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Karren im Dreck! Nach dem Aus ist vor dem Neustart: (Wie) weiter mit dem Stadtmuseum!?

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Von Dirk Fellinghauer. Fotos Arne Landwehr. 

Einen Karren mit so viel Karacho in den Dreck zu fahren, das muss man erst mal hinkriegen. Die verantwortlichen Wiesbadener Politiker haben das hinbekommen, und die spannende Frage ist, ob und wie sie ihn in absehbarer Zeit wieder ordentlich heraus bekommen. Der Karren, um den es geht, ist das Stadtmuseum Wiesbaden – seit Jahrzehnten ein Thema in Wiesbaden, in den Wochen vor Weihnachten das beherrschende Thema in Wiesbaden. Und, auch wenn die Verantwortlichen für das Desaster sich das wohl etwas anders vorgestellt hatten, ein Thema, das Wiesbaden auch weiterhin intensiv beschäftigen wird.

Die – bisherige – Bilanz ist verheerend: Millionen in den Sand gesetzt. Vertrauen verspielt. Wiesbaden zum Gespött weit über die Stadt hinaus gemacht. Wutbürger erzeugt. Kulturschaffende beleidigt. Mitarbeiter der Stadt vor den Kopf gestoßen. Großkoalitionäres Klima vergiftet, auch wenn das nach außen so natürlich derzeit niemand bestätigen würde. Und: kein Stadtmuseum in Sicht.

Bei Recherchen und Gesprächen erfährt man vor allem ganz viel, was man nicht sagen darf. Ein symptomatischer Zustand rund um das Thema Stadtmuseum. Kaum jemand redet offen, nicht nach außen, nicht untereinander, nicht miteinander. Warum eigentlich?

Endlich über Inhalte reden

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Es ist vieles schief gelaufen, und es ist vieles mies gelaufen. Und es könnte – nach dem nur auf den ersten Blick endgültigen Scheitern des Projektes im Dezember – bei einem Neustart vieles besser laufen. Dies zeigte sich zum Beispiel vor wenigen Tagen beim „Visionären Frühschoppen“ zum Thema „Stadtmuseum? Jetzt erst recht!“. Es gab  bei der Diskussion im bis auf den letzten Platz besetzten Walhalla-Spiegelsaal eine Vielzahl von verschiedenen, auch kontroversen Meinungen, es gab aber auch einen Grundtenor. Demnach wünschen sich die meisten, dass künftig zuallererst über Inhalte diskutiert wird. „Besteht erst mal Konsens darüber zwischen den Beteiligten und in der Stadtgesellschaft, ist die Suche nach dem Grundstück und Gebäude der leichtere Teil des Unterfangens“, sagte der Architekt Achim Hupfauf.

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Dessen ungeachtet stellte er als Diskussionsbeitrag einen ganz neuen eigenen Entwurf vor für ein „Stadtmuseum 4.0, das das Jetzt und die Zukunft zum Inhalt hat“. Sein Wunschstandort: der ESWE-Busbahnhof an der Mainzer Straße, in bewusst gewählter Nachbarschaft  zu Schlachthof, Kulturpark und Murnau-Stiftung. „Die Aneignung der Stadt durch die Bevölkerung findet in der Regel nicht auf den Konsummeilen, sondern in den Randbereichen der Stadt mit ihren zahlreichen Brüchen statt,“ beschreibt er seine Überlegungen. Jochen Baumgartner, Vorsitzender des Fördervereins Stadtmuseum, zeigte bei der Veranstaltung auch nochmal den Alternativ-Entwurf des Wiesbadeners Michael Müller als weiterhin überlegenswerte mögliche Lösung für einen Neubau an der Wilhelmstraße. Torsten Hornung wartete mit einer ganz eigenen Idee auf: die Verlegung des Stadtmuseums in die virtuelle Welt: www.museumdigital.de. Außer leidenschaftlichen Plädoyers, endlich über Inhalte zu reden, ergab sich bei der Veranstaltung ein weitgehender Konsens, dass der Weg zum eigentlichen Ziel fortan nur noch über kleine, überschaubare Schritte erfolgen kann.

„Schaufenster“ ins Marktgewölbe

Einen solchen verkündete OB Sven Gerich beim Visionären Frühschoppen. Er macht sich für die Fortsetzung der Arbeit des „Projektbüro Schaufenster Stadtmuseum“ stark, das eigentlich nur eine Übergangseinrichtung auf dem Weg zum eigentlich Stadtmuseum sein sollte. Und er überrascht mit seiner Idee für den neuen Standort, wenn das „Schaufenster“ Ende 2015 sein Domizil in der Ellenbogengasse verlassen muss, weil das Gebäude dort abgerissen wird: „Ich spreche mich für einen `Ort der Stadtgeschichte´ im Marktgewölbe aus.“ Dieses würde laut OB ab April 2016 zur Verfügung stehen: „Das hieße, die Arbeit könnte fast nahtlos fortgesetzt werden. Zudem bietet das Marktgewölbe nahezu die dreifache Fläche des bisherigen Schaufensters, bei vergleichbaren Kosten. Während also die Arbeit des Projektbüros weitergehen kann, könnte in Ruhe grundsätzlich diskutiert werden – ohne Handlungsdruck.“

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Dass der OB damit das „Aus“ für das Stadtmuseum, das im Dezember seitens der Großen Koalition sehr resolut und endgültig klang, deutlich relativiert und auch einen Neubau weiterhin nicht grundsätzlich ausschließt, dürfte Musik in den Ohren von Joachim Baumgartner sein. Er kämpft als Vorsitzender des Fördervereins Stadtmuseum seit über zehn Jahren um die Schaffung eines Ortes am bislang dafür reservierten Grundstück an der Wilhelmstraße 1. „Eigentlich rücken wir als Förderverein nicht vom Wunsch und der Forderung ab, ein Stadtmuseum an der Wilhelmstraße zu errichten“, sagt er: „Das hatte ja schon alles seinen Sinn mit dem von der Stadt vorgehaltenen und selbst priorisierten Standort, auch im Sinne einer echten Kulturmeile. Aber man muss irgendwo realistisch sein.“ Weil ihm wichtig ist, dass überhaupt etwas geschieht, hat er gemeinsam mit rund zwanzig Unterzeichnern das Alte Gericht ins Spiel gebracht: „Wir haben gesagt, gut, wir werfen das jetzt mal als Vorschlag in den Raum. Wir bringen das Alte Gericht als Prüfauftrag ins Gespräch. Das verschafft uns vielleicht erst einmal Luft zu dem kategorischen Nein.“

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Anders als in früheren Diskussionen, wo der Förderverein Alternativvorschläge zum Wilhelmstraßen-Grundstück kategorisch ausschloss, zeigte der Vorsitzende sich nun kompromissbereit: „Das erste und ungefilterte Ergebnis unserer Begehung des Alten Gerichts war, dass es durchaus ein annehmbarer Vorschlag ist, dort das Stadtmuseum unterzubringen. Die sechs Personen, darunter Architekt, Denkmalpflege und Museumsfachleute die bei der Begehung dabei waren, können sich die Nutzung als Stadtmuseum vorstellen, sehen allerdings auch unübersichtliche und vielleicht hohe Kosten.“

(Anmerkung: Nach Drucklegung der sensor-Ausgabe hat der Förderverein Stadtmuseum seine Position nachjustiert und von der Forderung nach der Prüfung des Standorts „Altes Gericht“ Abstand genommen mit folgender von Jochen Baumgartner unterzeichneten Pressemitteilung:

Chance im Neuanfang bei Rückforderung des Grundstücks

„Der Förderverein Stadtmuseum hat schon im Dezember 2014 erklärt, dass er sich mit einem kategorischen NEIN zum Stadtmuseum und einem Abschied von der Idee der Verwirklichung nicht zufrieden gibt.

In die sofortige Aktivierung aller Kräfte Pro Stadtmuseum wurden auch Überlegungen zu alternativen Standorten eingebracht und einer fachlichen Prüfung unterzogen. So wurde auch von uns der Standort „ Altes Gericht“ als Option gesehen. Eine Begehung mit Experten vom Denkmalschutz, Architekten und Museumsfachleuten brachte indes Ernüchterung bei der technischen Machbarkeit und den Kosten. Ebenfalls wurde in der zweiten Januarwoche klar, dass das Land Hessen bereits konkrete Pläne für Wohnbebauung und Hochschule an diesem Standort und Gebäudekomplex hat.

Unsere Überlegung, das alte Gericht als Übergangslösung für das Schaufenster Stadtmuseum zu nutzen, welches am Jahresende sein Domizil aufgeben muss, ist kostenmäßig derzeit nicht realisierbar. Wir begrüßen es daher ausdrücklich als Interimslösung, den Marktkeller als Ausstellungsmöglichkeit für das Schaufenster nutzen zu können.

Gleichzeitig fordern wir die Stadt auf, das für das Stadtmuseum subventionierte Grundstück von der OFB in Form der Rückübertragung wieder in die freie Verfügbarkeit zu bekommen. 10.000 qm ließen sich im Bieterverfahren zu einem deutlich höheren Marktpreis z.B. an einen Hotelinvestor verkaufen und 5.000 qm ständen weiterhin der Idee eines Stadtmuseums am richtigen Standort zur Verfügung. Ein Verzicht auf eine Rückabwicklung bedeutet ein Geldgeschenk in großer Millionenhöhe an ein privates Unternehmen zu Lasten der Wiesbadener Bürger und gleichzeitig Verlust eines wertvollen Standortes in der Vision der Wiesbadener Kulturmeile.“)

Was wird hier gespielt – und von wem?

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Entscheidend für den weiteren Verlauf des Vorhabens wird sein, ob die Politiker ihre Schmollecke wieder verlassen und zum echten Dialog mit jenen, für die ein Stadtmuseum entstehen soll und die es bezahlen: die Bürger dieser Stadt, bereit sind. „Es sind an vielen unterschiedlichen Stellen Wunden aufgerissen; die brauchen einen Moment, um zu verheilen. Ich meine, es muss weitergehen. Wiesbaden braucht einen Ort der Stadtgeschichte, wie auch immer der dann aussieht“, gibt sich der OB schon mal versöhnlich. Bisher hatten die Hauptverantwortlichen seitens der Stadt haben die Rollen im Stück „Das Stadtmuseum“, das als Drama so gut durchgeht wie als Komödie oder Groteske, gut verteilt. Treibende Kraft des Geschehens ist Bernhard Lorenz. Der CDU-Fraktionschef im Rathaus gefällt sich in der Rolle als „Der Bösewicht“. Er diktiert der FAZ in den Block „Nach Popularität habe ich nie gestrebt“. Und er diktiert das Geschehen im Rathaus. Sein großkoalitionäres Pendant, SPD-Fraktionschef Christoph Manjura, müht sich zunehmend genervt und reizbar ab in der Rolle als „Der Lehrling“. Der 32-jährige, der sein Amt erst im Juni 2013 von Sven Gerich nach dessen Wahlsieg als OB übernommen hat, ist noch nicht mit den politischen Wassern gewaschen, die Skrupellosigkeit und Kaltschnäuzigkeit zu Maximen politischen Handelns machen.

Kulturdezernentin Rose-Lore Scholz macht einen Großteil des Publikums fassungslos in ihrer Rolle als „Die Sünderin“. Die langjährige Hauptschul-Lehrerin verweigerte in entscheidenden Phasen mit beachtlicher Konsequenz ihre Hausaufgaben und verstummte, vermutlich auf Geheiß des „Bösewichts“, völlig. Wenn sie sprach, konnte – oder wollte – man oft kaum glauben, was sie sagte. Umgekehrt versuchte sie, das wurde uns mehrfach berichtet, mit ihrem unbeirrbaren „Wir brauchen dieses Stadtmuseum“-Mantra, Kritikern und Widersachern den Mund zu verbieten und Informationen zurückzuhalten. „Ich hatte mich angeboten, Gespräche mit Alois Rhiel (Geschäftsführer des Projektentwicklers OFB, Anm. d. Red.) zu führen, den ich von früherer Zusammenarbeit kenne. Das Kulturdezernat hat mich schnell zurückgepfiffen. Sie wollten nicht, dass der Förderverein sich einmischt,“ berichtet etwa Jochen Baumgartner.

„Das Unschuldslamm“, diese Rolle hat Oberbürgermeister Sven Gerich ergattert und füllt sie prächtig aus. Auf die Frage, ob er sich rückblickend etwas vorzuwerfen habe, wo er doch – gemeinsam mit dem „Bösewicht“ – in seiner damaligen Position als SPD-Fraktionschef den ominösen Grundstücksdeal mit dem Investor eingefädelt hatte, antwortet der heutige Rathauschef: „Ich glaube, der ursprüngliche Grundstückskauf war nicht der Stein des Anstoßes“. Und dann gibt es da noch die 81 Mitglieder des Stadtparlaments. Für sie blieb nur die Rolle der Statisten übrig. Sie wurden genötigt, über Dinge abzustimmen, von denen sie keine Ahnung hatten – weil für eine fundierte und gewissenhafte Entscheidung notwendige Informationen nicht gegeben, drängende Fragen nicht beantwortet wurden.

Was bisher geschah

Der Weg zum Verfehlen des Ziels – im Schnelldurchlauf: 2013 beschließt die Stadtverordnetenversammlung auf Antrag der Großen Koalition den Verkauf des Grundstücks an der Wilhelmstraße 1an den Projektentwickler OFB mit dem Wunsch – nicht mit der Verpflichtung -, dass OFB dort – unter anderem – ein Stadtmuseum errichtet, dass die Stadt anmietet. Ein Deal mit vielen Fragezeichen.

Im April präsentiert die OFB den als „Stararchitekten“ titulierten Helmut Jahn aus Chicago, der seinen Entwurf bei einer Pressekonferenz vorstellt und verantwortliche Politiker in Verzückung versetzt. Schnell wird dieser Entwurf vielfach zerrissen – in der Öffentlichkeit, bei maßgeblichen Stimmen der Stadtgesellschaft, in der Fachwelt weit über Wiesbaden hinaus, im Gestaltungsbeirat, einem unabhängigen Gremium externer Experten mit beratender Funktion für Bauvorhaben in Wiesbaden. Die Stadt gibt die Devise aus: „Stadtmuseum – Jetzt oder nie! So oder gar nicht“ und hält unbeirrt an diesem Kurs fest. Zur Kritik am Entwurf gesellen sich immer lauter gestellte Fragen nach der Finanzierbarkeit, nach den Vertragsdetails. „Die Lunte zu der letztendlichen Explosion des Ganzen haben Bernhard Lorenz und Sven Gerich gelegt mit dem unsauberen Grundstücksverkauf und dem Finanzierungsmodell“, ist Jochen Baumgartner überzeugt. Ungeachtet aller Kritik und vieler offener Fragen beschließt zuerst der Magistrat (Ende Oktober), dann die Stadtverordnetenversammlung (Ende November) den Bau des Stadtmuseums. Einen Tag nach dem Beschluss des Stadtparlaments startet die Bürgerinitiative „Gemeinwohl hat Vorfahrt“ das Bürgerbegehren gegen das Mietmodell. Am 11. Dezember veröffentlichen von Kürzungsdrohungen aufgeschreckte Kulturschaffende einen Offenen Brief. Noch während das Bürgerbegehren läuft, verkündet die große Koalition am 16. Dezember überraschend das „Aus“ für das Stadtmuseum.

Notbremse ohne Not

Die Verantwortlichen zogen die Notbremse – ohne Not, wohlgemerkt. Es schien so, als wollten sie endlich ihre Ruhe haben und sich auf friedliche Weihnachten einstellen. „Wir haben fertig“ haben sie wohl gedacht und wollten sich das leidige Thema vor allem auch mit Blick auf die für sie schon bedrohlich nah vor der Tür stehende Kommunalwahl 2016 vom Hals schaffen. Daraus wurde nichts. Die Verantwortlichen hatten ihre Rechnung ohne „das Volk“ gemacht, das plötzlich Gefallen an der grundsätzlichen Idee eines Stadtmuseums findet und fordert: Jetzt erst recht! Aber nicht so.

Die wohl bizarrste Veranstaltung im Spiel um das Stadtmuseum war die „Informationsveranstaltung“ mit Helmut Jahn in der Casino-Gesellschaft am 15. Dezember. Zu diesem Zeitpunkt war die Entscheidung schon gefallen. Die Großkoalitionäre hatten sich auf das „Aus“ geeinigt, das sie am Vormittag danach auf einer nicht weniger befremdlichen Pressekonferenz offiziell verkündeten. Der betagte Mann aus Chicago hätte einem an dem „schwarzen Montag“ fast leid tun können, wie er da verzweifelt versuchte, sein umstrittenes Modell den Wiesbadenern schmackhaft zu machen. Aber bei einem Architekten, der, so wird kolportiert, eine Million für einen Entwurf kassiert, der so ziemlich gar nichts mit dem Auftrag zu tun hat, hält sich das Mitleid dann doch in Grenzen, auch bei Jochen Baumgartner: „Helmut Jahn wusste bis zum letzten Tag nicht, wovon er eigentlich spricht. Er hat überhaupt nichts vom vorliegenden Konzept berücksichtigt, und die Vermutung liegt nahe, er hat sich nicht damit beschäftigt.“

Die Lüge als Lebensleistung

Noch befremdlicher war jedoch, wie später ausgerechnet die Kulturdezernentin um Mitleid heischte, die an diesem Abend sozusagen Gastgeberin des „Stararchitekten“ war. „Rose-Lore Scholz hat bis zum Schluss immer wieder bewusst gelogen. Lüge als politisches Instrument“, sagt Jochen Baumgartner, der Vorsitzende des Fördervereins Stadtmuseum: „Es ist ein Unding, zu wissen, dass das Museum von Jahn gestorben ist und ihn noch so vorzuführen wie in der Casino-Gesellschaft.“ Fassungslos kommentiert er, dass die Kulturdezernentin es später im Stadtparlament als „ihre größte Lebensleistung“ bezeichnete, dass sie „diesen Abend durchgestanden“ habe: „Wenn es die größte Lebensleistung ist, eine Lüge durchzustehen, dann sind wir weit gekommen mit der Qualität unserer politischen Vertreter.“ Er klagt nicht allein die Kulturdezernentin an: „Das Vorgehen der Verantwortlichen generell ist befremdlich. Sie arbeiten mit Tricksereien, sind nicht mehr geradlinig, keine aufrichtigen Partner der Bürger.“

Um was geht es eigentlich?

Eine entscheidende Frage, eigentlich die entscheidende Frage, die im Zuge der Diskussion immer wieder gestellt und bis heute nicht wirklich beantwortet wurde: Was soll in einem Stadtmuseum eigentlich gezeigt werden? Es existiert ein zehnseitiges Konzept, das der Frankfurter Professor Lothar Gall vor etlichen Jahren erstellt hat. Anstatt dieses offensiv zu präsentieren und zu erklären, damit die Bürger endlich wissen, wofür die Millionen an Steuergeldern denn investiert werden sollen, wurde es konsequent unter Verschluss gehalten. Dass es mittlerweile zumindest in Teilen überholt ist, gestand Kulturdezernentin Rose-Lore Scholz beim Visonären Frühschoppen auf Nachfrage ein: „Es muss natürlich upgedatet werden, und es wurde auch schon upgedatet“, sagte sie, ohne konkreter zu werden. (Wer sich für das ursprüngliche Konzept interessiert, kann es per Mail an hallo@sensor-wiesbaden.de bei uns anfordern / Am 12. Februar um 18 Uhr stellt der Förderverein im Schaufenster Ellenbogengasse die Konzeption bei der Veranstaltung „Stadtmuseum – ein Neuanfang“ vor.) 

Wie weiter?

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Auch wenn der Oberbürgermeister nun „ohne Handlungsdruck“ agieren will und die Feuerwehrweisheit „Stehe still, und sammle dich“ bemüht, gibt es eine Frage, bei der akuter Handlungsdruck besteht: Was passiert mit dem Grundstück an der Wilhelmstraße? Soll der Verkauf rückabgewickelt werden und es an die Stadt zurückgehen, die dann hier wieder Planungshoheit hätte? Dies fordert die Opposition sehr vehement, zumindest Teile der SPD noch recht zurückhaltend. Oder soll die OFB das Filetstück zum Schleuderpreis behalten dürfen, auch wenn sie kein Museum darauf baut? Das gebietet laut CDU-Fraktionschef Bernhard Lorenz „die Fairness“, ein Argument ist auch das Image der Stadt als Partner möglicher künftiger Investoren.

Wiesbaden im Kulturfonds RheinMain – was bringt das, und was würde ein Austritt bedeuten? 

Ebenfalls geklärt werden muss die Sache mit der Kultur. Im Zuge der Finanzierungsdiskussion hatte die Große Koalition eine Streichliste veröffentlicht, die die Kulturszene erst wirklich aufgeschreckt und mobilisiert hat: Austritt aus dem Kulturfonds RheinMain (jährlich 557.838 Euro Einsparung), Streichung der Zuschüsse zum Kunstsommer (125.000 Euro), kein weiterer kultureller Betrieb der „Immobilie“ Pariser Hof in der Spiegelgasse (180.000 Euro).

Der Streichvorschlag rückte unter anderem die bisher nur wenigen bekannte Arbeit des Kulturfonds in den Fokus, der einerseits „Leuchtturmprojekte“ wie große Museumsausstellungen oder kostspielige Gastspiele etwa bei den Maifestspielen ermöglicht, aber auch kleinere Akteure und Veranstaltungen wie etwa das Exground Filmfest, Wiesbaden tanzt, European Youth Circus oder das Literaturprojekt „Theodor Chindler“ fördert.

Geschäftsführer ist der frühere OB Dr. Helmut Müller, der die Diskussion recht zurückhaltend verfolgt, weil er sich in seiner neuen Rolle nicht zu stark in die Wiesbadener Politik einmischen will. „Ich hoffe natürlich, dass Wiesbaden dabei bleibt“, stellt er trotzdem ohne Umschweife klar und antwortet auf die Frage, was Wiesbaden davon hat, Mitglied des Kulturfonds zu sein: „Generell die Einbettung in die kulturelle Vernetzung im Rhein-Main-Gebiet und die Verbesserung der Sichtbarkeit über die Region hinaus. Die Fördermöglichkeiten des Kulturfonds helfen Initiativen, die Strahlkraft ihrer Projekte zu erhöhen. Konkret hat die Stadt Wiesbaden davon, dass Projekte möglich geworden sind, die sonst nicht realisierbar gewesen wären.“ Sein Eindruck ist: „Die Bewertung der Kulturschaffenden ist ziemlich einhellig, dass Wiesbaden im Kulturfonds verbleiben sollte.“

Das verwundert kaum, wenn man bedenkt, dass die Stadt Wiesbaden in den Jahren 2012-2014 knapp 1,7 Million Euro in den Fonds eingezahlt hat, dafür aber knapp 2,9 Millionen Euro Fördermittel erhalten hat. Wenn nun einige seiner Parteifreunde der CDU argumentieren, ein Großteil dieser Gelder gehe ja an vom Land betriebene Einrichtungen in Wiesbaden wie das Staatstheater oder das Museum, hat er für diese Argumentation kein Verständnis: „Ehrlich gesagt, fällt mir dazu nicht viel ein. Ich glaube, für die Wiesbadener Bürger ist es beim Besuch von Veranstaltungen relativ unerheblich, wer der jeweilige Träger ist.“ Nichtsdestotrotz würde er sich freuen, wenn künftig noch mehr Förderanträge jenseits der großen Leuchtturmprojekte gestellt würden: „Ich ermuntere auch kleine und freie Initiativen und Einrichtungen, Förderanträge zu stellen.“ Die Existenz und Arbeit des Kulturfonds sei vielen bisher noch nicht sehr bewusst: „Wir wollen uns nicht in den Vordergrund drängen. Im Vordergrund stehen immer die Projekte. Aber es muss sichtbarer werden, dass viele Projekte nur zustande kommen, weil sie vom Kulturfonds gefördert werden.“

„Die Einsparungsvorschläge aus dem Kulturetat kamen nicht von mir, und deswegen werde ich mich dazu nicht äußern“, sagt OB Sven Gerich zu der Frage, wie er zum diskutierten Ausstieg aus dem Kulturfonds stehe. Die Frage, wie wichtig er grundsätzlich den Kulturfonds für Wiesbaden findet, beantwortet er vielsagend: „Die Kultur in Wiesbaden war schon bunt und lebendig, bevor wir dem Kulturfonds beigetreten sind.“ 

Kulturschaffende wollen Kräfte bündeln

Dass eine bunte und lebendige Kultur in Wiesbaden keineswegs eine sichere Angelegenheit ist und vielmehr allzu oft am seidenen Faden hängt, wissen nicht nur jene, die Kultur schaffen, sondern auch alle, die Kultur, vor allem auch jenseits der etablierten Pfade, genießen. Ja, es gibt erfreulich viele kleine Bühnen, Theater, Orte für Musik, Kunst und diverse andere Kultursparten. Aber viele dieser Einrichtungen arbeiten permanent am Limit, Selbstausbeutung ist an der Tagesordnung. Auch jenseits großer Fördertöpfe hat die Diskussion um das Stadtmuseum die Kulturschaffenden der Stadt, die – verständlicherweise, wenn man die oft prekären Bedingungen kennt, unter denen sie wichtige Beiträge zur Lebensqualität dieser Stadt schaffen – bislang vor allem mit sich selbst beschäftigt und als Einzelkämpfer unterwegs waren, ein wenig aufgeweckt und auch zusammengebracht. Barbara Haker, Leiterin des Theaters „Compagnie Lunel“, das sich auch mit „gespielter“ Stadtgeschichte beschäftigt, hat die Initiative ergriffen, Akteure über den Tag hinaus zusammenzubringen. Sie hat die offene Gruppe „Kultur in Wiesbaden – Wiesbaden ist Kultur“ gegründet, „damit sich die Kulturschaffenden in Wiesbaden austauschen können und der Kulturgenießer viel mehr über die kulturellen Möglichkeiten und die Macher dahinter erfährt.“

Ein erstes „Brainstorming“-Treffen im Kulturpalast brachte einige Interessierte zusammen – und zu der Erkenntnis, dass mit dem „Arbeitskreis Stadtkultur“ bereits eine Einrichtung mit ähnlichen Intentionen existiert, die aber bislang vielen nicht bekannt war. Die Leiterin dieses Arbeitskreises, die früherer Kulturdezernentin Margarethe Goldmann, zeigte sich bei dem Treffen erfreut über neues Engagement und offen dafür, Kräfte zu bündeln – auch für aktuell anstehende Vorhaben wie das Einbringen in einen Kulturentwicklungsplan. Siehe da, es kann sehr zielführend sein, miteinander zu reden anstatt übereinander. Vielleicht eine gute Marschrichtung für alle Beteiligten, wenn das Scheitern des Stadtmuseums wirklich eine Chance zum Neubeginn werden soll.

Die kompletten Interviews mit OB Sven Gerich hier, Kulturfonds-Geschäftsführer Dr. Helmut Müller hier, Fördervereins-Vorsitzenden Jochen Baumgartner hier  – Das Portal für „Wiesbadener Visionen“ auf www.wiesbadenervisionen.de