Von Hendrik Jung. Fotos Heinrich Völkel und Andrea Diefenbach.
Alle zwei Jahre werden im Rahmen der Theaterbiennale die spannendsten aktuellen Inszenierungen von Europas Bühnen nach Wiesbaden geholt. Ein großer Aufwand, der sich aber lohnt. „Die Stücke sollen nicht älter als zwei Jahre sein und die Aufführungen dürfen nur in der Originalsprache erfolgen“, erläutert Organisationsleiterin Antje Otto die Spielregeln des Festivals „Neue Stücke aus Europa“. Das sorgt für großen logistischen Aufwand und für manchen Kraftakt: Das gesamte Team packte an, als Tausende von Programmflyern angeliefert wurden. Ein ganz anderer Kraftakt: In der Regel werden die Aufführungen nicht übertitelt. Stattdessen erfolgt eine Simultanübersetzung per Kopfhörer. „Im Idealfall kommt es zu dem irren Moment, dass man den Übersetzer nicht mehr wahr nimmt, sondern glaubt, dass man die Originalsprache versteht“, fügt Antje Otto hinzu.
Neben der Technik für die Übertragung muss eine Sprecherkabine installiert werden. „Ich habe einen Monitor in der Kabine, um zu sehen, was vor sich geht. Der Ton kommt über Kopfhörer. Links liegt der Originaltext, rechts meine Übersetzung. Beide gleiche ich ab und versuche Schritt zu halten“, beschreibt Klaus Olof, der zum fünften Mal beim Festival ist, seine Arbeitsweise. Dabei kommt ihm zu Gute, dass er die Stücke zuvor selbst übersetzt hat. Außerdem wird die Inszenierung gefilmt und dem Übersetzer per DVD zur Verfügung gestellt, damit er das Skript mit der Bühnenhandlung abgleichen kann. „Wichtig ist zu wissen, wo längere Pausen sind, damit man weiß, wo man mit möglichst wenig Verlust für das Publikum wieder rein kommt, falls man den mal Text verliert“, erläutert der Profi.
Schließlich müsse man immer damit rechnen, dass dieser sich noch auf der Bühne ändert. „In einem Fall scheint die Aufführung noch im Entstehen zu sein. Der Text stimmt nicht mit der DVD überein. Deshalb werde ich mir das Stück Ende Mai in Zagreb noch mal anschauen“, fügt der in Kroatien lebende Literaturwissenschaftler hinzu.
Briten dirigieren Publikum per Handy durch Wiesbaden
Mitten im Entstehungsprozess befindet sich auch die Performance „A machine to see with“ der britischen Medienkünstler von Blast Theory. „Das ist ein Prozess, der schrittweise abläuft. Dabei müssen wir sehr vorsichtig vorgehen. Alle Änderungen müssen in beiden Versionen vorgenommen werden“, betont Ju Row Farr. Schließlich wird die Performance, die die Teilnehmer durch die Straßen Wiesbadens führt, sowohl in Englisch als auch in Deutsch angeboten. Bei einer ersten Recherche hat ein Mitglied der Gruppe nach guten Plätzen in der Innenstadt gesucht und versucht heraus zu finden, ob überall Mobilfunkempfang für alle Netze besteht. Denn die Teilnehmer werden per Telefon durch das Stück geleitet. Darin sollen sie sich selbst auf die Spur kommen. Immerhin gilt es abzuwägen, ob man im Laufe der knapp einstündigen Performance eine Bank überfällt oder nicht. Auch hier ist eine gute Übersetzung wichtig. „Bei einer Inszenierung in Oldenburg sind die Leute während den Tests immer in die Bank rein. Das sollten sie aber gar nicht, das war ein Übersetzungsproblem“, betont Ju Row Farr.
Um perfekt vorbereitet zu sein, werden die Medienkünstler schon zehn Tage vor der ersten Performance nach Wiesbaden kommen, um ihre Vorbereitungen abzuschließen. Spricht man mit den Ensembles aus anderen europäischen Ländern, hört man aber auch von Herausforderungen, die nichts mit der Biennale zu tun haben. „Finanziell wird es für unabhängige Theater immer schwieriger. Wir wissen noch nicht, welche Zuschüsse wir dieses Jahr bekommen und können nicht planen“, berichtet etwa Anna Hidvegi aus Budapest. Deshalb sei man dazu über gegangen, gar kein Geld für Marketing und PR auszugeben sondern ausschließlich auf monatliche Newsletter, facebook und Mundpropaganda zu setzen. Mit Erfolg: Die Aufführungen seien trotzdem immer voll. Das städtische Theater von Istanbul ist derzeit wegen einer Reform in den Schlagzeilen, die dafür sorgt, dass künftig Vertreter der Stadtverwaltung bei der Auswahl der Stücke mitbestimmen . Wer weiß, ob die Inszenierungen unter diesen Voraussetzungen künftig noch spannend genug sind, um zur Biennale eingeladen zu werden?
Das komplette Programm und alle Infos unter www.neuestuecke.de