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Inventur zum Durchstarten im Walhalla im EXIL – „Gefährliche Truppe“ hält Ort und Spirit kollektiv lebendig

Von Dirk Fellinghauer. Fotos Kai Pelka.

Im Walhalla im EXIL gehen die Lichter wieder an. „Gefährliche Truppe“ hält Ort und Spirit kollektiv lebendig.

Der Schock war groß, der Verlust ist immer noch schwer zu begreifen. Als die unglaubliche Theaterfrau Sigrid Skoetz im Oktober 2022 überraschend verstarb, drohte auch „ihr“ Walhalla im EXIL, dieser einzigartige Wiesbadener Kulturort, den sie aufgebaut, geleitet und geprägt hatte, zu verschwinden. Zum neuen Jahr gibt es nun die frohe Botschaft: Es geht weiter. Und wie!

Beim sensor-Besuch in der Nerostraße 24 ist in den EXIL-Räumlichkeiten, dafür muss man nicht esoterisch veranlagt sein, noch immer der besondere Geist von Sigrid Skoetz präsent. Zu ihm gesellt sich ein neuer Geist.

Energisch entschlossen

Da sitzen Marie Zbikowska, Bildende Künstlerin, Tochter von Sigrid Skoetz und schon lange auch ihre künstlerische Partnerin, da sitzen Beate Krist und „Raumpoetin“ Manuela Pirozzi vom Theater 3D, und da sitzen Micha Hodgson und Areeg Mulhi, die bisher schon im EXIL mitwirkten. Sie alle erzählen mit Energie, Entschlossenheit und leuchtenden Augen, wie sie zueinander fanden und was sie – und mit ihnen weitere Mitstreiter:innen aus der Kunst- und Kreativszene – miteinander vorhaben.

Rückblick, Überblick, Ausblick

„Wir sind mitten in der Inventur“, sagen sie und blicken auf Equipment, Mobiliar und Papiere, die sich in den Räumen stapeln und verteilen. Sie machen aber auch inhaltlich Inventur, sprechen von Rückblick, Überblick, Ausblick.

Kurz nach dem Tod von Sigrid Skoetz kam ein kleiner Kreis zusammen, überlegte, ob und wie es weitergehen könne. Erste Gedanken gingen in die Richtung, die Räume aufgeben zu müssen und eher daran zu denken, Ideen und Spirit von EXIL und Sigrid Skoetz ohne festen Ort weiterleben zu lassen. „Wir haben aber bald gemerkt, wenn der Ort nicht mehr da wäre, wäre dies ein großer Verlust“, erzählt Marie Zbikowska, „und dann grübelten wir: Wer käme in Frage, das zu übernehmen, was Sigrid weitgehend allein gestemmt hatte?“.

Mitstreiter:innen, die Mut machen

Dank guter Kontakte und glücklicher Umstände kam schnell eine neue Truppe zusammen, die sich schon jetzt als Kollektiv begreift: „Das hat Mut gegeben – zu wissen, es gibt Leute, die Erfahrung mitbringen und die Wiesbaden kennen, und die Lust haben und neue Ideen einbringen“, sagt Marie Zbikowska.

Schwerpunkt sollen Theater und Performance bleiben, Musik soll ihren Platz behalten, gesellschaftliche Fragen noch intensiver ausgehandelt werden, das EXIL auch politischer werden, dabei die „Energie, Wut und Kraft von Sigrid“ weiterwirken.

Kindertheater als neues Angebot

Die Theater 3D-Macherinnen, die bisher mobil arbeiteten, bringen mit außergewöhnlichem – „Ihr seid prägend für neues Theaterdenken“, sagt Marie zu Beate und Manu -, und eben „raumpoetischem“ Kinder- und Jugendtheater, das sonntags seinen Platz finden soll, ein ganz neues Angebot ins EXIL.

Areeg Mulhi denkt mit sozialpägogischem Hintergrund bei Theater auch an die „therapeutische Wirkung auf die Gesellschaft“ – in Krisenzeiten notwendiger denn je: „Da geht es nicht um die Abgreifbarkeit eines Ergebnisses, nicht um Konsum und Entertainment, sondern um den Prozess, um Verhandeln, um Übungsorte für die bewusste Gestaltung von Leben.“

Auch die Kooperationsveranstaltungen mit sensor – „Der visionäre Frühschoppen“ und „Eine Runde Tresentalk“ – sollen wiederkommen.

EXIL als Plattform für die Szene

Am letzten März-Wochenende werden sich die EXIL-Türen wieder öffnen, mit einem starken Programm als Querschnitts-Vorgeschmack auf das, was hier in den nächsten Monaten und Jahren wieder und wieter möglich sein soll – schwerpunktmäßig donnerstags bis sonntags und gerne auch mit Ideen von Akteur:innen, die sich einbringen wollen: „Es gibt einen Riesenstau in Wiesbaden, die Leute finden bisher noch nicht zueinander“. Hier will das EXIL auch Plattform für die Szene sein, Raum bieten zum Ausprobieren und Experimentieren.

„Medea Morgen“ als Eröffnungsstück

Das Eröffnungsstück wird am 24. März „Medea morgen“, an dem Marie Zbikowska bis zuletzt mit ihrer Mutter gearbeitet hatte, gemeinsam mit Darsteller:innen aus Berlin: Gina Lisa Maiwald, Lotta Hench und der Tenor David Ristau (Foto rechts). Inhaltlich gibt es diesen Vorgeschmack: „In `Medea-Morgen´ stellen wir unsere Zukunftsvisionen vor. Wir setzen die Katastrophen voraus, an denen die Menschheit arbeitet und zerbricht.“ Marie Zbikowska beschreibt den Prozess als eine intensive und aktive Form der Zusammenarbeit zwischen den Künstlerinnen, die interdisziplinär – Performance, Schauspiel, Oper/Gesang und die Bühneninstallation – zusammenarbeiten: „Fom jetzigen Standpunkt aus fragen wir uns, wie wir weitermachen wollen und können? Was bleibt nach Zusammenbruch und Zerstörung? Wie gestalten wir unsere neue Welt ?“

Support vom Kulturamt

Mit großer Dankbarkeit erzählt das neue EXIL-Team von der hervorragenden Unterstützung und Beratung durch das Kulturamt mit seinem Leiter Jörg-Uwe Funk, der sie auch zum Festhalten an den vorhandenen Räumlichkeiten ermutigte. Mindestens 2023 hindurch ist das Exil-Domizil für sie gesichert, sie streben eine Sicherung des Spielbetriebs auch zum Doppelhaushalt 2024/25 an.

Das „große“ Walhalla bleibt Sehnsuchtsort

Und sie behalten auch das „große“ Walhalla, aus dem der Verein im Januar 2017 unfreiwillig ausziehen musste, als Wirkungsstätte im Blick. „Das bleibt der Sehnsuchtsort“, stellt Marie Zbikowska klar, „da wollen wir uns – im Sinne von Sigrid – nicht geschlagen geben.“ Jetzt wird erstmal im EXIL durchgestartet.

Als „Wohnzimmer für die Sinne“ sieht Manu Pirozzi das EXIL der Zukunft, und Marie Zbikowska macht deutlich, dass sie von ihrer Mutter auch Kämpferinnengeist geerbt hat: „Wir wollen eine gefährliche Truppe bleiben, die stichelt und nicht gemütlich ist.“

www.walhalla-im-exil.de