Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos).
„Noch 106 Tage, 11 Stunden, 17 Minuten, 12 Sekunden bis zum nächsten Folklore-Festival in Wiesbaden.“ Stimmt natürlich nicht, behauptet aber im Moment des Entstehens dieses Beitrags auf der Seite www.folklore-wiesbaden.de der Countdown-Timer, den wohl jemand vergessen hat abzuschalten. Richtig ist: Es wird 2016 kein Folklore-Festival in Wiesbaden geben. Wahrscheinlich ist: Es wird gar kein Folklore-Festival mehr in Wiesbaden geben. Möglich ist: Es kann auch in Zukunft ein Festival in Wiesbaden geben, das den Charakter und den Stellenwert von Folklore erlangt. Genau dies wünschen sich naturgemäß viele und nun auch jene, die es momentan politisch „in der Hand haben“: die große Koalition im Wiesbadener Rathaus. Wie sensor heute erfuhr, werden CDU und SPD in der letzten Stadtparlamentssitzung des Jahres am kommenden Donnerstag einen gemeinsamen Eintrag einbringen, der die „Neukonzeption eines jährlich stattfindenden Jugendfestivals“ als Ziel ausgibt. Der zumindest in der Theorie charmant und clever klingende Weg zum Ziel heißt: Beteiligungsprozess.
15-F-33-0096 – Der Schlüssel zum neuen Festival?
Die Sitzungsvorlage 15-F-33-0096 könnte der erste Schritt zu einem neuen dauerhaften Festival in Wiesbaden sein, das die „Folklore-Lücke“ schließen kann. Im gemeinsamen Antragstext merken CDU und SPD an: „In den zahlreichen Debatten um das `traditionelle´ Festival `Folklore´ wurde deutlich, dass diese Veranstaltung für die Bürgerinnen und Bürger Wiesbadens und auch darüber hinaus – insbesondere auch für junge Menschen – einen außerordentlich hohen Stellenwert hat.“ Es folgt der Hinweis darauf, dass im August 2015 nach derzeitigem Stand zum letzten Mal das Folklore-Festival gefeiert worden sei und dass der Veranstalter Schlachthof in einem offenen Brief mitgeteilt habe, „dass er aufgrund unterschiedlichster Faktoren (Besucherzahlen, Finanzierung, sonstige Rahmenbedingungen) eine Fortführung des Festivals nicht mehr gewährleisten kann.“
Alles auf Anfang
Die Idee der Großkoalitionäre ist es nun, bei Null anzufangen und zuallererst Fragen zu stellen, um dann in aller Ruhe ein neues Festival entstehen zu lassen, das den Vorstellungen möglichst vieler Beteiligter – und natürlich potenzieller Besucher – entspricht. Der Antrag sieht vor, zuerst herauszufinden, wer alles an einem solchen Prozess beteiligt sein sollte und dann mit diesen Beteiligten zu erarbeiten, wie ein Festival künftig aussehen könnte, welchen Charakter es bekommen sollte – und wie es sicher finanziert werden könnte.
Akteure identifizieren, Beteiligungsprozess initiieren
Konkret wird beantragt, dass die Stadtverordnetenversammlung beschließt, den Magistrat prüfen zu lassen,
„a. welche lokalen und regionalen Akteure an einem Beteiligungsprozess zur Neukonzeption eines jährlich stattfindenden Jugendfestivals identifiziert werden können,
b. wie ein solcher Beteiligungsprozess initiiert, moderiert und fachlich begleitet werden kann, um im Rahmen der Konzepterarbeitung dann auch die Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Jugendfestival von Seiten der Verwaltung frühzeitig einbringen zu können und zudem die Möglichkeiten der dauerhaften finanziellen Absicherung durch Eintrittsgelder und unter Umständen auch durch Sponsoring ebenfalls im Prozess zu klären.“
Klingt etwas gestelzt, könnte sich als der erste Schritt auf einem Weg entpuppen, an dessen Ende ein Festival (ent)steht, das die Ansprüche und Erwartungen möglichst vieler und auch die Anforderungen an ein Festival von heute mit Potenzial für morgen und übermorgen erfüllt.
Unstrittig ist, dass der Wunsch in der Stadt groß ist, dass es auch künftig ein „Folklore“-artiges Festival in Wiesbaden geben wird. In den letzten Wochen hatten sich neben politischen Jugendorganisationen unter anderem die Wiesbadener Grünen zu Wort gemeldet, dass man „Folklore“ nicht einfach so sterben lassen dürfe und dabei auch die Finanzierung aus einem anderen Etat, wie zum Beispiel dem des Stadtmarketing, ins Spiel gebracht. Die Zuschüsse für das Festival in seiner bisherigen Form waren seitens der großen Koalition gestrichen worden. Ein vorgesehenes Einspringen der Stadt für die Außenstände des diesjährigen Festivals war laut Stadt aus rechtlichen Gründen nicht möglich.
Der Antrag der großen Koalition steht auf der Tagesordnung bei der letzten Sitzung des Stadtparlaments in diesem Jahr am Donnerstag, 17. Dezember, ab 16 Uhr im Sitzungssaal des Rathauses. Interessierte Zuhörer sind bei der öffentlichen Sitzung wie immer willkommen.
Was haltet ihr von den Ideen, ein „Folklore-Nachfolgefestival“ für Wiesbaden zu planen?
Habt ihr schon Ideen, wer an einem Beteiligungsprozess beteiligt sein sollte und wie ein neues jährliches Festival aussehen könnte?
Wenn es denn eine Zukunft mit einem dem Charakter eines „Festivals“ geben sollte, sehe ich die Herausforderung besonders in Wiesbaden auch darin kein weiteres Trink- ,Ess- und Strassen-Fest zu etablieren. Das „Theatrium“, besser bekannt als Wilhelmstrassenfest, das ja mit „Theater“ nicht mehr viel zu tun sollte ein abschreckendes Beispiel sein. Das Wilhemstrassenfest hat auch seine Berechtigung, aber Wiesbaden ist mehr als der Champagner und Hummer vor dem Nassauer Hof oder die Joe-Cocker-Cover-Songs von DSDS Sternchen vor dem Kurhaus an einem Wochenende im Juni.
Ich begrüße es sehr, dass man den Drang der Jugend nach einem Festival im Rathaus spürt. Nur sollte jedem klar sein, dass es immer ein Minusgeschäft ist, wenn man Kunst statt Bratwurst haben will.