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Operation Neue Nachbarschaft – U.S. Army wächst in Wiesbaden

 

Von Alexander Pfeiffer. Fotos Heinrich Völkel und Andrea Diefenbach.

Der Umzug des Europa-Hauptquartiers der US Army von Heidelberg nach Wiesbaden bringt der Stadt und ihrem Umland bis 2015 etwa 3.000 Angehörige und Bedienstete der amerikanischen Armee inklusive Familien als neue Mitbürger. Die Stadt spürt – und diskutiert – die Folgen.

 

Vor zehn Jahren hatte die U.S. Army Europe, laut Selbstauskunft „Amerikas vorderstes strategisches Heereskommando“ mit den Aufgaben „Führung, Aufbau, Sicherung und Abschreckung“, 62.000 Soldaten unter ihrem Kommando. Bis 2017 sollen es noch 30.000 sein – Ausdruck einer veränderten Sicherheitspolitik, die Bedrohungen heute in anderen Ecken der Welt vermutet. Noch sind etwa 40.000 US-Soldaten auf Stützpunkte in Europa verteilt, 2.700 gehören zur amerikanischen Heeresgarnison Wiesbaden. Mit Zivilangestellten, Familien, ortsansässigen Mitarbeitern und Pensionären kommt die Gemeinde auf 16.600 Mitglieder. Bis 2015 wird sie auf knapp 20.000 anwachsen  – und als Hauptquartier sämtliche Aktivitäten der US-Armee in Europa koordinieren. „Dabei sind etwa die Hälfte aller Mitarbeiter Amerikaner“, sagt Pressesprecherin Anemone Rueger, selbst Deutsche. „Die ortsansässigen Angestellten sind Türken, Inder, Deutsche …“ 

Blitzsaubere Konformität

 

Das am Rande des „Wiesbaden Army Airfield“ in Erbenheim gelegene, im Sommer feierlich eingeweihte „Newman Village“ mag in seiner blitzsauberen Konformität wirken, als hätte Tim Burton sich das Set für eine Fortsetzung von „Edward mit den Scherenhänden“ bauen lassen – von den aus Heidelberg bislang hierher gezogenen Familien heißt es, sie seien äußerst angetan. Die Straßen im neuen Viertel tragen geschichtsträchtige Namen. Eine von ihnen erinnert an den in Wiesbaden geborenen Oberstabsarzt Dr. Thomas Broer, der 2010 im Alter von 33 Jahren in Afghanistan starb. 

Neben der Wohnsiedlung mit 326 Häusern für Soldaten und ihre Familien wurde in Erbenheim bereits das neue Kommandozentrum eingeweiht, auf dem Hainerberg ein Armee-Hotel und ein Entertainment-Center. Bis 2015 folgen Wachhäuser, eine neue Schule, ein Community Center, ein Einkaufs- sowie ein Geheimdienstzentrum und ein Informationsverarbeitungszentrum. Insgesamt lässt sich die US-Armee die Bauarbeiten mehr als eine halbe Milliarde Dollar kosten. 

Dass Wiesbaden seit jeher eine große Anziehungskraft für Amerikaner besitzt, ist kein Geheimnis. So munkeln einige, die „Stadt des Historismus“ sei während des Zweiten Weltkrieges nicht ohne Grund von amerikanischen Bombardements weitgehend verschont geblieben: Schon bald nach Kriegsende residierten US-Offiziere im Kurhaus und flanierten die Alleen entlang. Und nur einen Katzensprung weiter, in der Paulinenstraße, steht die als „Weißes Haus“ bekannte Söhnlein-Villa, die der Sohn des Schaumweinfabrikanten 1906 erbauen ließ, um seine amerikanische Ehefrau über ihr Heimweh hinwegzutrösten. Nicht von ungefähr fand der Empfang für die neuen amerikanischen Mitbürger im September dort statt. 

Vom Rosinenbomber zu „Black Hawk“ 

Auf dem Flugplatz Erbenheim starten und landen seit 1929 offiziell Maschinen, seit 1936 ausschließlich militärische. Im März 1945 gab die Deutsche Luftwaffe den „Fliegerhorst Wiesbaden“ auf, der bald von den US-Truppen besetzt wurde. So starteten von dort während der „Berliner Luftbrücke“ 1949 die berühmten „Rosinenbomber“, die Hilfsgüter in die abgeriegelten sowjetischen Zonen brachten. Zuständig für die Organisation war General Lucius D. Clay. An ihn erinnert neuerdings der Name des „Wiesbaden Army Airfields“: Clay Kaserne. 

Mit dem Umzug der Kommandozentrale von Heidelberg kommen zu den 19 dem Flugplatz Erbenheim zugeteilten Militärflugzeugen 16 Hubschrauber vom Typ „Black Hawk“. Die Flugbewegungen werden von 10.000 auf 17.000 pro Jahr zunehmen. Auch wenn das Militär beschwichtigt, man tue alles, um „nachbarschaftlich“ zu fliegen, gibt es bei einigen Nachbarn der Kaserne Bedenken. 

Durchgangsverkehr über den Dächern

Bernd Wulf, Vertreter der Bürgerinitiative gegen Lärm und Gefahren durch US-Flugzeuge BiLGUS, die sich in diesem Februar gebildet hat, berichtet von zunehmendem Flugbetrieb an Feiertagen und in den frühen Morgenstunden. Wulf, der in Igstadt lebt, misst mit seiner eigens installierten Anlage bis zu 70 Dezibel Fluglärm. „Das ist wie lauter Durchgangsverkehr.“  Auf der BiLGUS-Website gehen pro Monat etwa 40 Beschwerden über Fluglärm ein – vor allem aus den östlichen Vororten Bierstadt, Igstadt und Breckenheim. Von der Stadt fühlt sich die Initiative „bislang nicht sehr gut vertreten“, sagt Wulf. „Ich würde mir wünschen, dass regelmäßige Kontakte zwischen der Armee und den hiesigen Bürgern stattfinden. Zumindest wurde jetzt mal damit begonnen, die Ortsvorsteher der umliegenden Gemeinde aufs Air Base-Gelände einzuladen. Da kann aber ruhig noch mehr passieren.“ Die Bürger wählen ihre Vertreter“, entgegnet Anemone Rueger. „Mit denen kommunizieren wir.“ 

„English spoken here“ 

Der Behauptung, die Amerikaner würden ihre Housing Areas kaum verlassen, kann Anemone Rueger nicht zustimmen: „Ich treffe ständig Kollegen, wenn ich in der Stadt bin. Auf dem Militärgelände wird es ja auch irgendwann langweilig.“ Für Neuankömmlinge bietet die US-Armee ein Integrationsprogramm an, bei dem sie durch Wiesbaden geführt werden, Freizeittipps bekommen oder lernen, wie man Fahrscheine löst. Ein „Things to do“-Blog auf der Army-Website informiert über weitere Angebote außerhalb der Garnison. Dazu beteiligte man sich mit vier Teams am diesjährigen 25-Stunden-Lauf, war bei der Drachenboot-Regatta zum Schiersteiner Hafenfest dabei, verkauft „American Food“ auf dem Herbstmarkt und tritt regelmäßig zum Fußball gegen die Rathaus-Elf an. 

„Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehören die Amerikaner zu Wiesbaden“, findet denn auch OB Dr. Helmut Müller, „sie waren – und sind – stark an der Entwicklung unserer Stadt beteiligt. So haben sie zum Beispiel Wiesbaden zur Landeshauptstadt gemacht. Auch durch die Verlagerung des Hauptquartiers der U.S. Army Europe wird Wiesbaden profitieren.“ 

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Wiesbaden hat Aufkleber für Schaufenster und Bürotüren entwickelt, die US-Bürgern helfen sollen, Hemmschwellen abzubauen: „English spoken here“, verkündet der eine, die Aufschrift „VAT-Form accepted“ des anderen weist darauf hin, dass amerikanische Kunden in den entsprechenden Läden mehrwertsteuerfrei einkaufen können. Zu einer Veranstaltung der IHK mit Vertretern der US-Heeresgarnison kamen 200 Gewerbetreibende: Als Kunden für Einzelhandel, Gastronomie und Hotelerie sind die vermehrt zuziehenden Amerikaner eine interessante Zielgruppe. 

Das Dorint Pallas Hotel bietet bereits im dritten Jahr Dinner Partys zum US-Nationalfeiertag am 4. Juli sowie zu Thanksgiving an. Zu „turkey“ oder „pumpkin soup“ gibt es Livemusik – demnächst wieder am 22. November. Zu den Gästen zählen Armeeangehörige ebenso wie in der Region lebende Amerikaner ohne Verbindung zur Armee, aber auch Deutsche, berichtet Verkaufsleiter Florian Urleberger. „Früher waren die Amerikaner mehr in der Stadt“, ist sein Eindruck. „Heute gibt es so eine gewisse Grundangst vor Attentaten.“ 

Die Stadt wächst – zusammen? 

Einen guten Grund, angestammte Gefilde mal zu verlassen, bietet Kimberly Carr. Am Amelia Earhart Playhouse bringt sie mit Laiendarstellern englischsprachige Stücke auf die Bühne. „Zu unseren Vorsprechterminen für die Produktionen kommen etwa 20% Deutsche und 80% Amerikaner“, erzählt sie. „Das Publikum bei den Aufführungen ist ziemlich genau 50/50.“ Seit Oktober steht „Little Shop of Horrors“ auf dem Programm, für Dezember plant Kimberly Carr eine Musical-Variante von „The Nutcracker“.

 Die Marktkirche hat mit Jeffrey Myers einen amerikanischen Pfarrer, der zu speziellen Anlässen schon mal eine Andacht in englischer Sprache hält. Die Tradition der deutsch-amerikanischen Freundschaftsvereine pflegt Barbara Hennig als Präsidentin von Outreach Wiesbaden e.V.: „Das Programm gibt Soldaten, Familienmitgliedern und Zivilisten eine Gelegenheit, mehr über Deutschland zu erfahren –  im Gegenzug erfahren wir etwas über die amerikanische Lebensweise.“ Neben einem regelmäßigen Stammtisch an jedem ersten Dienstag des Monats gehen die Mitglieder gemeinsam bowlen oder veranstalten Grillfeste. 

Dass die deutsch-amerikanische Nachbarschaft unmittelbarer ist, als mancher denken mag, kann selbst BiLGUS-Aktivist Bernd Wulf bestätigen: In Igstadt sind einige Häuser an US- Familien vermietet. „Viele Garnisonsangehörige wohnen außerhalb des Armeegeländes“, bestätigt Anemone Rueger. Während das im Sinne des täglichen Miteinanders positiv ist, bereitet es Jost Hemming, Geschäftsführer des Mieterbunds Wiesbaden, auch Sorgen. „Durch den Zuzug der Amerikaner wird sich insbesondere günstiger Wohnraum verknappen.“ Zudem befürchtet er steigende Mieten – da die Armeeangehörigen ihre Wohnkosten subventioniert bekommen, können sie höhere Preise zahlen.

 Stress um die Naherholung 

Auch Mainz, das anders als die Nachbarn im Zweiten Weltkrieg keineswegs vor amerikanischen Luftangriffen und Zerstörungen verschont blieb, hat seine „Geschichte“ mit den amerikanischen Streitkräften. Im Stadtteil Gonsenheim übernahmen die Amerikaner nach dem Abzug der Franzosen 1949 die Kathen-Kaserne und tauften sie in „Lee Barracks“ um. Soldaten und ihre Familien gehörten fortan zum Gonsenheimer Ortsbild. Vor über zwanzig Jahren, im Januar 1992, wurde die 8. US-Infanteriedivision „inaktiviert“, und das amerikanische Kontingent zog aus Mainz ab. Mit dem Umzug des europäischen Hauptquartiers sind „die Amerikaner“ aber zunehmend wieder Gesprächs- und Diskussionsthema. 

Hier kommen zu den Sorgen um steigende Mieten und sich verknappenden Wohnraum Bedenken darüber, dass derzeit die Übungsgelände der US-Armee hinter dem Layenhof und im „Mainzer Sand“ instand gesetzt werden. Nicht nur Umweltdezernentin Katrin Eder und OB Michael Ebling befürchten, dass hier künftig mehr militärische Übungen stattfinden. Auch wenn ihnen von US-Seite inzwischen versichert wurde, dass keine Panzer rollen sollen, bleibt die Sorge, die US-Amee könnte ausgerechnet die als Naherholungs- und Naturschutzgebiete ausgewiesenen Flächen als Übungsraum für den Häuserkampf im arabischen Raum nutzen. Anemone Rueger bezeichnet diese Sorgen als unbegründet. „Es wurden dort lediglich Wege begradigt. Weder ist eine große Zunahme von Übungen geplant, noch etwas, das in die Natur einschneidet. Da existieren einfach falsche Vorstellungen. Es sind größtenteils Bürojobs, die nach Wiesbaden wechseln, keine kämpfenden Soldaten.“ Neben befürchteten Schäden an Flora und Fauna geht es in der Diskussion auch hier um das Thema Lärm. Betroffen ist neben den Stadtteilen Finthen, Drais, Lerchenberg, Mombach und Gonsenheim auch Wackernheim, wo die US-Armee das McCully Support Center betreibt. Transporte mit schweren Sattelschleppern von dort zum Frankfurter Flughafen und zurück sorgen vor allem bei der Durchfahrt in Finthen für Unmut. 

Ursula Bell-Köhler, Präsidentin des Deutsch-Amerikanischen Clubs Mainz e.V., möchte gute nachbarschaftliche Beziehungen fördern. „Meine Meinung ist, dass auch Amerikaner, die zum Beispiel im Wohngebiet Finther Landstraße leben, diese sensiblen Gebiete kennen und schätzen, da sie zu den Nutzern gehören, dort Sport treiben und spazieren gehen. Etwaige Probleme können nur gelöst werden, indem man miteinander spricht.“ Eines übrigens hat Mainz den Wiesbadenern in Sachen deutsch-amerikanischer Beziehungen voraus: eine Städtepartnerschaft. Seit 1994 ist Louisville im Bundesstaat Kentucky Mainzer Partnerstadt.