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Verborgene Welten: Schießsport im Schützenverein

VerborgeneWelten_Schiessen_2spVon Martin Mengden.

Als Kriegsdienstverweigerer und halbherziger Pazifist lehne ich Waffen grundsätzlich ab, solange sie nicht dazu verwendet werden, ein leckeres Wild auf einen Festteller zu schießen oder böse Ganoven im Zaum zu halten. Ich gebe zu, schon letztere Einschränkung öffnet tendenziell die Büchse der Pandora. Unabhängig von patriotischen Grundsatzfragen: Schießsport, verübt von normalen Bürgern, ist ein seltsames Phänomen. Was macht hier den Reiz aus?

Sollten die zivilen Schützen schlicht Freude an Präzision haben, wieso gehen sie nicht zum Dart: Der Tötungsbezug ist dort immerhin wesentlich geringer, die kurzen Spitzen wirken wohl überhaupt nur giftgetränkt letal, und selbst dann bliebe es immerhin möglich, ein  Antiserum zu verabreichen. Trifft man dagegen – schon mit einem Kleinkaliber – so genau ins Menschenherz wie ins Schwarze einer Zielscheibe, dann ist der Tod sicherer als das Amen in der Kirche.

Nun wurde ich vor kurzem unverhofft zum „Ostereierschießen“ ins Schützenhaus Hochheim eingeladen. Durch Inaussichtstellung von Eiern und Schokohäschen wurde mein bis dato unbeflecktes Pazifistenherz heimtückisch in den Schießstand gelockt: Als Gewinn winkte jeweils ein Ei für jeden Treffer ins Schwarze sowie ein Häschen für jeden Treffer genau ins „bull’s eye“.

Die Wahrheit ist: Innerhalb von einer halben Stunde habe ich – gefühlt – meinen Wehrdienst nachgeholt. Um meine neue Rolle als Waffenträger anzunehmen, brauchte ich keinerlei Eingewöhnung, das Gewehr nahm ich in Empfang wie einen alten Freund. Der Boden für diese überraschende Vertrautheit wurde schon durch Old Shatterhands Winchester gelegt und verfestigte sich anschließend über Magnums Colt, James Bonds Walther PKK und die Desert Eagles US-amerikanischer Gangster-Rapper. Schusswaffen vereinen alle klassischen Männerträume (Macht, Technik, Geschichtsbezug, Spielzeug), und Buben sind bekanntlich besonders anfällig für Objekte, die versprechen, sie endlich zum Mann machen.

Die Flinte, mit der ich schoss, war allerdings nur ein Luftgewehr. Das war einerseits enttäuschend, andererseits machte sie es mir umso leichter, meine verstandesmäßigen Prinzipien mit meiner wiederaufflammenden kindlich-emotionalen Begeisterung in einen annähernd reibungslosen Einklang zu bringen: Ich ballerte drauf los, als gäbe es kein morgen mehr. Mir leuchtete auf einmal unmittelbar ein, warum eine Schießstätte laut Waffengesetz unter anderem dem „Schießen mit Schusswaffen zur Belustigung dient“.

Bei aller Lustigkeit: Die Heroisierung von Handfeuerwaffen, die ja offenbar auch mich erwischt hat (wo sollte meine Euphorie sonst herkommen?), kann man schon bedrohlich finden. Sicher ist sie nicht die Ursache allen Übels. Trotzdem: Erst gerade habe ich gelesen, dass offiziell propagiertes Anschlagsinstrument des IS nicht mehr so sehr der Sprengsatz ist, vielmehr rät man Terrorwilligen wieder zur klassischen Handfeuerwaffe. Diese ist im Untergrund billig zu haben und viel leichter zu bedienen. Der Staatsapparat hat größere Mühe, an ihr etwaige Terrorpläne abzulesen. IS-Dschihadisten zieren sich auf Propaganda-Bildern dementsprechend oft mit einer lässig umgehängten Kalaschnikov.

So auch  Dennis Cuspert auf dem jüngsten Foto. Der hochrangige IS-Terrorist aus Berlin war als „Deso Dogg“ früher übrigens mittelbekannter Gangster-Rapper nach US-amerikanischem Vorbild. Irgendwie schließt sich da ein seltsamer Kreis.

Gott, wie kam ich da nur drauf? Ach ja, es war meine plötzlich aufflammende Schießleidenschaft. Die teilte ich an dem Tag übrigens mit so vielen Hochheimern, dass in der Schützenvereinskneipe kein Platz mehr frei war. Dabei hätte ich ein Bier gut brauchen können, die Zielscheiben sind derart klein und weit entfernt, dass man beim Zielen schon durch den Herzschlag ganz schön ins Schwimmen gerät. Vor meinem nächsten Schießen sollte ich mir die Sniper-Tricks der unzähligen Waffennarren bei YouTube anschauen.

Nach Abgabe meiner Zielscheiben-Blätter wurde mir – mit gebotenem Ernst – das offizielle Endergebnis, mein Gewinn, bekannt gegeben: „Zweiundzwanzig Eier und zwei Häschen“! Im Grunde genommen habe ich nicht einmal gegen mein Mickey-Mouse-Pazifismusprinzip verstoßen: Hasen sind Kleinwild.