Von Hendrik Jung. Fotos Arne Landwehr.
Wenn man Nähe sucht, aber Abstand halten soll, hat man es vor allem als Single schwer. Andererseits belastet zu viel Nähe manche Paarbeziehung. Was macht Corona mit der Liebe?
„So ne Scheiße, habe ich gedacht. Man darf sich mit niemand mehr treffen. Dabei ist es so schon dumm genug, Single zu sein“, schildert Ulrike ihren Gemütszustand während der Kontaktbeschränkung. Die Fünfzigjährige hat sich jedoch mit der unbefriedigenden Situation nicht abfinden wollen und sich auf den Weg gemacht. Im Nerotal, dem Rabengrund, auf dem Rheinsteig ist sie unterwegs gewesen. Mit Schildern, auf denen zu lesen stand: „Ran an den Speck“. Oder: „Trotz Krise – Suche Mann 50+ fürs Leben“. Dazu ihre Telefon-Nummer. Der Mann fürs Leben war zwar nicht dabei, gefährlich sei es aber auch nicht gewesen. Zwanzig Kontakte hätten sich ergeben. „Es war ja eigentlich verboten, sich mit anderen Menschen zu treffen. Aber wir haben immer Abstand eingehalten und ich habe nie jemand angefasst“, erläutert Ulrike. Mit Ausnahme eines Kandidaten, mit dem sie näher in Kontakt gekommen ist.
Beglückend, anstrengend, berührend
Bereichernd seien die Treffen alle gewesen. „Das war großartig. Ich habe viel gelacht und es war für beide Seiten Glück-bringend“, ergänzt die quirlige Wiesbadenerin. Zwar sei es durchaus anstrengend gewesen, weil einige der Gespräche sehr berührend gewesen seien. „Es hat mich aber auch lebendiger gemacht. Ich bin offener geworden und ein bisschen mutiger“, resümiert Ulrike. Und für viele der Männer habe sich während der Kontaktbeschränkung das Bedürfnis nach einer Gesprächspartnerin erfüllt. Schließlich wünschten Menschen sich Anerkennung und Annahme.
„Ich kann versuchen, mir selbst die Liebe und Nähe zu geben, die ich von jemand anderem suche. Aber wir sind körperliche Wesen. Man kuschelt nicht mit sich selbst“, erklärt Diana Weber, Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie warnt davor, unerfüllte Bedürfnisse mit Alkohol, Arbeit oder Essen zu kompensieren. „Wer Angst vor einer Ansteckung hat, für den ist es ein unlösbarer Konflikt“, betont sie. Eine weitere Expertin rät dazu, in solch einer Situation zu überlegen, wen man in der Vergangenheit bereits schätzen gelernt hat. „Das sind nicht die schlechtesten Partner, die man schon kennt“, verdeutlicht die psychologische Psychotherapeutin Andrea Hillenbrand (Foto).
Selbst aktiv werden
Sie schlägt vor, nie zu warten, dass von außen etwas passiert, sondern immer alle Möglichkeiten zu nutzen, selbst aktiv zu werden. Ein Single unter ihren Klientinnen habe während der Kontaktbeschränkung etwa ihr komplettes Sozialleben auf die digitale Ebene umgestellt. Beherrschendes Thema sei die Pandemie in ihrer Arbeit bislang nicht. „Aber ich hatte einige, die gesagt haben: So schwer meine Beziehung ist, jetzt bin ich froh, dass ich sie habe“, berichtet Andrea Hillenbrand.
Nagelprobe für Beziehungen
Für manche Beziehung ist die Pandemie aber auch zur Nagelprobe geworden. Schließlich kommt es vor, dass Paare durch Heimarbeit und Kontaktbeschränkung Tag und Nacht zusammen sind. „Bei mir ist es mit Trennung ausgegangen. Wir verstehen uns gut, haben aber festgestellt, dass wir beide andere Partner brauchen“, berichtet Laura Metz (Foto rechts). Diese Erkenntnis habe nicht zuletzt mit einem unterschiedlichen Umgang mit der Pandemie zu tun. „Ich bin voll in Quarantäne gegangen, um meine Eltern besuchen zu können. Damit ich da sein kann, wenn ihnen was passiert“, verdeutlicht die 21-jährige.
Ein Mitbewohner ihrer Dreier-WG hingegen sei auf Partys gegangen und habe Dates mit Leuten gehabt, die er nicht kannte. Nun werde die Auszubildende beim Stadtjugendring in eine Wohngemeinschaft ziehen, in der Menschen mit mehr gesellschaftlicher Verantwortung wohnten. Außerdem habe sie mit Bumble eine Dating-App gefunden, bei denen es die Frauen sind, die die Initiative ergreifen, um jemanden kennenzulernen.
Der Wert der Rückzugsmöglichkeit
„Wir haben gemerkt, dass es eine gute Entscheidung war, noch nicht zusammen zu ziehen“, berichtet Justus Appel (Foto oben). Der 22-jährige und seine Freundin leben in verschiedenen Wohngemeinschaften und hätten ihre Rückzugsmöglichkeiten geschätzt. Was die Besuche von außen angeht, habe man in seiner WG einen Kompromiss gefunden, mit dem sich alle wohlgefühlt hätten. „Wir haben mehr miteinander gemacht. Das war schon so was wie ein Familienersatz“, berichtet der Student der Sozialen Arbeit, der beim Stadtjugendring sein Praxissemester absolviert.
80-Jährige fühlt sich gemeinschaftlich frei
Gemeinschaftliches Wohnen hat nicht nur jungen Erwachsenen durch die Kontaktbeschränkung geholfen. „Für mich ist es sehr schön, hier zu leben. Ich habe noch nie ein Einsamkeitsgefühl gehabt. Und meine Kinder sind auch froh, dass ich gut aufgehoben bin“, erläutert Waltraud Beppler. Schließlich befinden sich nicht weniger als 22 Wohnungen in der Liegenschaft Blücherstraße 17, die der Genossenschaft Gemeinsam Wohnen gehört. Da die Achtzigjährige seit 27 Jahren alleine ist und ihre Kinder in Hamburg, Berlin und Fürth leben, hat sie sich von Anfang an für dieses Projekt entschieden. „Wenn man gemeinschaftlich wohnt, muss man Freiheit leben können“, betont Waltraud Beppler.
Nicht alle Genossinnen und Genossen seien während der Kontaktbeschränkung zu den Projektversammlungen gekommen oder hätten am wöchentlichen Freitagsessen teilgenommen. „Manche sind mit Mundschutz gekommen, manche gar nicht. Aber man muss sich ja nicht knuddeln. Das Leben geht weiter“, findet Hans-Georg Heintscher, der sich im Aufsichtsrat der Genossenschaft engagiert. Anfang August habe es sogar einen Corona-Fall in der Blücherstraße 17 gegeben. „Wir haben die Gemeinschaft informiert, weil wir wollen, dass es fair ist. Aber sonst leben wir wie immer“, erklärt der 68-jährige. Klar, dass es in dem gemeinschaftlichen Wohnprojekt kein Problem darstellt, während einer Quarantäne mit Lebensnotwendigem versorgt zu werden.
Wer Nähe lebt, kann Distanz aushalten
Ebenfalls ein spannendes Thema sind Fernbeziehungen in Zeiten von Corona. „Während dem Lockdown haben wir uns drei Monate lang nicht gesehen. Das ist mir schwergefallen. Man wusste ja nicht, wann man sich wieder sehen kann“, erzählt der 31-jährige André, der aus Berlin zu Besuch ist. Andererseits sei es ihm und seinem Partner natürlich bewusst, gewesen, dass man sich bei einer Fernbeziehung nicht ständig treffen kann. „Wer intensiv Nähe lebt, der kann auch mal Distanz haben“, findet der 30-jährige Dennis. Die Entscheidung sich nicht zu treffen, habe das Pärchen bewusst getroffen, um kein Mitglied einer Risikogruppe zu gefährden. Schließlich kann man heute auch über die Distanz Kontakt halten. „Wir telefonieren viel und schicken mal ein kleines Guten Morgen per WhatsApp“, erläutert André.
Corona-Erkenntnis: Bedarf für queeres Zentrum
Die Idee, in Zukunft möglicherweise nach Wiesbaden zu ziehen, habe bereits vor der Pandemie Gestalt angenommen. Der gebürtige Kieler freue sich mal wieder auf eine übersichtlichere Stadt. „Ich bin hier das erste Mal richtig heimisch geworden“, macht Dennis deutlich. Dazu trägt auch der Verein „Warmes Wiesbaden“ bei, mit dessen Mitgliedern die beiden im Kulturpark sitzen. Der Lauftreff und die Jugendgruppe des Vereins, der sich seit 2011 für LSBT*IQ-Community in Wiesbaden stark macht, sind seit Juli wieder aktiv. Außerdem arbeitet man an einem Konzept für ein queeres Zentrum in Wiesbaden. „Während der Kontaktbeschränkung ist deutlich geworden, dass es keinen festen Ort gibt, um sich zu treffen“, erklärt der Vereinsvorsitzende Manuel Wüst.
Keine käufliche Liebe mehr – eigentlich
Anlaufstellen fehlen derzeit auch für käufliche Liebe. Nach wie vor dürfen Bordellbetriebe nicht öffnen. Schmerzhaft betroffen sind davon vor allem die Prostituierten, die kein Einkommen haben. „Wozu führt das, wenn ich nichts anderes zu verkaufen habe, als mich selbst? Manche sind obdachlos, andere haben sich einen Mann gesucht, der sie gegen sexuelle Dienstleistungen bei sich wohnen lässt“, gibt Wiesbadens Frauenbeauftragte Saskia Veit-Prang (Foto) Einblicke in die für viele schwierige Situation. Unterstützung gibt es nur wenig. Mancherorts seien Lebensmittelgutscheine verteilt worden. „Es gibt ein paar Frauen, die angemeldet sind und Corona-Soforthilfe beantragen können“, berichtet Sophie Hoppenstedt. Die Aussteigerin findet, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, Prostituierten eine Ausstiegshilfe anzubieten. „Laut Studien sagen 89 Prozent, dass sie eine Alternative ergreifen würden“, betont die Frankfurterin. Sie plädiert dafür, dass die Frauen nicht sich selbst und der Gewalt überlassen bleiben dürfen.
Illegale Prostitution nimmt zu
Obwohl viele Prostituierte zur Risikogruppe gehörten, gehe das Geschäft jedoch in anderer Form weiter. „Im Bahnhofsviertel Frankfurt sieht man eindeutig, dass sich ganz viel Straßenprostitution abspielt“, berichtet die 25-jährige. In Wiesbaden sei dem Ordnungsamt zwar kein Straßenstrich bekannt, doch gibt es auch andere Wege trotz jeglichen Verbots sexueller Dienstleistungen tätig zu werden. „Wir gehen davon aus, dass mit der Pandemie sich die Zahl der illegalen Prostituierten verdoppelt hat. Hier ist anzumerken, dass vor der Pandemie eine illegale Prostitution angenommen wurde, wenn keine Anmeldebescheinigung und keine Gesundheitsbescheinigung vorgelegt werden konnte. Mit der Corona-Verordnung des Landes sind auch Prostituierte mit beiden Bescheinigungen, die ihre Dienstleistungen anbieten, illegal tätig. Die festgestellten Verstöße haben sich ebenfalls auf rund zwanzig verdoppelt“, teilt Ralf Wagner vom Ordnungsamt mit.
Seriöses Dating ohne Fake-Accounts
Auch der Betrieb von Fake-Accounts auf Dating-Portalen kann auf illegale Machenschaften abzielen. Eine klare Alternative dazu bietet der Friendship & Dating Club US Love Wiesbaden, dessen Name darauf zurückzuführen ist, dass er sich ursprünglich auf amerikanische Singles spezialisiert hat. Inzwischen können aber alle das Angebot nutzen. Die Besonderheit besteht darin, dass sämtliche Mitglieder vorab ein Gespräch mit der Betreiberin führen. „Wer nicht verifiziert ist, kommt nicht rein“, betont Jessica Dreyer. Ihre Klientel schätzt diesen Vorteil. „Außerdem hat man hier schneller eine Telefon-Nummer“, hat Club-Mitglied David Kniffin festgestellt.
Der 64-jährige Amerikaner, der seit 23 Jahren in Frankfurt lebt, habe während der Kontaktbeschränkung keine einfache Zeit gehabt. Seitdem aber habe er den Eindruck, dass Kontakt suchende Frauen ihr Interesse offener bekunden als zuvor. Um Gelegenheiten für persönlichen Austausch zu schaffen, hat Jessica Dreyer die Club-Mitglieder in der Vergangenheit zu Bowling oder Bier-Verkostungen eingeladen. Nun plane sie eine Kooperation, bei der interessierte Mitglieder den zu verkostenden Wein zugeschickt bekommen, um sich dann online darüber austauschen zu können.
Das Wandern ist des Singles Lust
Schließlich ist ein gemeinsames Gesprächsthema immer eine gute Voraussetzung, wenn Singles aufeinandertreffen. Davon kann die Zielgruppe auch bei Veranstaltungen von „Wanderdate“ profitieren. Ob bei einer Ganztagswanderung zum Kloster Eberbach oder einer kurzen Genusswanderung, die vom Kurpark über das Tennelbachtal zum Kochbrunnen führt und bei der kurze Informationen etwa zu Staatstheater, Spielcasino oder Kurwesen vermittelt werden. Mitte August nehmen daran neben Einheimischen auch Gäste aus Frankfurt, Mainz oder dem mittelhessischen Biedenkopf teil. Eine Frau aus Darmstadt hatte eigentlich im März erstmals an einem Wanderdate teilnehmen wollen, das dann aber abgesagt werden musste. „Das ist mir hier auf jeden Fall sympathischer, als Dating-Plattformen. Da habe ich nicht so schöne Erfahrungen gemacht, weil die Männer dort zu schnell sexuell orientiert sind“, berichtet die 36-jährige Katharina. Beim Wandern und der anschließenden Einkehr gibt es nun Zeit für persönliche Begegnung.
Bevor man auseinander geht, sollte man aber entschieden haben, ob man jemanden wiedersehen möchte, denn die Kontaktdaten können ausschließlich persönlich weitergegeben werden. „Entweder man lernt jemand Interessantes kennen oder man hat einfach einen angenehmen Nachmittag“, findet der 47-jährige Steffen. Der frisch geschiedene Mann aus Bad Homburg glaube ohnehin nicht daran, dass sich eine Partnersuche erfolgreich forcieren lasse. Außerdem überlege man es sich gut, ob man eine längerfristige Verbindung eingehe, wenn man minderjährige Kinder habe. Mit ihnen sei ihm während des Lockdowns ohnehin nicht langweilig gewesen.
Aus der Traum?
Wenn eine Beziehung zu Ende und Paare auseinander gehen, könnte Rita Adolph die richtige Anlaufstelle sein. Die Diplom-Pädagogin hat sich in ihrer psychologischen Beratungspraxis auf Begleitung bei Trennungsschmerz spezialisiert. www.trennungsschmerz-beratung.de