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Kolumne: Falk Fatal trinkt wieder Kaffee

Kriege, Krisen, Katastrophen – die Welt ist aktuell ein schlimmer Ort. Und es gibt wenig Hoffnung, dass es in nächster Zeit besser wird. Ich kann gut verstehen, wenn Menschen deshalb den Kopf in den Sand stecken. Langjährige Leser:innen meiner Kolumne wissen, dass ich dem Pessimismus mehr als zugeneigt bin. Aber die Welt wird dadurch nicht besser. Man verpasst die schönen Momente, die es allem Verdruss zum Trotz doch gibt, wenn man selbst nur mit gesenktem Haupt durch die Welt schreitet.

Ich war viele Jahre meines Lebens ein Pendler. Da ich noch nie in meinem Leben ein Auto besessen habe, nutzte ich dafür die Bahn. Und jeden Morgen kaufte ich am Kaffeestand am Hauptbahnhof einen mittleren Kaffee. An sehr vielen dieser Tage verkaufte mir ein freundlicher, schon damals etwas älterer Mann meinen Koffeinkick. Schnell wusste er, in welcher Bechergröße ich meinen Kaffee  trinke, und so ergaben sich immer wieder kurze Momente freundlichen Smalltalks, während ich die Milch in meinen Kaffee kippte und das Geld aus meinem Portemonnaie kramte.

Kurz vor der Erstausgabe dieses Magazins gab ich mein Pendlerdasein auf. Ich fand eine Anstellung als Redakteur in Wiesbaden – sogar in Fußweite der Casa Fatal. Den Hauptbahnhof sah ich von nun an deutlich seltener, Kaffee kaufte ich dort keinen mehr.

Da ich die permanenten Verspätungen und Zugausfälle und den damit verbundenen Adrenalinkick vermisste, wenn man es trotzdem pünktlich zur Arbeit schafft, pendle ich nun seit einigen Wochen wieder zur Arbeit. Und seitdem kaufe ich mir jeden Morgen einen mittleren Kaffee an besagtem Kaffeestand am Hauptbahnhof. So auch am ersten Arbeitstag an neuer Wirkungsstätte. Während ich in der Schlange stand, sah ich den freundlichen Kaffeeverkäufer von damals wieder und er mich. Doch nicht nur das: Er erkannte mich sogar. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann griff er nach einem mittelgroßen Kaffeebecher und hielt ihn mit fragendem Blick in meine Richtung. Für mich überraschend. Vor zehn Jahren war meine Gesichtshaut glatt wie ein Babypopo, heute ist ein Großteil von einem Vollbart bedeckt. Ich nickte und einen Augenblick später schon verrührte ich die Milch in meinem Kaffee.

„Du warst lange nicht mehr hier“, sagte er zu mir.

„Das stimmt“, antwortete ich, „aber jetzt komme ich fast jeden Tag wieder her.“

„Das freut mich“, sagte er lächelnd.

„Mich auch“, erwiderte ich.

Dann widmete er sich dem nächsten Kunden und ich stieg in die S-Bahn. Etwas weniger nervös und dafür umso besser gelaunt. Vielen Dank, lieber Kaffeeverkäufer!

(Illustration – Marc „King Low“ Hegemann)

Mehr Falk Fatal: “Saure Äppler im Nizza des Nordens – 100 sensor-Kolumnen”, Edition subkultur, ISBN: 978-3-948949-24-2