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Spanien erlesen – Wiesbadener Buchhändler:innen geben ihre persönlichen Tipps zum Buchmesse-Gastland

Von Christina Baum. Fotos Samira Schwarz, privat, Verlage.

Mit den Werken von fast 200 Autor:innen ist Spanien in diesem Jahr als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse vertreten. Auf dem deutschen Markt gibt es allein in diesem Jahr bereits 150 Neuerscheinungen spanischer Autoren. Spanien war schon 1991 Gastland in Frankfurt. In den dreißig 30 Jahren hat sich viel getan. Das hat nicht nur der spanische König in seiner Rede zur Eröffnung des Buchmesse betont. Davon zeugen auch die Bücher, die hier Wiesbadener Buchhändler:innen für die sensor-Leser:innen als persönliche Empfehlungen herausgepickt haben.

Andrea Abreu I So forsch, so fruchtlos. I Roman – Empfohlen von Andreas Dieterle, Buchecke Schierstein:

Es ist Sommer auf Teneriffa. Isora und Ihre Freundin Sis, die Ich-Erzählerin des Romans, sind beide ungefähr 10 und haben Ferien. Die zwei Mädchen leben in einem Bergdorf, weit abseits des Tourismus, weit weg vom Geld, das er der Insel einbringt.

Sie langweilen sich und streunen fast wie verwilderte Katzen durch ihr Revier. Dünn wollen Sie bleiben und stopfen sich dennoch mit Süßigkeiten voll, die sie wieder erbrechen. Die Erwachsenen arbeiten auf dem Bau oder putzen die Hotelzimmer, keiner hat Zeit die beiden Mädchen zu beaufsichtigen.

Wir durchleben mit Sis und Isora die schwierigste Zeit im Leben junger Mädchen: die beginnende Pubertät, das Erwachen von Sexualität, und was all dieses mit ihrer Freundschaft anzustellen zu vermag. Einer sehr ungleichen Freundschaft, denn Isora ist die Mutige, Furchtlose, immer auf dem Sprung Neues zu wagen, auf der Suche nach Unbekanntem und Abenteuern, während Sis eher die Vorsichtige, Zaghafte ist, immer voller Bewunderung und bedingungsloser Liebe zu Isora.

Andrea Abreu schreibt diese Geschichte so direkt, unmittelbar und sprachgewaltig, dass es manchmal fast schmerzt, so nah kommt den Figuren, so direkt erlebt man die zum Teil schmerzhaften Erfahrungen der beiden Mädchen mit.

Der Sommer wird enden, Sis wollte stets Schritt halten mit Isora, muss aber erkennen, daß man das Erwachsenwerden alleine hinbekommen muss. Ein großartiges, unvergleichliches Debüt aus Spanien, dem Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.

Kiepenheuer & Witsch, Juli 2022 I Roman I Originaltitel: Panza de burro

Rafael Chirbes – Spanien-Trilogie – Der lange Marsch I Der Fall von Madrid  I Alte Freunde  I Roman – Empfohlen von Christoph Neumann, Buchhandlung erLesen, Dichterviertel:

Rafael Chirbes (1949 – 2015) war (und ist) einer der ganz Großen der Spanischen Literatur. Nun hat der Kunstmann-Verlag seine Spanische Trilogie in einer schönen Kassette vorgelegt.

In seinen drei Romanen „Der lange Marsch“, „Der Fall von Madrid“ und „Alte Freunde“ erzählt Chirbes die Geschichte Spaniens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von der bleiernen Zeit des Franco-Regimes über die mühevolle Etablierung der Demokratie bis zu den Ernüchterungen des modernen Spaniens in der globalisierten Welt.

Chirbes beschreibt in souveränem Stil pointiert und präzise in kurzen, auf Einzelpersonen konzentrierten Kapiteln, wie das Gift des Franco-Faschismus die Einzelnen und die Gesellschaft deformiert und bis in die modernen Zeiten geprägt hat. Insgesamt 800 spannende und lehrreiche Seiten für die jetzt längere werdenden Herbstabende.

Zu diesen Romanen passt tatsächlich ein guter spanischer Rotwein.

Antje Kunstmann Verlag, September 2022

Aroa Moreno Durán I Die Tochter des Kommunisten I Roman – Empfohlen von Jutta Leimbert, Buchhandlung Vaternahm, An den Quellen:

Aroa Moreno Durán erzählt in ihrem preisgekrönten Debütroman das Schicksal einer Frau aus einer spanischen Emigrantenfamilie über mehrere Jahrzehnte – von der Zeit vor dem Mauerbau bis nach ihrem Fall.

Katias Familie lebt in Ostberlin, die DDR hatte den vom faschistischen Franco-Regime verfolgten Spaniern Asyl gewährt. Ab 1956 beginnt das Mädchen Katia mit dem Füllfederhalter, den ihr der Vater geschenkt hat, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Nach und nach erfahren wir mit ihr mehr über die politische Vergangenheit ihrer Eltern, über ihre Flucht und ihre Probleme, sich im Exil einzurichten.

Katia kennt nur dieses Leben in Ostberlin. Aber die Begegnung mit einem jungen Mann aus dem Westen weckt ihre Neugier auf die Welt jenseits der Mauer. Ein bewegender Roman über Flucht und Exil, über Heimat und Fremdsein.

„Die Tochter des Kommunisten“ wurde in Spanien als bester Debütroman des Jahres mit dem Premio del Ojo Crítico ausgezeichnet.

Btb, September 2022 I Originaltitel: La hija del comunista.

Fernando Aramburu  I Patria I Roman – Empfohlen von  Elke Deichmann, Buchhandlung spielen&LESEN, Dotzheim:

Aramburu erzählt in Patria von zwei Familien, während der Hochphase des Konfliktes um ein freies Baskenland, die in einem Dorf leben und eng befreundet sind. Der Sohn der einen schließt sich dem bewaffneten Kampf an und das Familienoberhaupt der anderen wird von der ETA ermordet und plötzlich finden sich alle in verfeindeten Lagern wieder.

Jeder von ihnen muss nun seinen eigenen Umgang damit finden, Angehöriger eines Opfers oder Täters zu sein. Und nachdem die ETA das Ende des bewaffneten Kampfes beschließt und sich bald darauf auflöst, stellen sich noch einmal neue Fragen: Wie jetzt mit dem umgehen, was war? Vergessen und einfach weitermachen? Kann es eine Annäherung geben, oder könnte eine Versöhnung möglich werden?

Aramburus Roman ist große Literatur, denn er stellt universelle Fragen.

Rowohlt Taschenbuch, Juni 2019  I Originaltitel: Patria

Miqui Otero I SimónI Roman – Empfohlen von Irene Metzger, Buchhandlung und Antiquariat von Goetz, Rheinstraße:

Die Freien Bücher, Simon, sind wie Fechten: Sie sind eine Gefahr für Leib und Leben und feiern es zugleich.“ Für Simon ist es auf jeden Fall so, der als Kind mehr in den Geschichten der Bücher lebt, als in der Bar seiner Eltern.

Dies ist nicht nur die Geschichte seines Erwachsenwerdens, sondern auch die seines Cousins, Familie und Freunde und der ganzen erweiterten Familie der Stammgäste in all ihrer exzentrischen Herrlichkeit, auch Barcelona in Euphorie und Krisenzeiten hat seine Rolle.

Eine Sprache, die ihren ganz eigenen Sog entwickelt, sorgt dafür, dass die 450 Seiten schneller gelesen sind, als sich der Leser wünscht.

Klett-Cotta Verlag, August 2022 I Originaltitel: Simón

Langenscheidt Spanisch – eine kulinarische Sprachreise. Sprachenlernen mit Genuss – Empfohlen von Cornelia Lüderssen, Buchhandlung und Landkartenhaus Angermann in der Mauergasse:

Gehen Sie auf kulinarische Entdeckungstour durch Spanien und verbessern Sie nebenbei Ihre Spanischkenntnisse.

In 13 Kapiteln lernen Sie in zahlreiche Geschichten, Dialogen und Interviews die typischen Produkte und Gerichte einer Region kennen. Die Wortangaben am Rande helfen die Texte zu verstehen. In kleinen Übungen zum Leseverstehen, zu Kommunikation, Grammatik und Wortschatz können Sie Ihre Spanischkenntnisse testen und erweitern. Über 40 typische Rezepte auf Spanisch laden zum Nachkochen oder Nachbacken ein.

Der kulinarische Wortschatz am Ende des Buches hilft die Rezepte und Texte noch besser zu verstehen.

Die Reihe „Kulinarisch Sprachreise“ ist neu bei Langenscheidt und auch in den Sprachen „Italienisch“ und „Französisch“ lieferbar.

Langenscheidt bei Pons, September 2022 I Sprachführer

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Almudena Grandes  I Die drei Hochzeiten von Manolita I Roman  – Empfohlen von Vera Anna, Buch-VorOrt-Bierstadt:     

Almudena Grandes hat mit ihrem neuen Roman eine hochspannende Zeitreise in die jüngere spanische Geschichte geschaffen.

Manolita, Tochter kommunistischer Franco-Gegner, die nach dessen Machtergreifung im Gefängnis landen, wollte mit dem politischen Engagement ihrer Eltern nichts zu tun haben und landet schließlich doch als Botin im Widerstand. Um für die Opposition wichtige Informationen zu erhalten, geht sie eine Scheinehe mit einem politischen Häftling ein.

Grandes hat mit Manolita eine großartige Heldin geschaffen. Als Leserin flog ich atemlos durch die über 600 Seiten, erschrocken über Grausamkeit des spanischen Bürgerkriegs, die bis heute in der Gesellschaft wirkt, manchmal erschlagen von all den politischen Bezügen, aber auch voller Hoffnung, weil es nach all dem auch Heilung gibt- für Spanien, aber auch für Manolita, die 30 Jahre nach der ersten Eheschließung zum gleichen Mann „ja“ sagt- diesmal aus gewachsener Liebe.

Hanser Verlag, September 2022 I Originaltitel: Las tres bodas de Manolita..

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Sergio Del Molino  I Leeres Spanien. Reise in ein Land, das es nie gab. – Sachbuch/Gesellschaft – Empfohlen von Christopher Deyer, Buch-Café Nero 39, Nerostraße:

 Denken wir an Spanien, befinden wir uns sogleich in Madrid, Barcelona, Saragossa oder an den malerischen Küsten. Doch das “Leere Spanien” kommt uns dabei weniger in den Sinn. Knapp die Hälfte das Landes ist so dünn bevölkert, dass eine Bezeichung der Art “ländliche Region” einer Untertreibung gleichen würde.

Sergio del Molino erzählt in seinem ironisch-literarischen Ton von einem Großteil Spaniens, der nicht erst seit gestern ignoriert und verklärt wird. Dabei schafft er es historische Fakten und mediale Sensationsblicke so geschickt zu verbinden, dass die Lesezeit im Fluge vergeht und die knapp 300 Seiten immer wieder zum Schmunzeln und Nachdenken zugleich anregen.

Der deutsche Blick auf dieses Land dürfte sich nach dem Lesen genauso ändern, wie es in Spanien bereits geschehen ist.

Bücher können die Welt verändern. „Leeres Spanien“ hat dies einmal mehr eindrücklich bewiesen.

Wagenbach Verlag, September 2022  I Originaltitel: La España vacía

Mercè Rodoreda I Auf der Plaça del Diamant I Roman – Empfohlen von Gudrun Olbert, von der Büchergilde Wiesbaden am Bismarckring:

Mercè Rodoreda wurde 1909 in Barcelona geboren, sie gehört zu den bekanntesten katalanischen Schriftstellerinnen. Als politisch engagierte Schriftstellerin ging sie 1939 ins Exil, zuerst nach Frankreich, dann in die Schweiz. Sie starb 1983 in Romanyà de la Selva.

In ihrem bekanntesten Roman Auf der Plaça del Diamant erzählt sie die Geschichte Natàlias, die von ihrem Mann Colometa (Täubchen) genannt wird. Sie ist eine Frau aus einfachen Verhältnissen, die in Barcelona lebt und erzählt in genau dem einfach-naiven Stil, den man von ihr erwartet. Auf einem Fest auf der Plaça del Diamant hat sie ihren Mann kennengelernt. Er ist etwas verrückt und irgendwie anders und so verliebt sie sich in ihn, obwohl sie eigentlich schon verlobt ist. Sie heiraten schnell und bald werden zwei Kinder geboren, Antoni und Rita. Colometa erlebt das Leben in Barcelona während und nach dem Spanischen Bürgerkrieg. Als sich der Krieg nähert verfällt ihr Mann Quimet, der in der Schreinerei immer weniger zu tun hat, auf die verrückte Idee, in der Wohnung eine Taubenzucht aufzuziehen. Colometa beginnt eine Arbeit als Putzfrau, gleichzeitig erobern die Tauben Zug um Zug die Wohnung. Als die Tauben ihr zu viel werden vernichtet sie die Brut der Tiere nach und nach.

Alles ändert sich als der Bürgerkrieg ausbricht und Quimet zur Miliz geht. Als erstes sorgt Colometa dafür, dass die vielen Tauben verschwinden. Zum ersten Mal trifft sie eine eigene Entscheidung und tut etwas für sich selbst.

Die Zeiten werden sehr hart für sie und ihre Kinder und als Quimet im Krieg fällt, gibt es niemanden mehr, der sich um sie kümmert. Sie verzweifelt immer mehr bis es scheinbar keinen anderen Ausweg gibt als sich selbst und die Kinder umzubringen. Da bietet ihr ein kriegsinvalider Kaufmann aus der Nachbarschaft eine Stelle als Haushälterin und bald darauf auch die Ehe an. Das selbstlose und ehrliche Angebot des Kaufmanns sichert das Weiterleben.

Auf der Plaça del Diamant ist kein politischer Roman und keiner, der das Elend der Schlachtfelder zeigt. Er erzählt von den Folgen des Krieges für die, die ohne ihr Zutun und ohne überhaupt die Zusammenhänge zu verstehen, in die Geschichte verwickelt werden.

Ein wunderbarer Roman, absolut lesenswert! Suhrkamp Verlag, April 2016 I Originaltitel: La Plaça del Diamant, Novella.


Über „Wiesbaden liest“ – eine bundesweit einmalige Kooperation des örtlichen Buchhandels

In der Initiative „Wiesbaden liest“ haben sich neun inhabergeführte Buchhandlungen der Wiesbadener Innenstadt sowie der Vororte Bierstadt, Dotzheim und Schierstein kollegial und engagiert zusammengeschlossen, um die Sichtbarkeit von Büchern zu stärken.

Es spricht für Wiesbaden und seine Vororte, dass so viele Buchläden in Eintracht und  großer Vielfalt nebeneinander in glücklicher Koexistenz leben.

Das ist einmalig in Deutschland. Der gemeinsame Internetauftritt findet sich unter: https://wiesbaden-liest.com

Diese Buchhandlungen sind dabei:

In der Innenstadt:

Buchhandlung Vaternahm, An den Quellen; das Buch-Café Nero in der Nerostraße; Angermann, Buchhandlung und Landkartenhaus, Mauergasse; die Büchergilde am Bismarckring; Hans von Goetz, Buchhandlung und Antiquariat in der Rheinstraße; erLesen im Dichterviertel.

In den Vororten:

Buch-VorOrt in Bierstadt; die Buchecke Schierstein; die Buchhandlung spielen & LESEN in Dotzheim.

lle Bücher können online in den Shops der Buchhandlungen über die Website direkt bestellt werden und sind am nächsten Werktag abholbereit – wenn erforderlich, wird auch geliefert.

Die kompetente Beratung, einen kurzen Plausch, vielleicht sogar einen Kaffe gibts obendrauf. Ein Grund,  „Wiesbaden-liest“ zu gründen war, den lokalen Buchhandel, die Innenstadt und Vororte zu stärken.