Von Jan-Markus Dieckmann. Fotos Kai Pelka.
Die Lust am Essen kann einem manchmal vergehen bei Schlagwörtern wie Gammelfleisch, Chlorhähnchen oder Gengemüse. Was kann, was möchte ich überhaupt noch essen? Peter Becker kennt Alternativen.
Es regnet in Strömen, als uns Peter Becker am Eingang zum Campus Klarenthal empfängt. Er führt uns in seine Kräuterwerkstatt, die wie eine Mischung aus Küche, Labor und Bastelraum anmutet. Dort hat er schon eine Auswahl an Lebensmitten vorbereitet, die auf den ersten Blick ziemlich ungewöhnlich erscheinen: eine vegetarische Leberwurst aus Eicheln und Austernpilzen, Springkrautgelee, seine Newtella – eine Alternative zu herkömmlichen Nuss-Nougat-Cremes aus Eicheln und gut für Haselnussallergiker geeignet – und ein köstliches Löwenzahnwurzel-Eis. Schnell wird uns klar: Die Vielfalt an unbekannten Lebensmitteln direkt vor der Haustür ist riesig.
Mit dem Thema Nahrung beschäftigt Becker, der sich selbst als „ernährungsökologischen Pfadfinder“ bezeichnet, schon lange. Er ist Koch, Gesundheitsberater für Ernährung und Wildkräuterdozent. „Ich war schon immer ein neugieriger Koch. Als Kind wollte ich wissen, wie meine Zimmerpflanzen schmecken und habe sie probiert – wenn mal eine giftige dabei war, hatte man halt mal eine geschwollene Lippe, aber es hat mich schon immer begeistert.“
Umweltschutz mit Messer und Gabel
Was Becker besonders am Herzen liegt: der aktive Umweltschutz mit Messer und Gabel. In der globalisierten Welt reisen schließlich nicht nur Menschen rund um den Erdball, auch Pflanzen dringen in Ökosysteme weit ab ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes ein. Diese Neophyten verdrängen geschützte Arten und überwuchern die Ufer ganzer Bachläufe. So beispielsweise das Indische Springkraut. Groß angelegte Rupf-Aktionen und die Ausbringung von Gift sind für Becker keine Option. Schließlich sind viele Arten essbar und könnten so bestens zur Nahrungsmittelversorgung beitragen. Er entwickelte einen Springkrautsirup, den er zusammen mit seinen Schülern herstellt – eine pinke süße Flüssigkeit, die mit Mineralwasser zusammen eine herrliche Limonade ergibt. Dazu werden die Blüten verwendet, was zur Folge hat, dass sich die Pflanzen nicht mehr über Samen vermehren können und so die weitere Ausbreitung gehemmt wird.
Mit dem Erlös aus dem Verkauf, auch über seine Webseite www.newtritionink.de, wurde ein Erhaltungsbeet für die rotgelisteten Pflanzenarten angelegt, die durch das Springkraut verdrängt werden. Aus dem invasiven Japanischen Knöterich stellt er in seiner Manufaktur köstliche Marmeladen und herzhafte Brotaufstriche her. Doch große Gewinne will er damit gar nicht erzielen. „Jeder kann meine Rezepte haben, nur so sind die Pflanzen wertvoll“, sagt er: „Wenn der Transport mehr Kalorien verbraucht, als der Verzehr uns einbringt, dann ist das ist ernährungsökologischer Schwachsinn.“
Kinder als Bewusstseins-Multiplikatoren
Seine Schüler sind mittlerweile richtige Wildkräuterexperten: jede Unterrichtsstunde nehmen sie sich eine neue Pflanze vor und lernen sie kennen. Einmal vertrat ihn ein Schüler an einem Infostand. Als er zurückkam, hatte der Sechstklässler eine große Traube von Menschen um sich versammelt und erklärte mit Begeisterung die Idee hinter den Knöterich-Produkten. „So werden die Kinder zu Multiplikatoren und tragen ein neues Bewusstsein in die Familien.“
Neben den Wildkräutern hat Becker noch eine besondere Leidenschaft: unbekannte Kulturpflanzen als Lebensmittelressource nutzbar zu machen. Zum Beispiel Knollen, es muss ja schließlich nicht immer die Kartoffel sein. Siebzig verschiedene Arten kennt und schätzt er, unter anderem die Apios-Indianerkartoffel oder die Mashua-Knolle aus Südamerika, eine scharfe, delikate Wurzel einer Kapuzinerkressenart, die beim Dünsten ein Blumenkohlaroma entwickelt. Im Augusterscheint sein Buch über Knollen mit Beschreibungen, Rezepten und Bezugsquellen im Kosmos Verlag.
An Ideen und Projekten mangelt es Becker nicht: in Kürze soll seine Insektenwerkstatt starten, um zum Beispiel Seidenraupen zu züchten, die sonst nur ein Abfallprodukt der Seidenproduktion sind – aber überaus lecker und eine hervorragende Proteinquelle. Darüber hinaus haben sich bereits zwei Schüler am Campus zu Imkern ausbilden lassen. Was nach Honigproduktion klingt, geht jedoch darüber hinaus. Jede Woche werden bundesweit ca. 45 Tonnen Bienendrohnen, also männliche Honigbienen, entsorgt – für Becker eine Ressourcenverschwendung. Also entwickelte er eine Bienenwurst, die ausschließlich aus Drohnenlarven, Blütenpollen und Bienenwachs besteht. Es gibt auch einen Instantbrühwürfel für Maikäfersuppe und ein Heuschreckenpesto.
Alle Ernährungsquellen nutzbar zu machen ist sein Anliegen. Und so bereiten wir gemeinsam ein wunderbares Gänseblümchenpesto zu. „Aber bitte nicht an den Gassi-Routen sammeln!“, rät Becker und verrät uns auch sein einfaches Rezept:
Gänseblümchen Pesto
1 Tasse Gänseblümchen, 1/2 Tasse Erdnüsse, Cashew- oder Sonnenblumenkerne, und etwa 1/3 Tasse Pflanzenöl pürieren und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Kann mit etwas Streukäse und Chili verfeinert werden.