riesig, hat aber weit über die Stadt hinaus gestrahlt. Die Strahlkraft hängt also nicht unbedingt an der Größe eines Projektes oder an der Summe der Förderung. Auch der European Youth Circus wurde vom Kulturfonds ganz wesentlich mitgetragen und hat eine sehr große Bedeutung.
Der Kulturfonds ist aber nicht für die dauerhafte Förderung von Veranstaltungen und Initiativen da?
Als Faustregel soll die Förderung durch den Kulturfonds als Anschubfinanzierung dienen und maximal drei Mal gewährt werden.
Wo in Wiesbaden ist die Unterstützung des Kulturfonds aktuell und in absehbarer Zukunft sichtbar?
Aktuell fördern wir die Ausstellung „New Frankfurt Internationals“, die parallel im Frankfurter Kunstverein und im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden stattfindet. Das Konzept beinhaltet die Hoffnung, dass Besucher, die die Ausstellung in der einen Stadt besuchen, auch in die andere Stadt fahren, um die dortige Ausstellung anzuschauen.
Sie glauben im Ernst, dass das funktioniert?
Warum nicht? Die Entfernungen sind nicht so groß, wie sie vielleicht manchen scheinen. In Berlin fahren die Menschen ganz selbstverständlich von einem Stadtteil in den anderen, die können genausoweit voneinander entfernt sein wie die Städte im Rhein-Main-Gebiet. Ich stehe hier auch in Gesprächen mit dem RMV, um die Vernetzung weiter voranzubringen. Das kulturelle Angebot in der Rhein-Main-Region ist so riesig, da sollte man sich als Publikum nicht nur auf seine eigene Stadt beschränken, sondern den Blick auf das Angebot in der gesamten Region werfen.
Welche weiteren kulturellen Highlights beschert der Kulturfonds in diesem Jahr unserer Stadt?
2015 wird das Festival „cresc“ für zeitgenössische Musik gefördert, in dessen Rahmen zwei Konzerte in Wiesbaden stattfinden werden. Im Rahmen der „Route der Industriekultur“ wird es Klangkunstprojekte in der Walkmühle geben. Auch der Architektursommer Rhein-Main wird vom Kulturfonds gefördert, mit 400000 Euro.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie vermitteln den Eindruck, dass Sie an Ihrem neuen Job Freude gefunden haben. Ist das so?
Natürlich entsprach der Grund für diesen Jobwechsel nicht meiner Planung. Aber Sie haben recht, die neue Aufgabe macht mir große Freude. Ich habe immer gedacht, ich würde die Rhein-Main-Region und ihr kulturelles Angebot schon ganz gut kennen. Aber nun erfahre ich erst, wie groß und spannend das Angebot tatsächlich ist.
(Über den Kulturfonds: Die gemeinnützige Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH mit Sitz in Bad Homburg v. d. Höhe wurde im Dezember 2007 von den Gesellschaftern Land Hessen, Frankfurt am Main, Darmstadt, Hochtaunuskreis und Main-Taunus-Kreis gegründet. Im Februar 2012 trat Wiesbaden als weiterer Gesellschafter hinzu, im ersten Quartal 2013 die Stadt Hanau. inn und Aufgabe der Gesellschaft ist es, die kulturellen Ressourcen und Kräfte der Region zu bündeln – u.a. auch durch übergreifende Großprojekte – und zu koordinieren, um sie national und auch international bekannter und attraktiver werden zu lassen und dadurch die Lebensqualität der Region zu steigern.
In den Jahren 2012-2014 hat Wiesbaden knapp 1,7 Million Euro in den Fonds eingezahlt, dafür aber knapp 2,9 Millionen Euro Fördermittel erhalten.)