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Wiesbadens erste Christopher Street Day-Parade seit Jahren macht ohnehin schon heißen Samstag noch ein Stück wärmer

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Es war als ob ein Regenbogen sich seinen Weg durch die Innenstadt bahnte: zum ersten Mal nach zwölf Jahren unterbrach die vom Verein Warmes Wiesbaden in Zusammenarbeit mit dem Schlachthof veranstaltete Christopher Street Day-Parade am frühen Samstag Nachmittag den Einkaufsbummel der Wiesbadener. Kaum jemand, der nicht stehen blieb, das Handy zückte und seinen Hals nach den bunt und aufwendig kostümierten Gestalten verrenkte. Allen voran Lucy Tramp, der slowakischen Travestiekünstlerin, die in kreischendem Gelb und Obstkorb auf dem Kopf auf halsbrecherischen High Heels dem wechselnden Straßenbelag trotzte. Die kräftigen Beats aus der Musikanlage am Paradewagen hallten von den Gebäuden wieder und hüllten die Stadt in einen surrealen, bunten Schleier der guten Laune ganz nach dem Motto der Parade „L(i)ebt WI ihr wollt!“. Und doch ist der Hintergund des Christopher Street Day angesichts des Hasses, der Homosexuellen und Andersl(i)ebenden in Ländern wie Russland entgegengebracht wird, immer noch ein verdammt ernster. Für die Demonstration, die am Warmen Damm startete, hatten sich 150 Menschen angemeldet. Am Ende zählten die Veranstalter jedoch 500, die an diesem Tag für Toleranz und Gleichberechtigung auf die Straße gingen.

Bunte Bilder, klare Botschaften
Konkret forderten die Demonstranten vor allem die Öffnung der Ehe und das volle Adoptionsrecht. Bei letzterem konnte anfang des Jahres mit dem Urteil des Bunderverfassungsgerichts zumindest ein Teilerfolg verzeichnet werden. Dementsprechend nervös war im Vorfeld der Demo auch Katja Mank, Warmes Wiesbaden-Mitglied, lesbisch und Mutter der vier- und achtjährigen Mädchen, die in einem Bollerwagen mit einem Vorrat an Gummibärchen an der Parade teilnahmen. Auf ihrem Schild stand „Regenbogenfamilien sind Familien“. Wie würden die Menschen reagieren, wenn Kinder bei der Parade dabei seien? Würden sie ihr und ihrer Partnerin vorwerfen, die Kinder zu instrumentalisieren? Dabei sei das Wichtigste doch, dass Kinder geliebt und behütet in einer Familie aufwüchsen. Egal, welchen Geschlechts die Eltern auch seien. Weil das in der Politik eben nicht alle so sehen, marschierte auch Manuel Wüst zusammen mit der Piratenpartei mit. „Wir wollen keine Extra-Politik“, sagte er, „alle Lebenspartnerschaften sind gleich“. Neben der orangefarbenen Fahne der Piraten sah man auch grüne und rote Flaggen der Grünen und der Linken. Im bunten Flaggenmeer stach eine jedoch besonders heraus. Am Fahnenmast hat Jochen Engels aus Mannheim einen gekreuzigten Jesus befestigt. Er setzt sich für die Akzeptanz von Homosexuellen in der Kirche ein. Jochen ist ein überzeugter Christ. Diesen scheinbaren Widerspruch erklärte er mit einer Metapher: „Die Welt ist voller verschiedener Tiere. Doch die Kirche akzeptiert nur diejenigen in ihrem Zoo, die sie selbst ausgesucht hat. Jesus aber liebt uns alle.“ Toleranz und Liebe von „dem da oben“ kenne kein Geschlecht.

Regenbogenflagge erwünscht
Gegen 15 Uhr ist die Parade auf dem Schlachthofgelände angekommen, wo schon zahlreiche Informationsstände und Attraktionen warteten. Die farbliche und musikalische Reizüberflutung ließ viele Passanten zunächst sprachlos zurück. Doch bis auf wenige „dumme Sprüche“, so die transexuelle Lydia Lu Schweighardt, über deren Geschichte wir im sensor bereits berichtet haben, waren die Reaktionen überaus positiv. Die meisten stimmten überein, dass ein CSD immer noch nötig sei um die Toleranz der Menschen zu stärken. Vor allem einer Stadt mit einem „konservativen Lebensgefühl“ wie Wiesbaden, so ein Demonstrant, täte diese Parade ganz gut. Allerdings hätte sich der Charakter der Parade geändert, erklärte eine ältere Teilnehmerin mit zwei aufgemalten Venussymbolen auf der Wange. „Früher ging es um trotziges Aufbegehren. Heute überwiegt die Freude über den Fortschritt und der Optimismus“, erinnerte sie sich. Doch trotz der allgemeinen Akzeptanz gibt es noch immer Querschläger: ein Wiesbadener hatte gegen das Hissen der Regenbogenfahne am Rathaus geklagt. Er sah das Neutralitätsgebot der Stadt bedroht. Die Klage wurde am Freitag vom Verwaltungsgericht Wiesbaden abgewiesen. Ein Eigentor, mit dem es der CSD nur zu noch mehr Aufmerksamkeit gebracht hat. Auch Oberbürgermeister Sven Gerich fand auf der Bühne auf dem Schlachthofgelände überraschend deutliche Worte für den Vorfall: „Seid laut und zeigt dem Kläger, dass er nicht ganz richtig tickt!“.

Politisch ein Stück weiter
Auch Kulturdezernentin Rose Lore Scholz, die stellvertretend für die wegen ihres Geburtstags verhinderte Schirmherrin Kristina Schröder gekommen war, und weitere politische Verreter der Stadt waren gekommen um den Veranstaltern und Demonstranten ihre Unterstützung zuzusichern. In der anschließenden Podiumsdiskussion stellten sich unter anderem Manuel Wüst, SPD-Bundestagskandidat Simon Rottloff und andere kritischen Fragen. Danach konnten sich alle Sportbegeisterten, unter anderem Simon Rottloff, beim Beachvolleyball-Turnier, das vom Verein Sportler gegen Stigma präsentiert wurde, messen.
Für Mascha Holly, Vorsitzende von Warmes Wiesbaden, und ihre Kollegen war die Parade ein voller Erfolg. Sie freuten sich nun auf das Fest auf dem Schlachthofgelände, das von der in der Szene bekannten Stand Up-Komikerin Anika Hoffman moderiert wurde und natürlich die große Queer-Party am späten Abend.
Der diesjährige Christopher Street Day hat Wiesbaden nicht nur ein Grad wärmer und bunter sondern hoffentlich auch aufgeschlossener gemacht.

 

Magdalena Aue

 

 

 

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