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Über die Grenzen – Der Weg beim Wiesbadener AfD-Nachwuchs „Junge Alternative“ führt weiter nach rechts

Von Falk Sinß. Fotos Beoabachternews.de

Die AfD Wiesbaden versucht, sich als konservative Partei darzustellen. Mit völkischen und rechtsextremen Umtrieben will sie nichts zu tun haben. Doch wie glaubwürdig ist diese Abgrenzung, wenn der eigene Parteinachwuchs keine Berührungsängste nach rechts hat?

Die Junge Alternative Wiesbaden wurde am 26. Mai 2017 gegründet. Schon hier zeigte sich, dass eine Abgrenzung gegen völkisches Denken und rechtsextremen Gruppen schwierig werden würde. Die Grußworte zur Gründung sprach Fabian Flecken, damals Landessprecher der hessischen Jungen Alternative (JA Hessen). Zu diesem Zeitpunkt war Flecken auch Vorstandsmitglied der Patriotischen Plattform, dem völkisch-nationalistischen Flügels innerhalb der AfD, der Björn Höcke nahesteht. An den Unvereinbarkeitsbeschluss des AfD-Bundesvorstands zur Identitären Bewegung (IB) fühlt sich die Patriotische Plattform nicht gebunden. Die Junge Alternative Wiesbaden (JA Wiesbaden) anscheinend auch nicht, denn zumindest bei Teilen des Parteinachwuchses scheint die IB beliebt zu sein. „So wie ich die Junge Alternative Wiesbaden wahrnehme, sehen sie die IB als Rolemodel und scheinen deren Fans zu sein. Das gilt aber für die meisten Gruppen und Landesverbände der Jungen Alternative“, sagt Fabian Jellonnek. Der Politikwissenschaftler und Fachjournalist ist ein Kenner der Szene.

Die Forderung nach Remigration – auf gut deutsch: „Ausländer raus“

Die IB gilt als rechtsextrem und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Die IB vertritt das ideologische Konzept des Ethnopluralismus. Laut dem hessischen Verfassungsschutz betont die IB dabei „die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und steht damit in großer Nähe zur Ideologie des völkischen Kollektivismus von Rechtsextremisten. Den Menschen nimmt die IB nicht in seiner Individualität, sondern vorrangig als Teil eines völkischen, von der ethnischen Herkunft bestimmten Kollektivs wahr.“ Eine der Hauptforderungen der IB lautet „Remigration“, auf gut deutsch: Ausländer raus.

Ein Mitglied der JA Wiesbaden scheint besonders wenig Berührungsängste mit der IB zu haben: Patrick Pana. Der ehemalige Schriftführer der JA Wiesbaden ist aktuell Beisitzer im Landesvorstand der JA Hessen und zurzeit eifriger Wahlkämpfer für die Wiesbadener AfD, persönich präsent zum Beispiel an Ständen mitten in der Wiesbadener Fußgängerzone.

Im Umfeld der IB tauchte er das erste Mal nachweislich im Oktober 2017 auf. Dort besuchte er eine Veranstaltung des rechtsextremen Antaios Verlag, bei der es zu Ausschreitungen kam. Der Antaios Verlag wird von Götz Kubitschek geführt, der als einer der ideologischen Vordenker der neuen extremen Rechten gilt. Bei dieser Veranstaltung sollten unter anderem auch Martin Sellner und Mario Müller, die führenden Köpfe der IB Österreich und IB Deutschland, auftreten. Ein mittlerweile gelöschtes Video bei YouTube zeigte Pana im Publikum, wie er die originäre IB-Parole „Europa-Jugend-Reconquista“ ruft (Video liegt der Redaktion vor). Ebenfalls bei der Veranstaltung anwesend, der damalige Vorsitzende der  JA Wiesbaden und mittlerweile verstorbene Felix Palm sowie zahlreiche bekannte Rechtsextremisten.

In der Denkfabrik der extremen Rechten

Kubitscheks Verlag hat seinen Sitz auf einem Rittergut in Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Auf diesem Rittergut hat auch das Institut für Staatspolitik (IfS) seinen Sitz. Das IfS gilt als die führende Denkfabrik der extremen Rechten. Dessen Vorsitzender ist der hessische AfD-Landtagswahlkandidat Andreas Lichert, der mit ziemlicher Sicherheit in den nächsten hessischen Landtag einziehen wird.

Einmal im Jahr findet im IfS eine sogenannte Winterakademie statt. Diese soll den rechten Nachwuchs ideologisch schulen und vernetzen. Die Teilnehmer kommen meist aus dem IB-Umfeld, extrem rechten Burschenschaften und der NPD. Pana war laut Frankfurter Rundschau einer der diesjährigen Besucher. Auch die Tweets von seinem mittlerweile gelöschten Twitterprofil legen das nahe. „Die Teilnahme Panas an der Winterakademie ist ein klares Statement, dass er der IB ideologisch sehr nahe steht und ein völkisches Weltbild hat”, sagt Jellonnek. „Offiziell kann jeder an den Akademien teilnehmen, in der Praxis kommen die Teilnehmenden jedoch aus Kreisen der IB und Umfeld.” Auch andere Tweets von Pana legen eine Sympathie für die IB und ihre Forderungen nahe. So nutzte er häufiger deren Hashtags und unterstützte die #120db-Kampagne der IB. Am 31.1.2018 twitterte er: „Wer CSU wählt, wählt #Merkel und damit den großen Austausch.“ Der große Austausch ist eine rechte Verschwörungstheorie, die behauptet die Regierungen wollten die ursprüngliche, „weiße“ Bevölkerung gegen Muslime austauschen, da diese leichter zu regieren seien.

Identitäre Ortsgruppe in Wiesbaden

Seit Januar 2018 hat die IB laut hessischem Verfassungsschutz eine Wiesbadener Ortsgruppe. „In vielen Ortsgruppen gibt es personelle Überschneidungen mit der Jungen Alternative. Es würde mich nicht wundern, wenn dies auch in Wiesbaden der Fall ist”, so Jellonnek.

Am 3. März 2018 demonstrierten im rheinland-pfälzischen Kandel Neonazis, rechte Hooligans und bekannte AfD-Politiker in trauter Eintracht unter dem Motto „Kandel ist überall” gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Mit dabei: die JA Wiesbaden, wie sie damals auf ihrer Facebookseite verkündete. Pana lief in einem durch Front- und Seitentransparente geschlossenen Block von IB und JA (im Video bei Minute 1:23). Eines der Transparente war von der IB und trug den Aufdruck „Remigration“. „Es ist sehr bezeichnend, dass die JA-Mitglieder in diesem Block nicht nur hinter dem Banner der JA liefen, sondern auch hinter dem der IB”, sagt Jellonnek.

Mit Wirmer-Flagge auf der Brust

Auch in Kandel anwesend: der stellvertretende Kreissprecher der AfD Wiesbaden. Sascha Sindl war damals noch Schatzmeister der Wiesbadener JA. Er trug ein T-Shirt mit der sogenannten Wirmer Flagge (Foto oben). Diese geht auf Josef Wirmer zurück, einem Unterstützer des Hitler-Attentäters Graf von Stauffenberg. Seine Fahne sollte nach Hitlers Tod die neue Flagge des Deutschen Reichs werden. Nach dem 2. Weltkrieg verschwand sie aus der Öffentlichkeit bis Neonazis um Horst Mahler sie in den 1990er Jahren für sich entdeckten: Seitdem ist sie in der rechtsextremen Szene weit verbreitet. „Von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen wird sie heute umgedeutet und als ‚Widerstandsymbol‘ gegen ein imaginierte Bedrohung Deutschlands benutzt. Die demokratischen Ideale von Gleichwertigkeit, Pluralismus und Freiheit, die Wirmer vertrat, werden in der Lesart von rechts damit zu Rassismus, Islamfeindlichkeit und Autoritarismus. Nicht zuletzt deswegen verwehren sich Wirmers Nachfahren gegen die Verwendung der Flagge durch Pegida, IB und Co.“, erklärt Stefan Lauer von der Amadeu Antonio Stiftung. Das jemand ein T-Shirt mit der Flagge zufällig trägt, glaubt Lauer nicht: „So ein Shirt kaufen Sie ja nicht bei H&M. Alleine das zu besorgen und zu tragen ist bereits ein Statement.”

Solidarität mit britischem Rechtsextremisten

Auch ein Blick auf die Facebook-Seite der JA Wiesbaden zeigt immer wieder die Nähe zu IB, Pegida und Co. So unterstützte die JA unter anderem die Kampagne #FreeTommy, die die Freilassung des britischen Hooligans und Rechtsextremisten Tommy Robinson zum Ziel hatte. Robinson ist der Gründer der English Defense League, einem Zusammenschluss islamfeindlicher Hooligans, und die in Deutschland den Hooligans gegen Salafisten (Hogesa) als Vorbild diente. Robinson hatte vor einem Gericht die Angeklagten eines Falls von Kindesmissbrauch vor dem Gericht gefilmt und bei Facebook gestreamt. In England ist dies bei Verhandlungen zu Raub-, Mord- und Sexualdelikten verboten, da diese Fälle von einem Geschworenengericht verhandelt werden und die Geschworenen nicht von Dritten beeinflusst werden sollen. Bei den Tatverdächtigen handelte es sich um muslimische Einwanderer. Da Robinson Anfang 2017 in einem ähnlichen Fall zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, musste er nun ins Gefängnis (mittlerweile ist er gegen Kaution entlassen worden). Die Kampagne #FreeTommy, die unter anderem auch von der Identitären Bewegung unterstützt wird, stilisierte Robinson als Freiheitskämpfer, der wegen seiner angeblich “unbequemen” Meinung inhaftiert wurde. Die JA Wiesbaden teilte entsprechende Beiträge des hessischen JA-Vorsitzenden Jan Nolte und des Bundesvorsitzenden der JA, Damian Lohr, auf ihrer Facebook-Seite und zeiget damit, was sie von Recht und Gesetz hält: nichts, wenn es gegen Muslime geht. Auch die Verschwörungstheorie vom großen Austausch oder der „Umvolkung“, die die IB ebenso vertritt, ist auf der Facebook-Seite der JA Wiesbaden zu finden.

Für Rechtsextremismusexperte Jellonnek ist deshalb klar: „Die AfD schafft es nicht ihren Parteinachwuchs unter Kontrolle zu bringen, falls sie das überhaupt will. Deshalb muss die AfD es sich gefallen lassen, als rechtsextreme Partei bezeichnet zu werden.”

Wie passen also die Aktivitäten der Parteijugend zur angeblichen Abgrenzung gegen rechts außen? Eine schriftliche Anfrage des sensors ließ die AfD Wiesbaden unbeantwortet.