Von Vivienne Matz. Foto Heinrich Völkel und Andrea Diefenbach.
Zum 116. Mal bringen seit Samstagabend die Internationalen Maifestspiele Gastspiele aus aller Welt in unsere Stadt. Applaus verdient auch der Aufwand hinter den Kulissen.
Ein bisschen Anspannung ist immer mit dabei. Die Container-Schiffe mit den Bühnenbildern aus Tel Aviv in Israel und Chongqing in China sind bereits auf dem Weg nach Deutschland, Flüge und Übernachtungen für die Schauspielensembles, Ballettkompanien, Orchester und Sänger aus der ganzen Welt sind größtenteils gebucht. Eigentlich könnte sich der bisherige Geschäftsführende Direktor des Staatstheaters, Joachim Bauscher, entspannt zurücklehnen. Nicht nur, weil er zum 1. Februar nach fast 51 Jahren am Theater in den wohlverdienten Ruhestand gegangen ist, sondern auch, weil sich die Maifestspiele die vergangenen 37 Jahre verwaltungstechnisch in seiner Obhut befanden. In diesem Jahr nun zum letzten Mal. Doch die Maifestspiele haben dem Vollprofi bereits so manche schlaflose Nacht beschert.
Die Gesamtausgaben für das Theaterfestival, das im Auftrag der Stadt vom Staatstheater durchgeführt wird, belaufen sich auf etwa 1 571 000 Euro. Zwar fließen insgesamt etwa 870 000 Euro als Zuschüsse aus Mitteln von Stadt, Land und dem Förderkreis Wiesbadener Maifestspiele. Den Rest muss das Festival aber selbst erwirtschaften. „Bisher ging‘s immer auf“, erklärt Bauscher.
Recherchen schon Jahre im voraus
Auf Recherche-Reisen durch die ganze Welt fahndet Intendant Manfred Beilharz, der auch Künstlerischer Leiter der Maifestspiele ist, nach interessanten Gastspielen. „Jedes Jahr erleben wir, wie rasant sich Themen, Spielweisen und Ästhetiken ändern“, berichtet dieser im knapp 150-seitigen Programmheft. Opern-Gastspiele werden zwei bis drei Jahre im Voraus ausgewählt. Bei Schauspielen hingegen wird nach aktuellen Produktionen Ausschau gehalten. „Die Stücke müssen zu Wiesbaden und dem Festival passen“, erklärt Bauscher. Stehen alle Gastspiele fest, stellt der Intendant den Spielplan für das Festival zusammen. Nach einer großen Oper folgt meist ein kleineres Schauspiel. „Die Festspiele müssen Rhythmus haben“, fügt Bauscher hinzu. Auf die diversen Bühnen des Staatstheaters werden gefeierte Produktionen renommierter Häuser gebracht, wie etwa Shakespeares Hamlet in einer Inszenierung des Hamburger Thalia Theaters oder Tschechows „Platonow“ beim Gastspiel des Schauspielhauses Zürich.
Wer jedoch meint, der mitunter selbst zum Schauspiel geratende Auflauf feiner Roben am ausgerollten roten Teppich vor dem Großen Haus mache die gesamten Maifestspiele aus, irrt: Nicht nur Etabliertes erhält Einzug in das vielfältige Programm für alle Altersschichten. „Ein Beispiel dafür, wie jenseits der großen, etablierten Häuser sensationelle Aufführungen entstehen können, ist die Inszenierung `Verrücktes Blut´, die Nurkan Erpulat mit einem freien Ensemble im Ballhaus Naunynstraße erarbeitete“, macht Dr. Beilharz Werbung für eine „Amok-Komödie“ über die Bildungs- und Migrationsdebatte jenseits politischer Korrektheit. Sogar in den Knast wird das Publikum gelockt. Das Projekt „Antikörper – Jetzt ist das Ende von Morgen“, das Regisseur Arne Dechow mit Insassen in der JVA Wiesbaden schuf, erfordert in der Entstehung und zur Aufführung hinter den Gefängnismauern besonderen organisatorischen Aufwand. „Zur Vorstellung bitte einen gültigen Personalausweis mitbringen. Taschen und Handys sind nicht gestattet“, lautet hier der klare Hinweis an die Theatergänger.
Insgesamt 29 Gastspiele aus den Bereichen Oper, Tanz, Schauspiel und Konzerte stehen auf dem umfangreichen Festspielplan. Die internationalen Höhepunkte bilden die Israeli Opera Tel Aviv mit Puccinis römischen Opernthriller „Tosca“ und die klang- und farbenprächtige Europapremiere von „Der Kreidekreis“ des Chongqing Sichuan Opera Theatre aus China. Joachim Bauscher und sein fünfköpfiges Administrationsteam buchen die Übernachtungen, in den meisten Fällen auch die Flüge und Transfers. Rund 120 000 Euro gehen an Wiesbadener Hotels, insgesamt werden 1323 Übernachtungen für 430 nationale und internationale Mitwirkende gebucht. Die Künstler kommen aus Australien, aus Hessens italienischer Partnerregion Emilia-Romagna, aus dem kanadischen Montréal, Buenos Aires in Argentinien, St. Petersburg in Russland und aus dem irischen Dublin. Allein die Kompanie der Israeli Opera Tel Aviv reist mit 220 Personen an. Jede Kompanie erhält zusätzlich zu den Flügen und der Unterkunft noch ein Gesamthonorar.
Große Spannung, ob Pläne aufgehen
Im regen E-Mail-Verkehr und bei diversen Telefonaten mit den Gast-Kompanien werden die äußerst detaillierten, technischen Pläne ausgetauscht und weitere Absprachen getroffen. Die Pläne der Gastspiele werden anschließend darauf geprüft, ob sie auch am Staatstheater realisiert werden können. So kann das Technikteam bereits alle Vorbereitungen treffen, bevor das Bühnenbild in Wiesbaden ankommt. Der Ablaufplan des Festivals wird minutiös abgestimmt, „eine generalstabsmäßige Planung“ schildert Bauscher. Die aufwändigen Bühnenbilder der großen Gastspiele werden so geliefert, dass sie aufgrund der begrenzten Lagermöglichkeiten „just in time“ ankommen. Fast sechs Wochen ist das Bühnenbild der Israeli Opera Tel Aviv unterwegs. Über Nacht werden die Bühnenbilder auf- und abgebaut, sodass die Kompanien tagsüber proben können. Um den zusätzlichen Aufwand stemmen zu können, werden speziell für die Maifestspiele Aushilfskräfte für das Technik-Team verpflichtet. Die hauseigenen Dramaturgen betreuen die Gastspiele in künstlerischen Fragen. „Die Maifestspiele sind das Salz in der Suppe unserer Theaterarbeit“, erklärt Bauscher.