Von Dirk Fellinghauer. Fotos Parteien und Gruppierungen
Heute trifft die Stadtverordnetenversammlung zum letzten Mal in ihrer bisherigen Konstellation zusammen (um 16 Uhr im Kurhaus mit sehr langer Tagesordnung). Auch im Wiesbadener Rathaus werden am 14. März die Karten neu gemischt. 592 Kandidat:innen kämpfen auf 14 Listen um die 81 Plätze. Wer tritt an? Wer will was?
„Das einzige Thema, das die Leute bei dieser Kommunalwahl interessiert: Corona! Rauf, runter, seitwärts“, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier Ende Februar bei einer digitalen Wahlkampfveranstaltung. Der Landesvater täuscht sich.
Verkehr und Mobilität (35%) ermittelte der hr-Hessentrend als absolutes Topthema der Wählerschaft, gefolgt von bezahlbarem Wohnraum und Mieten (18%), Umweltbedingungen/Klimawandel (13%) sowie wirtschaftliche Situation/Arbeitsmarkt (10%), Schulen/Bildung und Kitaplätze (9/8%). Und Corona? Läuft unter ferner liefen mit 7%. Diese Zahlen beziehen sich auf ganz Hessen. Sie dürften aber im Großen und Ganzen auch für Wiesbaden gelten und decken sich mit Themen, die in unserer Stadt Diskussionen, und auch Wahlprogramme, bestimmen.
Zeichen der Zukunft
Thematisch auffällig in Wiesbaden: Die Zeichen der Stadt, der oft ein etwa zu intensiver Blick in den Rückspiegel attestiert wird, weisen für den Großteil der Parteien wohl endlich konsequent(er) in Richtung Zukunft. In diversen Wahlprogrammen finden sich Punkte, Themen und Ideen, die zumindest den Anschluss an das Heute versprechen, im besten Fall das Rüstzeug für das Morgen mit sich bringen. Exemplarisch ist die Gründer- und Start-up-Szene, der gleich mehrere eigene Veranstaltungen gewidmet wurden. Ein Schub, der sicher nicht nur, aber auch durch die Pandemie befeuert wurde und wird.
Was bei den Wiesbadener Wähler:innen schließlich tatsächlich verfängt, und wer mit seinen Angeboten und Versprechen punkten kann, ist bei dieser Kommunalwahl wohl unvorhersehbarer denn je. Wie wirkt sich die Pandemie – nicht nur als Thema, sondern auch als „Umstand“ – auf das Wahlverhalten aus? Sicher scheint schon jetzt: Es gibt einen Briefwahl-Boom.
Postergroße Stimmzettel – am besten „vorbestellen“
Ein Vorteil dabei: Man kann sich in Ruhe mit dem postergroßen Wahlzettel – auch Muster wurden vorab verschickt und auf wiesbaden.de/wahlen gibt es einen interaktiven Stimmzettel zum Ausprobieren – beschäftigen und der Möglichkeit des Panaschierens (Stimmen verteilen) und Kumulierens (Stimmen häufen – einzelnen Kandidat:innen können je bis zu 3 Stimmen gegeben werden, insgesamt aber nicht mehr als 81 Stimmen verteilt werden). Ein weiterer Pandemie-Umstand:
Der klassische Wahlkampf, mit Ständen, Hausbesuchen, den so wichtigen persönlichen Kontakten, kann diesmal kaum bis gar nicht stattfinden. Also wird intensiv digital um Stimmen gekämpft, über Homepages (die teilweise sogar einzelne Kandidat:innen für sich aufwändig anlegen), mit digitalen Veranstaltungen und mehr denn je über die Sozialen Medien. Auch hier eine spannende Frage, ob und wie auf diesen Wegen welche Zielgruppen erreicht werden.
„Skandale“ Schnee von gestern oder noch präsent?
Ebenso unvorhersehbar: Wie wirken sich schlagzeilenträchtige, Vertrauen erschütternde und teilweise staatsanwalts- und gerichtsrelevante (mal vermeintliche, mal tatsächliche) Affären, Skandale und Fehlverhalten verantwortlicher Personen der Wiesbadener Rathauspolitik aus? Schnee von gestern oder immer noch präsent in den Köpfen? Wie attraktiv erscheinen neue Angebote auf den Wahlzetteln – als Protestoption oder auch als ernstzunehmende Alternativen zu den bisherigen Angeboten? Und (wie) wirken sich bundespolitische Themen aus? Fragen über Fragen – die Antwort/en hat jede:r Wahlberechtigte in der Hand: Jede Stimme zählt – und entscheidet mit und bewirkt etwas.
Fest steht: Insgesamt 14 Wahlvorschläge, also Parteien und Gruppierungen, wurden für die Stadtverordnetenwahl (parallel werden auch Ortsbeiräte und Ausländerbeirat gewählt) zugelassen, zwei Wahlvorschläge mehr als bei der letzten Kommunalwahl 2016. Nicht mehr antreten werden die Piraten, Neuzugänge auf dem Wahlzettel sind Volt, Die Partei und Pro Auto.
Als Wahlziele geben in einer sensor-Rundfrage SPD und CDU jeweils „stärkste Kraft werden“ aus, die Grünen wollen „20% + x“ und hoffen insgeheim auf Platz 2, fast alle übrigen derzeit im Rathaus Vertretenen wollen ihre 2016er-Ergebnisse „halten oder ausbauen“. Die neue Kraft VOLT hofft auf Fraktionsstärke (3 Sitze), besonders selbstbewusst geben sich auch Freie Wähler („mindestens 4 Sitze“, bisher 1) oder BIG („2-3 Sitze“, Ergebnis 2016: 0,3%, 0 Sitze).
Knirschende oder kuschelnde Kooperation?
Zwar ist die regierende Rot-Schwarz-Grüne Kooperation auch eine immer wieder kräftig knirschende Kooperation, nicht nur einmal wurde im Laufe der Legislaturperiode ihr Auseinanderbrechen erwartet. Aber gerade im Vorfeld dieser Wahl geben sich Verteter:innen dieses Dreierbündnisses wieder verstärkt kuschelig und betonen, dass man im Grunde doch gut zusammenarbeite.
Während für die anstehende Wahl bei der SPD auf einer soliden Liste fast ausschließlich bekannt-bewährte Namen auf den aussichtsreichen Plätzen stehen, tritt die nach den Vorgängen um den lange Jahre (über-)mächtigen Bernhard Lorenz quasi implodierte CDU mit einem weitgehend erneuerten Personaltableau – inklusive einer bisher nur auf Ortsbeiratsebene in Erscheinung getretenen Spitzenkandidatin – an, auch bei den Grünen finden sich viele ganz neue Namen in den „Top 20“. Oder reicht es gar für Rot-Grün-Rot, wovon die Linken träumen? Und wenn es rechnerisch reicht, passt es inhaltlich?
Alle können mit fast allen – außer mit der AfD
Generell gaben sich in Sachen möglicher Bündnisse so ziemlich alle zu allem und allen bereit. Ausdrücklich ausgeschlossen wird von fast allen eine Zusammenarbeit mit der sich in Wiesbaden „moderat“ gebenden, aber doch auch mit äußerst rechten Kandidaten antretenden AfD. Die FDP sagt zudem entschlossen „Nein“ zu den Linken, die ihrerseits eine formale Zusammenarbeit mit der CDU ausschließen.
Die meisten Wahlprogramme sind – manche recht kompakt und grundsätzlich, andere bis zu 70 Seiten stark und sehr detailliert – online auf den Seiten der Parteien und Gruppierungen zu finden. Dass allzu viele Wahlberechtigte allzu viel davon studieren, ist eher unwahrscheinlich. Aber es lohnt sich, mal reinzuschmökern, um einen Eindruck zu bekommen. Spezielle Themen, die interessieren, lassen sich meist auch direkt ansteuern. Eine interessante Orientierung für Wiesbaden gibt auch der an den „Wahlomat“ angelehnte „Kommunalwahlkompass“ (kommunalwahlkompass.de), zahlreiche weitere Möglichkeiten, sich – generell oder themenspeziell – zu informieren, finden Interessierte hier.
Am 12. März veröffentlichen wir ein Kommunalwahl Spezial mit Personen, Positionen und (Links zu) Programmen auf www.sensor-wiesbaden.de
So wählte Wiesbaden 2016
Die Ergebnisse der letzten Wahl zur Stadtverordnetenversammlung in Wiesbaden: CDU 24,7% (20 Sitze), SPD 25,9% (21 Sitze), Grüne 14,1% (11 Sitze), Linke 6,2 Prozent (5 Sitze), FDP 9,8% (8 Sitze), Piraten 1,1% (1 Sitz) BIG 0,3% (0 Sitze), AfD 12,8% (11 Sitze), BLW 1,7% (1 Sitz), Freie Wähler 1,4% (1 Sitz), Alfa 0,9% (1 Sitz), ULW 1,0% (1 Sitz). Wahlbeteiligung 43,4%.
Die Spitzenkandidat:innen 2021 – (wir haben alle 14 Parteien und Gruppierungen um Fotos gebeten. Hier veröffentlicht sie die Fotos aller, die geantwortet haben)