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So glaubt Wiesbaden (1): Die Gesegnete – Mit neuer Moschee mehrfach im Glück: Ahmadiyya Muslim Jamaat

Von Hendrik Jung. Fotos Samira Schulz.

Mit Einweihung der Mubarak Moschee befindet sich in Wiesbaden nun die größte Moschee Hessens, die über ein Minarett verfügt. Der zwölf Meter hohe Turm des Neubaus in der Sommerstraße ist jedoch nicht begehbar, und der Gebetsruf ist nur im Inneren des 1.300 Quadratmeter großen Gebäudes zu hören. Gleichzeitig ist es die größte Moschee der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland.

Die Wiesbadener Ahmadiyya-Gemeinde mit ihren rund 1.100 der deutschlandweit etwa 30.000 und weltweit nach eigenen Angaben „mehreren zehn Millionen“ Mitgliedern ist glücklich. Nicht nur, weil nach jahrelanger Suche nach einem Standort die neue Moschee nun Mitte September von ihrem eigens aus London angereisten weltweiten Oberhaupt eingeweiht werden konnte.  Kalif Mirza Masroor Ahmad besuchte mit seinem Tross zuerst die Moschee und hielt abends eine Ansprache beim großen Festakt im Kurhaus, mit Gästen aus Politik und Gesellschaft. Glücklich sind die Gläubigen auch, weil die Moschee als „die Gesegnete (Mubarak)“ bei der muslimischen Glaubensgemeinschaft in einer besonderen Tradition steht. Eine neue Moschee am britischen Hauptsitz der Glaubensgemeinschaft trägt ebenfalls diesen Namen – genauso wie erste Gotteshaus, das nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft in Pakistan entstanden ist, und auch die erste Moschee der Glaubensgemeinschaft überhaupt, die im indischen Qadian steht.

Reformer mit prophetischen Ansprüchen

Entstanden ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat Ende des 19. Jahrhunderts im damaligen Britisch-Indien. Ihr Begründer Mirza Ghulam Ahmad (1835-1908) hatte zunächst den Anspruch erhoben, ein Reformer des Islam zu sein. „Der Prophet hat gesagt: Alle hundert Jahre kommt ein Reformer“, betont Ferhad Ghaffar. Seit zwei Jahren ist der 27-Jährige Imam in Wiesbaden. Er beherrscht auch Kalligraphie, wie im insgesamt bewusst schlicht gehaltenen Gebetsraum der neuen Moschee ebenso zu sehen ist wie auf seinem persönlichen Instagram-Account.

Problematisch sei es geworden, als der Ahmadiyya-Begründer für sich in Anspruch genommen habe, selbst ein Prophet zu sein. Andere Strömungen des Islam berufen sich schließlich darauf, dass Mohammed im Koran als der letzte Prophet bezeichnet worden ist. „Wir sagen: Mohammed ist der letzte gesetzgebende Prophet. Ein Schattenprophet ist dazu da, um den Glauben zu reformieren“, erklärt Imam Ghaffar.

Eine Sichtweise, die bei anderen Strömungen des Islam als Ketzerei angesehen wird, die mit dem Tod zu bestrafen wäre. Deshalb sind viele Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinden beispielsweise aus Pakistan geflohen. Eine der zentralen Thesen ihres Begründers Mirza Ghulam Ahmad besteht darin, dass der Islam eine friedfertige Religion sei, was im Leitspruch der Gemeinschaft seinen Ausdruck findet: „Liebe für alle – Hass für keinen“. Mit dieser Botschaft stehen „Ahmadis“ auch regelmäßig an Ständen in der Wiesbadener Fußgängerzone. Generell gibt man sich betont offen, tolerant und transparent und versteht sich auch in professioneller PR-Arbeit, nicht zuletzt mit einem eigenen TV-Sender (MTA) und Verlag (Verlag der Islam).

Lange Zeit des Provisoriums

Nachdem die Wiesbadener Gemeinde zuletzt einen unentgeltlich von der Landeshauptstadt zur Verfügung gestellten Gebetsraum in der Gemeinschaftsunterkunft in der Mainzer Straße genutzt und nur einen Büroraum zur Verfügung hatte, lassen sich ihre Aktivitäten mit der neuen Moschee nun besser organisieren – und werden gleichzeitig sichtbarer.

An zwei Tagen der offenen Tür zur Einweihung konnten Besucher*innen sich über die Lehren des Islam und der Ahmadiyyas ausführlich informieren – sei es bei einem Rundgang durch die Bibliothek mit ihren Schriften in vier Sprachen oder der, an diesen Tagen auch Frauen erlaubten, Besichtigung des Gebetsraums der Männer mit rund 240 Quadratmetern Fläche sowie des Multifunktionsraums. „Ich habe viel gelernt. Man weiß ja eigentlich gar nicht so viel, wie man denkt. Das Thema ist ja immer negativ besetzt“, zeigt sich Moscheebesucher Wolfgang Schmidt beeindruckt. Er wohnt in Dotzheim, dem Ortsteil, zu dem die Moschee gehört.

Nachbarn sind offen und interessiert

Auch zwei Gäste aus der direkten Nachbarschaft nutzen die Gelegenheit, zum ersten Mal einen Blick ins Innere des Gebäudes zu werfen. „Wir sind erst im März eingezogen. Da stand das Gebäude schon. Aber das ist für uns gar kein Problem. Wir finden es super gut, wenn Vielfalt gegeben ist“, macht Nico Schulz deutlich, keine Berührungsängste zu haben. Zumal er mit seiner Lebensgefährtin direkt zwischen dem Gelände der Moschee und der ebenfalls benachbarten Justizvollzugsanstalt wohnt. „Für uns ist das große Plus, dass unsere Terrasse hoch liegt und wir alles sehen können“, ergänzt Daniela Pavlovic. Deshalb sei sie zufrieden mit der Höhe der Moschee. Ein Aspekt, der laut der Gemeinde zu den Details gehört hat, die die islamische Gemeinschaft im Vorfeld des Baus mit den Anwohnerinnen und Anwohnern abgesprochen hat.

„Ich wünsche immer eine friedvolle Zeit“, verabschiedet sich ein Gast von der anderen Rheinseite nach Besichtigung der Moschee. Jürgen Müller hat die Ahmadiyya Muslim Jamaat in Mainz-Gustavsburg kennengelernt, wo sie sich an den Reinigungsaktionen einer „Dreck weg“-Bürgerinitiative beteiligt haben.

Engagement für die Gemeinschaft

Die Wiesbadener Ahmadiyya-Gemeinde engagiert sich – ganz so, wie es auch der Kalif in seiner Festansprache verlangt hatte – ebenfalls oft für die Stadt, in der sie lebt. Bereits zum 13. Mal wurde in diesem Jahr der „Charity Walk and Run“ organisiert, dessen Erlöse unter anderem dem Zwerg Nase Haus oder dem Kinderhospiz Bärenherz zu Gute gekommen sind. Traditionell reinigen Mitglieder der Gemeinde außerdem am Neujahrsmorgen den Schlossplatz vor dem Rathaus von den Hinterlassenschaften aus der Silvesternacht.

Gut zwei Millionen Euro kostet der Wiesbadener Moschee-Neubau. Ein Betrag, der von der Deutschland-Zentrale in Frankfurt vorfinanziert wird und zu 90 Prozent an diese zurückerstattet werden muss. Zwei Drittel davon habe man bereits abbezahlt, berichtet der Imam. Auch die Frauen der Gemeinde zeigen sich sehr zufrieden mit dem Neubau. „In der Mainzer Straße war der Raum sowohl für die Männer als auch für die Frauen sehr klein. Da es für die Männer freitags Pflicht ist, in der Moschee zu beten, mussten wir dann meistens weichen“, berichtet Jasmin Zafar. Im neuen Domizil habe man nun nicht nur einen rund achtzig Quadratmeter großen Gebetsraum, sondern auch die Möglichkeit, sich zu treffen. So setzten sich Mitglieder der Frauenabteilung monatlich zusammen, um Organisatorisches zu besprechen. „Alle zwei bis drei Monate wird dabei auch etwas zu essen mitgebracht“, ergänzt Jasmin Ghaffar.

Familie des Imams wohnt in der Moschee

Als Gattin des Imams wohnt sie mit ihrem Mann und dem kleinen Sohn sogar in der neuen Moschee. Hier können nun auch Angebote für die Frauen stattfinden, wie die Rezitation des Korans oder die Vermittlung von Wissen zum Islam. Etwa zur Frage nach dem Tragen des Kopftuchs. „Ich habe mit 15 Jahren von alleine angefangen, mich damit zu befassen“, berichtet Jasmin Zafar, die als Tochter eines Kurden türkischer Nationalität und einer Deutschen in Trier geboren ist: „Meine Mutter trägt das Kopftuch nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass ich dadurch ernster genommen worden bin und trage es aus Liebe zu Gott.“

Kein Zwang in der Kopftuchfrage

Ihr Imam, dessen Ehefrau ebenfalls Kopftuch trägt, ist der Ansicht, dass es weder eine Pflicht noch ein Verbot dazu geben sollte. „Das sollte freiwillig sein“, findet Ferhad Ghaffar. Eine Einstellung, mit der er sich auf einer Linie mit dem bundesweiten Verband der Ahmadiyya Muslim Jamaat befinde. Dort sei man der Meinung, dass ein Verbot genauso schlecht wäre wie ein Zwang.

Mehr Infos unter www.ahmadiyya.de. Die Ahmadiyya-Gemeinde Wiesbaden auf Facebook, hier können kostenlose Führungen durch die Moschee vereinbart werden. Am 29. Januar findet ein öffentlicher Vortrag „Islam und Europa – Kampf der Kulturen?“ statt.

In der Serie „So glaubt Wiesbaden“ porträtieren wir in loser Folge unterschiedliche Religions- und Glaubensgemeinschaften und Gemeinden in Wiesbaden. Ideen, Vorschläge, Anregungen? Mail an hallo@sensor-wiesbaden.de, Betreff: „Glaube“.