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Schottisches Drama hinter schwedischen Gardinen – „Macbeth“ feiert heute im Häftlingstheater „Die Werft“ Premiere

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Von Alexander Pfeiffer. Fotos Simon Hegenberg / Arne Dechow.

Knapp 200 nach Jugendstrafrecht Verurteilte sitzen ihre Haftstrafe in der Wiesbadener JVA Holzstraße ab. Keiner ist älter als 25, die meisten bleiben nicht länger als ein Jahr, manche aber auch bis zu drei Jahre. Einige nutzen die Zeit hinter Gittern, um eine Berufsausbildung zu absolvieren, andere machen einen Schulabschluss. Seit 2008 können sich die Gefangenen auch als Schauspieler ausprobieren, in der damals deutschlandweit ersten festen Theaterbühne hinter Grittern. Heute hat das neue Stück „Macbeth“ des Häftlingstheaters „Die Werft“ Premiere.

Den Anstoß zum Theater hinter Gittern gab die stellvertretende Leiterin der Schulabteilung Christine Holzinger. Ulrich Westermann vom Förderverein der JVA steht ihr als Projektleiter zur Seite. Gemeinsam wandten sich seinerzeit an die Agentur für Kultur- und Filmproduktionen INVOLVE und fragten deren Betreiber Arne Dechow, der zuvor an städtischen Bühnen in Karlsruhe, Würzburg und Kassel gearbeitet hatte, ob er sich vorstellen könne, Theaterproduktionen mit Häftlingen auf die Bühne zu bringen.

„Ich hatte dieses kasernierte Stadttheater ein bisschen über, als ich 2002 die Agentur gegründet habe“, erzählt Dechow. „Die allermeisten Leute am Theater bekommen wenig außerhalb des Theaters mit. Aber Theater kann nicht Gesellschaft spiegeln, wenn man nicht weiß, wie zum Beispiel ein Handwerker lebt und arbeitet.“ Die Anfrage aus dem Gefängnis kam also gerade recht.

Schiffe bauen im Gefängnis 

Dabei ist der Ansatz seines Teams, das unter dem Namen DIE WERFT agiert, nicht in erster Linie ein pädagogischer. „Wir behandeln unsere Schauspieler wie Profis“, erklärt er. „Wir zwingen die Jungs, etwas zu investieren. Wer nur auf die Bühne will, um Applaus einzuheimsen, ist bei uns fehl am Platz.“

Und doch wirkt die Theaterarbeit auch pädagogisch, quasi nebenbei, als willkommener Nebeneffekt: „Wir finden sehr viel an menschenverachtender Grundhaltung da drinnen. Seien es Frauenverachtung, Homophobie oder ganz prinzipiell die ständige Einteilung in Gruppen. All diese Stereotypen und Rollenverständnisse lösen sich auf im Spiel, werden ironisiert und gebrochen.“

Und warum heißt das Gefängnistheater, das seit dreieinhalb Jahren eine eigene Spielstätte im ehemaligen Lager der Schreinerei hat, ausgerechnet nach einer Schiffswerkstatt? „Die poetische Idee dahinter“, grinst Dechow, „ist: Wir bauen Schiffe, die schwimmen können. Wo das Schiff dann jeweils hinfährt, wissen wir nicht. Aber die Freiheitsverheißung ist auf jeden Fall da.“

Wechselndes Team

Neben Dechow selbst arbeitet die WERFT mit einem wechselnden Team. Aktuell gehören dazu Nathalie Meyer (Bühne und Kostüm), Niklas Kleber (Musik), Guido Paefgen (Maskenbild) und Sönke Beck (Technik). Unverzichtbar ist Peter Protic, der vor sieben Jahren als 18-Jähriger dazugestoßen ist und schon allein deshalb nahezu auf Augenhöhe mit den Schauspielern agieren kann, die auch heute noch kaum jünger sind als er. Mittlerweile mit einer halben Stelle und eigenem Büro in der JVA ausgestattet, kümmert er sich um Regie und Organisation. Nicht nur seine Arbeit wird aus Projektfördermitteln des Bundesfamilienministeriums und Spenden finanziert. Die WERFT verlangt für ihre Aufführungen von den Zuschauern keine Eintrittsgelder. Stattdessen wird jeder Besucher gebeten, mindestens 10 Euro an den Förderverein der JVA zu spenden.

Abgründiger Stoff für die dunkle Jahreszeit

2011 wurde mit dem Stück „Antikörper“ erstmals eine Produktion der WERFT im Rahmen der Internationalen Maifestspiele gezeigt. „Seitdem müssen wir uns um Publikumszuspruch keine großen Sorgen mehr machen“, sagt Arne Dechow. Im Juni 2015 gehörte man mit „Wie du reimt keiner, Rainer – Antworten auf Rilke“ zum Programm der Hessischen Theatertage. Und dass es für diese Inszenierung am Ende den Publikumspreis des Festivals gab, hat nicht etwa mit einem „Exotenbonus“ oder gar mitleidiger Bevorzugung gegenüber den anderen, vermeintlich professionelleren Produktionen zu tun, sondern verdankt sich allein der rohen, vibrierenden Kraft und der Originalität dessen, was die sieben Schauspieler unter der Leitung von Peter Protic und Arne Dechow da auf die Bühne gebracht haben.

Die 5.000 Euro Preisgeld wurden in eine neue Zuschauerpodesterie investiert, die ab sofort bis zu 90 Besuchern pro Aufführung Platz bietet. Erstmals zum Einsatz wird sie bei der nächsten Produktion kommen, die im Dezember startet. Nach dem ironischen und bisweilen aberwitzigen Rilke-Abend hat man sich diesmal einen deutlich abgründigeren Stoff vorgenommen: „Macbeth“, William Shakespeares Tragödie über den von Intrigen und Machtgier geprägten Aufstieg des Heeresführers Macbeth zum König von Schottland und seinen wahnhaften Verfall.

„Shakespeare hält alles aus!“

Ein 400 Jahre altes Drama aus Schottland heute in der JVA in Wiesbaden? „Shakespeare hält alles aus“, findet Dechow. „Es bleibt immer ein toller Text, egal wie man ihn auslegt. Es geht um eine Bürgerkriegssituation. Die Analogien zu Syrien und zu Konflikten, die unter den Gefangenen sehr stark wahrnehmbar sind, lassen sich leicht herstellen. Letztlich geht es um die uralte Theater-Frage: Wie wollen wir leben?“

Mit der naturgemäß großen Fluktuation unter ihren Darstellern haben die Theatermacher umzugehen gelernt. Auch diesmal sind von der letzten Produktion nur zwei Schauspieler erneut mit an Bord. Alle anderen sind entweder wieder auf freiem Fuß oder dürfen aus „vollzugsbedingten Gründen“ derzeit nicht das Privileg des Theaterspielens in Anspruch nehmen. Neue Akteure sind aber immer recht schnell gefunden, wie Dechow erklärt: „Es gibt bei uns keine Castings. In der Regel melden sich für jede neue Produktion etwa 20 interessierte Gefangene. Sieben bis zwölf arbeiten dann wirklich mit.“

Die größte Herausforderung bestand darin, die tragende Rolle der Lady Macbeth zu besetzen, also der bösartigen Furie, die ihren Mann zum Äußersten treibt. Erstmals wird einer der jungen Gefängnisinsassen in eine Frauenrolle schlüpfen. Es handelt sich um einen „sehr großen, sehr gut gebauten, im Gefängnis sehr respektierten Gefangenen“, erzählt Arne Dechow. „Der läuft seit Wochen in der JVA rum und erzählt allen, dass er Lady Macbeth ist. Homophobie kann man da wunderbar theatral durcharbeiten.“ Nicht nur darauf darf man gespannt sein.

Premiere „Macbeth“: Dienstag, 15. Dezember, 18:00 Uhr – weitere Vorstellungen: 17. Dezember / 7. Januar / 14. Januar / 19. Januar / 21. Januar / 28. Januar, jeweils 18:30 Uhr, Ticketanfragen an: tickets@die-werft.net

www.die-werft.net