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So wohnt Wiesbaden: Gemeinsam statt einsam – Wohnprojekt Horizonte, Brunhildenstraße

Von Taylan Gökalp. Fotos Kai Pelka.

Doris Nürnberg ist felsenfest entschlossen, nicht allein alt zu werden. Nur zweimal in ihrem Leben hat die pensionierte Verwaltungsangestellte ohne Gesellschaft anderer gelebt. „Ich habe schnell gemerkt: Das ist nicht meine Art zu leben. Und deswegen war für mich klar, dass ich mich diesem Projekt anschließen werde“, sagt sie. Doris Nürnberg ist eine von zwölf Frauen und zwei Männern des Vereins Horizonte e.V., die es sich zum Ziel gesetzt haben, gemeinschaftlich ein selbstbestimmtes Leben im Alter zu verwirklichen.

Modell für die Wohnkultur der Zukunft?

Im Juni 2018 zogen sie gemeinsam in ein eigens für sie von der städtischen Wohnbaugesellschaft GWW bereitgestelltes Wohnhaus mit Privatwohnungen und Gemeinschaftsräumen in der Brunhildenstraße 43 und ließen sich damit auf ein spannendes soziales Experiment ein. Das Haus gehört zu einem Neubaukomplex im Wohngebiet Weidenborn. Es sieht genauso aus wie die anderen Häuser und doch hat es eine Besonderheit: Es gilt als Modell für die Wohnkultur der Zukunft.

Die Bewohner gehören allesamt zur sogenannten Generation 50 Plus. Was sie verbindet, ist der Wunsch, die Vereinsamung im Alter und die Abhängigkeit gegenüber Angehörigen zu verhindern. Die Idee einer Hausgemeinschaft mit Gemeinschaftsräumen existiert bereits seit den 1960er Jahren. Jedoch sei es gerade für ältere Menschen schwierig, sich auf eine solche Form des Zusammenlebens einzulassen. „Die meisten Leute in unserem Alter denken sich: Warum soll ich mein schönes großes Haus verlassen, um mich auf 90 Quadratmetern einzuquetschen?“, sagt Vorstandsmitglied Barbara Hase.

„Alte Menschen verschließen oft die Augen“

Heidi Diemer findet, dass alte Menschen ihre Augen davor verschließen, was sie in hohem Alter erwarten wird. „Dann sitzen sie irgendwann in einem Riesenhaus, aber können nicht mehr den Bus benutzen weil sie zu gebrechlich sind, sie müssen sich ihre Lebensmittel liefern lassen und können nicht mehr allein zum Arzt.“ Wenn man genug Geld habe, könne man sich zwar die nötige Hilfe organisieren. Aber gerade Menschen mit geringer Rente seien in solchen Situationen hilflos, so Diemer.

Rosemarie Arndt, mit 90 Jahren die Älteste im Bunde, hat ihr Haus in Georgenborn verkauft, um an dem Projekt teilnehmen zu können. In Georgenborn wollte sie eigentlich alt werden. Dann musste sie sich jedoch eingestehen, dass sie nicht mehr allein leben kann. „Die Gefahr, in so einem kleinen Ort zu vereinsamen, ist ja doch sehr hoch“, sagt sie. Nun habe sie ihre Eigenständigkeit wiedergefunden. Mit ihrem Rollator kann sie sich ohne Hilfe zum Supermarkt um die Ecke bewegen. Und auch die Entscheidung, wann der Friseurtermin fällig ist, trifft sie selbst. „Bei ihr sieht man die Identifikation mit dem Projekt am stärksten“, sagt ihre Tochter Heidi Diemer.

Türstopper signalisieren Offenheit

Hille Popplow konnte sich nur schwer von ihrer geräumigen Wohnung in bester Innenstadtlage trennen. Dennoch stellte sie schon nach kurzer Zeit fest, dass die Entscheidung für das Wohnprojekt goldrichtig war. „Hier herrscht einfach eine andere Lebendigkeit, als in dem Haus, in dem ich vorher gewohnt habe“, erklärt die pensionierte Lehrerin und Diplompsychologin.

Türstopper, grüne Ampelfiguren und Schlüsselbunde an den Wohnungstüren signalisieren Offenheit und laden zu spontanen Treffen in den eigenen vier Wänden ein. „Lockere Verbindlichkeit“, nennt das Barbara Hase. Im Erdgeschoss gibt es zwei trennbare Gemeinschaftsräume auf 90 Quadratmetern, mit Küche, Essbereich und gemütlicher Sitzecke. Laut Barbara Hase sind die beiläufigen Kontakte, die sich ohne große Organisation ergeben, das Besondere an dem Wohnprojekt. „Es gibt einfach viel mehr Verbindungen, ohne dass man sich dafür anstrengend muss“, sagt die 70-Jährige.

Networking ist alles

Für Vorstandsmitglied Ingrid Nensel stand schon vor Beginn ihres Ruhestands fest, dass sie sich für eine solche Form des Wohnens entscheiden würde. Zwar schwärmt sie noch heute von ihrer früheren Wohnung, aber in einer gewöhnlichen Hausgemeinschaft wollte sie ihren Ruhestand nicht verbringen.

Fünf Jahre dauerte die Realisierung des Projektes, von der erstmaligen Entwicklung der Idee im März 2013 bis zum Einzug im Juni 2018. Da die Stadt Wiesbaden den Ruf hatte, sich mit genossenschaftlichen Bauprojekten schwer zu tun, nahm der Verein bereits frühzeitig Kontakt mit der GWW auf, um sie von dem Konzept zu überzeugen. Und wie es der Zufall nun mal will, war der damalige Sozialdezernent und GWW-Aufsichtsratsvorsitzende Arno Goßmann der Dienstvorgesetzte von Ingrid Nensel. „Immer wenn wir das Gefühl hatten, dass es schwierig wird, sind wir zu ihm gegangen. Er hat uns Tipps gegeben und uns den Weg geebnet“, sagt Heidi Diemer.

Neben spontanen Zusammenkünften zum Kochen und Plauschen gibt es in der Brunhildenstraße 43 auch organisierte Treffen. Jeden Mittwoch ist die Nachbarschaft zur Cafeteria im Gemeinschaftsraum eingeladen, der übrigens auch vermietet wird. Eine willkommene Gelegenheit für Anregungen aus dem Viertel. Insgesamt 25 Plätze gibt es im Gemeinschaftsraum der Hausgemeinschaft. Genug Platz also für neugierige Nachbarn, die mal auf einen Kaffee vorbeischauen wollen. Daneben gibt es jeden Freitag den Quartierstreff und regelmäßige Kurse in Qigong, Schach, Stricken und Rückenfitness. Vielfältige Angebote also für ein „Gemeinsam statt einsam“-Zusammenleben.

www.wohnprojekt-horizonte.de

BewohnerInnen des Wohnprojekt Horizonte waren zu Gast beim 20. Visionären Frühschoppen im Walhalla im EXIL, nachzuhören hier im Podcast:

 

1 response to “So wohnt Wiesbaden: Gemeinsam statt einsam – Wohnprojekt Horizonte, Brunhildenstraße

  1. Mädels ihr macht es richtig. 👍👏👏👏👏👏

    LG wünsche Euch viel Glück & Gesundheit.

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