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Zustimmung mit Zögerfaktor: Nachtbürgermeister-Antrag heute im Stadtparlament – Auch Erdogan-Debatte

Von Dirk Fellinghauer. Foto Dilan Nawad.

“Ich bin mir sicher, dass Wiesbaden bald eine/n Nachtbürgermeister/in haben wird“, sagt Jugendparlament (Jupa)-Vorsitzender Silas Gottwald (auf dem Foto rechts, mit seinen Vorstandskollegen Moritz Wimmer, Tobias Rosenbaum, Josephine Nolde-Zilhao) gegenüber sensor zu dem Antrag, der heute in der Stadtverordnetenversammlung debattiert und zur Abstimmung gestellt wird: „In allen Fraktionen, in denen wir unser Projekt vorgestellt haben, wurde unser Projekt mit großem Interesse und positiver Grundhaltung aufgenommen.“ Auch sensor hat sich im Vorfeld umgehört, wie die Idee ankommt. Der Optimismus des Jupa-Chefs ist demnach begründet, einen Durchmarsch dürfte es für die Idee aber nicht geben. Bis es zur Debatte kommt, muss sich der Nachwuchs gedulden. Vorher wird es noch eine aktuelle Stunde zum (im  doppelten Sinne) „Fall“ der Erdogan-Statue am Platz der deutschen Einheit geben. Die Sitzung beginnt um 16 Uhr im Rathaus, interessierte Öffentlichkeit ist willkommen.

Wie sensor als erstes berichtet hatte, hat das Jugendparlament die Initiative für einen Nachtbürgermeister in Wiesbaden ergriffen, der als Sprachrohr, Motor und Vermittler des seit langem immer mehr darbenden Wiesbadener Nachtlebens fungieren könnte.

Als erstes hat sich im Vorfeld der heutigen Debatte die Rathaus-SPD zu Wort gemeldet, die mit 21 Mitgliedern die stärkste Fraktion stellt. Das Jugendparlament spreche ein wichtiges Problem in Wiesbaden an, schließlich hätten in den letzten Jahren  immer mehr Clubs, Lokale und Bars geschlossen, und es habe immer wieder Probleme mit der Lautstärke von Open Air-Veranstaltungen gegeben. „Jugend braucht Raum, und dazu gehört einfach auch Raum zum Feiern. Wiesbaden ist ein stark wachsender Hochschulstandort, aber zum Feiern geht man zurzeit leider doch nach Mainz oder Frankfurt“, so Julia Schwarzer, jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion: „Wir können uns eine Person, die das Nachtleben in unserer Stadt ordnet und verbessert, gut vorstellen. Ein Nachtbürgermeister oder eine Nachtbürgermeisterin als Bindeglied für den Dialog zwischen Inhabern, Anwohnern und Feierfreudigen ist ein Vorschlag, den wir gerne unterstützen“. Der Magistrat solle deshalb zunächst auf Grundlage des JuPa-Antrages ein Konzept erstellen, das dann mit den Gremien diskutiert werden solle. „Ein buntes, lebendiges Nachtleben ist genauso wichtig für unsere Landeshauptstadt wie hochkarätige Veranstaltungen im Kurpark oder im Staatstheater“, erklärt Schwarzer, warum ihre Fraktion sich dafür einsetze, dass ein/e Nachtbürgermeister/in komme.

„Wir begrüßen den Vorstoß des Jugendparlaments, dieses Feld aufzumachen …“ – grundsätzlich zustimmend, aber nicht ganz so entschieden äußert sich auf sensor-Anfrage Sarah Weinerth von der CDU, die heute ihre Jungfernrede halten wird. „Die Thematik sehen wir gegeben, das Clubsterben in unserer Stadt lässt sich nicht wegreden“, sagt die Jungpolitikerin und verweist als aktuelle Beispiele etwa auf das Gestüt Renz in der Nerostraße oder das New Basement in der Schwalbacher Straße.  Trotzdem werde ihre Fraktion dem Antrag „so nicht zustimmen“. Stattdessen wolle die CDU eine Überweisung in relevante Fachausschüsse beantragen (etwa für Wirtschaft oder für Schule und Kultur), weil nach ihrer Auffassung „die Stadtverordneten selbst das Thema nicht in der entsprechenden Tiefe behandeln und beurteilen können“. Ihre Fraktion sei dem Thema insgesamt nicht abgeneigt, aber man müsse in Ruhe hinterfragen, wie es sich genau ausgestalten lasse. Die Vergleichbarkeit mit anderen Städten, die schon Nachtbürgermeister haben, sieht Weinerth nicht gegeben. Metropolen wie London, New York oder Amsterdam hätten eine ganz andere Clubszene und Einwohnerzahl, Berlin habe einen Nachtbürgermeister abgelehnt. In Deutschland ist bisher Mannheim die einzige Stadt mit Nachtbürgermeister.

Für die Fraktion Linke & Piraten wird heute Ingo von Seemen reden – und den Antrag „auf jeden Fall vollumfänglich unterstützen“, wie er im Gespräch mit sensor ankündigt. „Wiesbaden hat ein verbessertes Nachtleben dringend nötig“, ist auch von Seemen überzeugt und merkt an: „Öfters wurden schon Läden geschlossen, weil es Probleme mit Anwohnern gab“. Eine vermittelnde Instanz sei da eine gute Idee und habe auch eine wichtige Symbolwirkung: „Die Jugendlichen hätten jemanden, an den sie sich direkt wenden können.“ Dies könne Hemmschwellen senken, die gegenüber anderen Politikern vielleicht bestünden.

Grünes Licht auch von der FDP: „Wir werden den Antrag des Jupa unterstützen,“ kündigt Johannes Mellein, politischer Referent der FDP-Rathaus Fraktion, an: „Das Konzept des `Nachtbürgermeisters´ scheint sich in anderen Städten zu bewähren, und da wir die Stadt gerade für jüngere attraktiver und lebenswerter gestalten möchten, würden wir es auf den Versuch ankommen lassen“, beschreibt er die liberale Grundhaltung, die  Alexander Winkelmann und Lucas Schwalbach heute in der Debatte genauer ausführen werden.

Ein klares „Ja, aber“ kommt von den Grünen. „Die Fraktion findet die Idee grundsätzlich gut. Das Nachtleben zu stärken und eine zentrale Stelle der Vermittlung zwischen Verwaltung, Betreibern/Veranstaltern und Anwohnern zu schaffen, kann nur ein Gewinn für eine Stadt sein, die Club- und Gastronomieleben als einen essentiellen Bestandteil des Stadtbildes betrachtet“, beschreibt Fraktionsreferent Janne Muth die Stimmungslage der Fraktion: „Sie ist aber der Meinung, dass die Diskussion in einem Fachausschuss weitergeführt werden muss. Es gibt viele Detailfragen, die fachpolitisch aufbereitet werden müssen und auch von Seiten der Verwaltung abgeprüft werden müssen.“   Felix Kisseler, jugendpolitischer Sprecher und parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, wird die grüne Sicht der Dinge darlegen.

„Die FW-BLW-(Freie Wähler/Bürgerliste) Fraktion geht mit dem Antrag noch ergebnisoffen um“, meldet deren Fraktionsreferent Giang Vu: „Sie wird sich die Debatte anhören und daraus das Votum bilden“. Bei größeren Fraktionen sei das schwieriger, aber bei drei Stadtverordneten könne dies, zumal ohne Fraktionszwang, schnell während der Sitzung intern ausgehandelt werden. Eine Rede werden dann ebenfalls erst gegebenenfalls während und aus der Debatte heraus gehalten.

Jupa-Vorsitzender Silas Gottwald will sich heute nicht vertrösten lassen: „Wir wollen keine Ausschussüberweisung, sondern einen Beschluss.“

Die öffentliche Sitzung der Stadtverordnetenversammlung beginnt heute um 16 Uhr im Rathaus. Nach der Fragestunde soll es eine aktuelle Stunde zur Kunstaktion der „Wiesbaden Biennale“ mit dem Aufstellen einer Erdogan-Statue auf dem Platz der deutschen Einheit geben – auf Basis der Frage der Grünen-Fraktion „Wie beurteilt der Magistrat die Vorkommnisse um die Kunstinstallation im Rahmen der Biennale am Platz der deutschen Einheit?“ beziehungsweise der Antwort des Magistrats auf diese Frage.  

Auf der Tagesordnung stehen außerdem  Anträge der Fraktionen zu den Themen „Mietpreisbremse für die kommunalen Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaften“, „Handlungsfähigkeit der kommunalen Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaften sichern“, „Sofortpaket Luftreinhalteplan zur Abwendung Dieselfahrverbot“, „Durchsetzung der Badeordnung“, „Verkehrsanbindung nach Frankfurt ausbauen“, „Aufnahme von aus Seenot geretteten Geflüchteten“, „Lkw-Maut in Wiesbaden“, „Leichte E-Mobilität fördern und ausbauen – Luftverschmutzung, Lärm und Parkplatznot verringern“.

Abschied von Wirtschaftsdezernent Detlev Bendel

Zudem steht die Ehrung des Wirtschaftsdezernenten Detlev Bendel an. Er scheidet nach über vierzig Jahren kommunalpolitischer Tätigkeit am 30. September aus seinem Amt. Zu seinem Nachfolger hat die CDU-Fraktion Hans-Martin Kessler auserkoren, der bereits Dezernent für Stadtentwicklung und Bau ist.