Text und Fotos: Dirk Fellinghauer.
„Die Welt braucht Lieder“. Mit dieser so klaren wie einleuchtenden Botschaft eröffnete Udo Jürgens in der Mainzer Rheingoldhalle sein „Vorkonzert“ zur anstehenden Tournee, die heute in Stuttgart offizielle Premiere feiert und ihn morgen in die ausverkaufte Frankfurter Festhalle führt. Spätestens drei Stunden später, nach der letzten Zugabe in Jeans, Turnschuhen und halb heraushängendem Hemd, war die Botschaft noch etwas klarer: Die Welt braucht Udo-Jürgens-Lieder! Der Sänger, Komponist und Entertainer, der gerade seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, präsentiert sich tatsächlich so, wie der Titel seines neuesten Albums heißt: „Mitten im Leben“. Und immer nah dran!
Udo Jürgens ist der Mann mit den zwei Gesichtern. Den einen, den Gassenhauer-Udo, den kennt längst jeder, und den „liefert“ der Vollblutmusiker auch in der zweiten Konzerthälfte, der fröhlich-ausgelassenen „Partyhälfte“, bei der sich die Fans wie immer direkt vor der Bühne versammeln. Vorher aber gibt es den Zuhör-Udo, und dieser Udo ist einfach noch beeindruckender, noch großartiger, noch wichtiger, denn dieser Udo singt und zelebriert – mit dem ebenfalls grandiosen 25-köpfigen Orchester Pepe Lienhard – die Lieder, die die Welt wirklich braucht: Lieder, die anregen und oft genug aufregen, die inspirieren und aufrütteln, die ein paar Antworten geben und vor allem sehr viele Fragen stellen. „Es gibt Probleme auf dieser Welt, auf die findet man einfach keine Antwort. Wichtig ist es aber, die richtigen Fragen zu stellen“, erklärt ein an diesem Abend außergewöhnlich gesprächiger Udo Jürgens, auch ein mehr denn je zorniger Udo Jürgens: „Ich wünsche mir, dass ein Politiker einfach mal auf eine Frage sagt: Ich weiß es nicht. Anstatt einfach nur irgendwelche Antworten zu geben.“
Kluge Auswahl aus 1000 Liedern
In seinem Repertoire haben sich über die Jahrzehnte um die tausend Lieder angesammelt. Udo Jürgens hat für dieses Tourneeprogramm eine kluge, oft überraschende, insgesamt auffällig botschaftsstarke Auswahl getroffen. Ein paar weniger der etwa 25 Songs des kurzweiligen und mitreißenden Abends sind vom neuen Album („Alles aus Liebe“, „Der Mann ist das Problem“, „Mein Ziel“ zum Beispiel), „Ich war noch niemals in New York“ in broadwayreifer Version mit der unglaublichen Dorothea Lorraine ist wie immer dabei, außerdem ein Hitmedley und erstmals ein „Uralt“-Medley . „Wenn ich andere, ältere Künstler treffe, dann sagen sie oft, immer muss ich die alten Schinken singen. Ich muss sagen, ich singe sie gerne“, erzählt Udo und grinst wie ein Lausbub: „Vielleicht liegt es daran, dass meine Songs gut sind“.
„Griechischer Wein“, gaaaanz langsam eingeschenkt
Außer den Hits, die schon immer gut waren und immer gut bleiben werden, spielt er lange nicht mehr oder gar noch nie und umso erfreut wieder gehörte Songs wie „Ich bin dafür“, „Ich würd es wieder tun“, „Der gekaufte Drachen“ oder „Immer wieder geht die Sonne auf“. Und einen – absolutes Meisterwerk des Abends – Gassenhauer in nie gehörter, hypnotisch langsam gesungenen und ganz reduziert instrumentierten Version: „Griechischer Wein“. Nicht zum Mitklatschen, sondern zum Zuhören. Und das sinfonische Werk „Krone der Schöpfung“, wo er vorab – seit Ewigkeiten sein großes Schimpfthema – gegen die Religionen vom Leder zieht: „Kein Politiker in der Geschichte hat es geschafft, so viele Menschenleben auf dem Gewissen zu haben wie die Religionen“. Er weiß, dass viele diese und ähnliche Worte wieder mit bösesten Briefen quittieren werden, aber es ist ihm wichtig, das zu sagen.
Und wie ist der Achtzigjährige drauf? Supergut!
Ja, und – die Frage, die die Fans vor Konzertbeginn im Foyer bewegte – wie ist er nun in Form, dieser Achtzigjährige? Er ist in Bestform! Klar, er schaut häufiger als bisher auf seine Texthilfen (was andere Kollegen schon in ihren Dreißigern höchst intensiv tun). Klar, er beugt sich nicht mehr so oft und schon gar nicht so tief zu seinen Fans hinunter. Klar, er gibt nach dem Konzert keine Autogramme mehr am Bühnenrand. Ganz und gar nicht klar, aber höchst erfreulich: Er singt und spielt voller Kraft und Energie, er dirigiert sein Orchester punktgenau, er macht Sprüche und Witze und Witzchen und, er lacht und tanzt, und am Ende joggt er freudestrahlend über die Bühne. Und singt, ganz alleine am Klavier auf der eben noch so vollen Bühne, den Song, der die Situation nach dem Konzert beschreibt: „Zehn nach Elf“ … Erst das viele Licht und dann die Leere … Was für ein Konzert. Was für ein sagenhafter Künstler. Wer die Gelegenheit hat, ihn live zu erleben, sollte sie nutzen.
Der offizielle Tourauftakt ist an diesem Freitag in der ausverkauften Stuttgarter Schleyerhalle. Am Samstag kommt Udo Jürgens in die ebenfalls ausverkaufte Festhalle Frankfurt, wo er am 31. März 2015 ein Zusatzkonzert geben wird. Infos und Tickets: www.wizardpromotions.de, www.udojuergens.de
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