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Landeshauptstadt, deine Plätze: Blick zurück – nach vorn! Umgesehen … auf dem Blücherplatz / Neue Namen!?

Von Titus Grab. Fotos Samira Schulz.

Von den ersten Planungen um 1880 an, ist der Platz  „der“ zentrale Ort des Quartiers, das wir heute als Äußeres Westend bezeichnen.

Wie der Ausschnitt eines historischen Stadtplans von 1898 deutlich zeigt, war das von Blücher -, Scharnhorst -, Yorck – und Roonstraße begrenzte auch als „Feldherrenviertel“ bekannte Geviert von Anbeginn an längs geteilt: die westliche Hälfte nimmt die Blücherschule – in ihren Umrissen deutlich erkennbar – ein, die östliche Seite eine Freifläche. Der hier noch namenlose(!) Platz gegenüber der sprichwörtlichen grünen Wiese – „Kimbelwies“ – ist nur fünf Jahre später von einer bis heute bestehenden Blockbebauung vollständig umgeben.

Riesen-Frequenz, keine Betreuung

Volker Wild, Ortsvorsteher des Westends, wünscht sich 125 Jahre später „dringend Personal mit Sachverstand für die pädagogische Betreuung“ von Kindern auf der Freifläche, ist sie doch (gemeinsam mit dem Wallufer Platz) „der heute am stärksten frequentierte Spielplatz der Gesamtstadt“. Während am einen Ende zwei Ballspielplätze und Sitzgelegenheiten die Größeren ansprechen, befindet sich am anderen ein großzügig wirkender Spielplatz, auf dem sich häufig bis zu 300 (!) Kinder gleichzeitig tummeln. Dass es in diesem Sommer die dringend notwendige Platz-Betreuung gibt, wurde mittlerweile beschlossen.

Die Einrichtung der Betreuung hier ist dem über viele Jahre sehr rührigen Verein „Initiative Blücher-Spielplatz“ in Zusammenarbeit mit den Bauhaus-Werkstätten zu verdanken. Jahr für Jahr kümmerten sich im Rahmen von beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen beschäftigte Personen um den Platz: morgendliches Saubermachen der vermüllten Flächen, Ausgabe von Spielsachen, Streitschlichtungen und vieles mehr…-

Vielen in Erinnerung ist der allererste Platzbetreuer Hilario; sehr zugewandt, humorvoll, charmant und furchtlos. So wie eine Platzbetreuung fehlt, so steht es um die Toilettenfrage: Ein marodes Häuschen aus den 60er Jahren beherbergt eine Gerätekammer und eine einzige (!) in die Jahre gekommene Toilette, die abseits der Betreuungszeiten geschlossen ist und im Winter einfriert. Und die Kinder?! Sie sind gezwungen, „in die Büsche“ zu gehen, die es gar nicht gibt. Unhaltbare Zustände!

Die ehemalige Initiative hatte nach jahrelangem Verfall maßgeblich die heutige Ausstattung und Gestaltung des Spielplatzes vorangebracht: Klettermöglichkeiten und Häuschen aus Holz, große Sandfläche, Schaukeln, Rindenmulchflächen, Tische und Bänke, aktuell einige kaputt, eine Wasserquelle zum Spielen im Sand, fast immer außer Betrieb. Trotz seiner starken Über-Nutzung „funktioniert“ dieser für viele Kinder (und Eltern) ersatzlose Ort, der so langsam – nach über 15 Jahren extremer Beanspruchung – wieder eine Grundsanierung vertragen kann. Kein Grashalm und kein Kräutlein wachsen hier. Glücklicherweise gibt es einen abwechslungsreichen Bestand großer Bäume. Der nebenan angelegte Schulgarten liegt vollständig verwahrlost brach.

Gefragte Kunst-Koffer

Kontinuität wahren die Kunst-Koffer. Ihre allen Kindern kostenfrei und ohne Anmelden zugänglichen Angebote zum freien Gestalten und Spielen sind ganzjährig montags und freitags 16 bis 18 Uhr anzutreffen (im Winter 15 bis 17 Uhr) und werden hier ganz besonders stark nachgefragt. Deshalb begleitet deren Team die mobilen Werkstätten hier meist in Doppelbesetzung. Die Finanzierung dieser Angebote ist seit ihrem Start nicht nennenswert erhöht worden – und dies seit nun 18  Jahren zuverlässiger Präsenz

Der (einschließlich Schulgelände) rund 100 x 130 Meter messende Platz lädt an drei Ecken zur Scharnhorststraße hin – auf zwei kleinen Terrassen – zum genüsslichen Verweilen ein: im Bioladen Haselnuss Hofladen“ Ecke Yorckstraße und im Cafe „hier & jetzt“ und der „Bäckerei am Blücherplatz“ Ecke Blücherstraße. Die Offenlegung des Kesselbachs entlang dieser Straße – konzipiert vor über zehn Jahren – entpuppt sich als eine von Wiesbadens zahlreichen „unendlichen Geschichten“: nichts tut sich.

Neue Namen für das Viertel!?

Für beendet hingegen werden in diesem Sommer – zumindest auf Zeit – die Namensgebung des Platzes und die der umgebenden Straßennamen erklärt. Diese würdigen bislang Generäle des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71. Zu jenen Militärs, die den Generälen hier Vorbild gewesen waren, zählt auch der Namensgeber. „Blüchers Leben war der Krieg! Tatenlosigkeit konnte sein stürmisches Temperament nicht ertragen“, schreibt ein Biograph. – Ist dies wirklich zeitgemäß?!

Eines der Projekte im Rahmen des Kunstsommers 2023 lädt im Juni – der zweite heute, 18. Juni, 14Uhr Treffpunkt Goebenstraße, Ecke Bismarckring, mehr dazu siehe unten – und Juli zu „Das Viertel der Feldherren“ Rundgängen mit dem Autor dieses Beitrags und eigener Einmischung ein: neue Namen für den Blücherplatz und die Straßen ringsum können vor Ort vorgeschlagen werden. Für mehr Frauen – und mehr Weltoffenheit, wie sie auf diesem Platz tatsächlich in besonderem Maße gelebt wird.

Fazit: Aufenthaltsqualität: für Zielgruppen kaum zu überbietender Bandbreite gegeben / Raumgefühl: bei größtmöglicher Verdichtung ringsum – mehr „Stadt“ geht kaum! – finden sich ruhige und wohltuende Plätzchen / Optik: zwiespältig! Tendenz zur Verwahrlosung bei gleichzeitigen Lichtblicken  / Besonderheit: ein Ort für wirklich alle, die hier leben, wohnen, arbeiten oder zu Gast sind – und damit ein höchst authentischer Ort. Aber: Um sozial und baulich nicht zu „kippen“ braucht er dringend und schnell mehr Aufmerksamkeit und tätige Fürsorge seitens städtischer Stellen.

„Das Viertel der Feldherren“-Namens(umbenennungs)projekt im Rahmen des Wiesbadener Kunstsommers:

Eine 120-jährige Feier kaiserzeitlicher Frankophobie wird unterbrochen! Zuerst mit Informationen zu den Straßennamensgebenden Kriegern, Schlachten und besiegten Territorien in der Westend-Freiluft-Galerie und an den Straßenecken, dann mit einer Einladung zum Mit-, Auf- und Ein-Mischen auf offener Straße: Ihr seid / Sie sind selbst eine Woche lang die Findungs-Kommission neuer Bezeichnungen, gerne weltoffener und viel weiblicher. Aus einer Werkstatt-Ausstellung bei GODOT heraus werden diese vor Ort zusätzlich angebracht. Ein Projekt von Titus Grab mit Sarah Kottenbrink, Katharina Wengenroth und kollektivRAUMHAFT / eine Kooperation mit Eiscafé Santini. –

Führung, 2. Teil 18. Juni, 14 Uhr – 26. Juni bis 2. Juli, täglich 16 bis 21 Uhr mit/ auf/ neu-mischen – Interventionen mit Titus Grab im Westend – 8./9. Juli 15 bis 21 Uhr – Frischer Wind für Westendstraßen, Kulturwerkstatt Godot, Westendstraße.

www.wiesbaden-kunstsommer.de