Mein Auto habe ich abgeschafft, liebe sensor-Leserinnen und -Leser,
vor ziemlich genau einem Jahr. Es stand eh´ nur rum. Und ich komme auch so gut rum. Aus der Stadt heraus mit Bus und Bahn. Und innerhalb unserer kompakten Stadt sowieso. Als passionierter Flaneur sehr gerne per pedes. Und eigentlich auch gerne per Pedale. Und da ist es wieder, dieses einschränkende Wort: EIGENTLICH!
Ohne „eigentlich“ kommt man kaum aus, will man vom Dasein als Radfahrer in Wiesbaden berichten. Eigentlich würde man sich ja gerne viel mehr, vor allem viel selbstverständlicher, auf dem Fahrrad fortbewegen in dieser und durch diese Stadt. Das Fahrrad ist da. Das Bedürfnis ist da. Die Lust ist da. Die vielen guten Gründe sind da. Nur die entsprechenden Bedingungen, die fehlen.
Diese Stadt tut nicht nur herzlich wenig, um Lust auf´s Radfahren zu machen. Sie tut sogar viel, um die letzte Lust auf´s Radfahren zu verderben. Fahrräder laufen unter ferner liefen, Radwege, sofern vorhanden, laufen ins Leere. Schönen Dank. Eigentlich – na, hab ich´s nicht gesagt? – tut sich zwar recht viel, nimmt man die Frequenz der Pressemitteilungen und sonstiger Politikerverlautbarungen als Indikator. Überprüft man diese dann auf die Substanz, hat man meist unweigerlich den Sound des Moments in den Ohren, wenn man (heiße) Luft aus dem Fahrradreifen lässt. Da werden stolz irgendwelche Gässchen zu „Fahrradstraßen“ erklärt, in denen Radverkehr, wie er sein sollte, sowieso schon recht problemlos praktiziert wird, oder wahlweise Straßen, die so weit ab vom Schuss sind, dass sich dort sowieso kaum ein Auto hin verirrt. Klingt alles gut, bringt alles wenig. Was Wiesbaden braucht, ist echten Raum für´s Rad. Und davon viel!
Mal sehen, vielleicht erweist sich mein Geschimpfe ja doch noch als ungerecht. Vielleicht bringt ja der Radverkehrsbeauftragte, den die zuständige Dezernentin Sigrid Möricke in unserer Mai-Titelstory ankündigt, endlich wirklich was, was den Radverkehr in dieser Stadt dorthin befördert, wo er hingehört: ganz oben auf die politische Agenda und unübersehbar, ungehindert und vor allem ungefährdet ins Stadtbild. Und die bundesweite Aktion „Stadtradeln“, an der sich die Landeshauptstadt in diesem Sommer endlich erstmals beteiligt, ist zumindest eine sympathische und, wer weiß, vielleicht auch eine letztlich wirksame.
Ach ja, noch ein kleiner Nebengedanke: Radfahren verbindet nicht nur Menschen mit Orten, sondern auch Menschen miteinander. Gerade vor ein paar Tagen haben Statistiker festgestellt, dass Wiesbadener immer einsamer werden. Singles, wohin man schaut. Macht die Stadt ihnen Lust auf´s Fahrrad, bekommen sie vielleicht auch Lust aufeinander. Einen Versuch wäre es doch wert.
Kommen Sie gut durch den Mai. Mit Wonne. Mit dem Fahrrad. Miteinander.
Dirk Fellinghauer – sensor-Radgeber (eigentlich)
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(Foto Michael Zellmer)