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2×5: Marc Ruske, Künstler u. Initiator Bundeskanzler-in.de / OB-Wiesbaden.de, 38 Jahre, 3 Kinder

 

Interview Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.

Du trittst zur Bundestagswahl an – nicht als Politiker, sondern als Künstler. Wie lautet Dein Wahlziel?

Ich habe kein ausdrückliches Ziel. Ich will das beobachten und schauen, was dabei herauskommt, wenn man die Gesellschaft dazu einlädt, sich einzubringen. Ein Wunschtraum wäre, dass bei meinem Kunstprojekt viele Menschen mitmachen und ein Zeichen entsteht, mit dem das Volk genauso wie die Regierung etwas anfangen kann. Und natürlich auch eine  Ausstellung in Berlin, 400 Meter lange Wand , vielleicht 500.000 Beiträge. 

Was kann Kunst, was Politik nicht kann? 

Kunst kann sich die Freiheit nehmen, utopisch, kritisch und frei von der Leber weg völlig neue Wege zu erfinden und diese auch auszusprechen, ohne dabei in die zermalmende Mühlen der Presse zu geraten. Wenn man als Künstler Sachen bringt, die wirklich neu sind, kriegt man dafür wahrscheinlich eine Lobeshymne. Als Politiker wird man als unseriös abgestempelt. Die Kunst kann wie der Narr am Hofe sein, auf seriöse Art. Und sie ist den Menschen näher, obwohl sich weniger Menschen mit Kunst beschäftigen als mit Politik. 

Du sagst, „die Motivation der Aktion ist nicht rebellischer Natur“ – sondern? 

Konstruktiver oder kritischer Natur im eigentlichen Sinne. Konstruktiv nenne ich es deswegen, weil ich mich wage, einen Dialog einzuleiten, den es so noch nicht gibt und den auch viele Menschen für naiv oder unrealistisch halten. Wahrscheinlich aus Politikverdrossenheit herrscht ja dieser Gedanke: interessiert doch eh´ keinen. Damit tut man den Politikern auch Unrecht. Es interessiert sie nämlich sehr wohl. 

Deine Aktion – Bürger können eine Art Wunschzettel an unsere/n künftige/n Bundeskanzler/in schreiben – kommt seht nett daher. Glaubst Du im Ernst, dass Politiker diesen Weg der Kontaktaufnahme verstehen und sich dafür interessieren? 

Ich glaube, hauptsächlich diesen Weg verstehen sie. Aus meinen Begegnungen mit Politikern bisher schließe ich: Wenn sich Bürger wirklich konstruktiv und höflich versuchen einzubringen, ist das außerordentlich willkommen. Was eher zu Schwierigkeiten führt, ist, dass sehr gerne geschimpft und kritisiert  und schlechtgeredet wird, ohne dabei einen Respekt davor zu haben, mit welchen Verantwortungen das zusammenhängt oder wie schwierig das eigentlich ist, politische Entscheidungen ordentlich zu treffen und auch umzusetzen. Ich glaube, dass viele Politiker selbst Kompromisse eingehen, die sie gar nicht so super finden. Von daher bin ich mir sehr sicher, dass sämtliche Politiker auf eine so höfliche Geste sehr offen reagieren werden. 

Zur OB-Wahl hattest Du eine gleichartige Aktion realisiert. Die Ergebnisse zeigst Du nun in einer Ausstellung im Rathaus – was haben die Wiesbadener davon? 

Dass die Menschen sich die Mühe machen ihre Gedanken und Wünsche zu formulieren, die dann offiziell im Rathaus präsentiert werden, später dann als Buch an unseren OB überreicht werden, ist doch einfach eine aussgewöhnliche Gelegenheit und Methode, einen politischen Dialog einzuleiten. Normalerweise flattern doch erst die Briefe ein, wenn es etwas zu meckern gibt. Jetzt ist es umgekehrt. Es wird konstruktiv. Was wir Wiesbadener letztenendes davon haben wird sich noch herausstellen. Das hängt auch davon ab, was unsere Stadtregierung daraus macht. Aber selbst wenn nur ein höfliches Dankeschön kommt, dann hat diese Aktion für etwas mehr politisches Bewusstsein gesorgt. Menschen haben nachgedacht… und Politiker begegnen uns als Menschen, und nicht als Masse. Das halte ich für einen guten ersten Schritt.

MENSCH 

Woran krankt unsere Gesellschaft? 

Neid und Gier. Und Ignoranz. Die eigentümliche Art, Urteile zu fällen, ohne Dinge zu wissen. Und die Gesellschaft krankt daran, dass zwischen Regierung und Bürgern kein menschliches Verhältnis entstehen kann. Es hat immer etwas sehr Förmliches, sehr Korrektes und Diplomatisches. Es gibt wenig Freiraum, sich wirklich aufrichtig begegnen zu können. Und das Geld hat eine viel zu große Rolle eingenommen. 

Wie würdest Du die Gesellschaft speziell in Wiesbaden in drei Worten beschreiben? 

Erben-, Prinzessinnen-, Kurstadt Wiesbaden. Oder: Mittelstand-Kurstadt mit viel Potenzial. 

Beschreibe den Menschen, der dich am meisten fasziniert. 

Er ist authentisch, kann scheitern und bleibt sich treu, auch wenn es schwierig sein kann. Er ist dankbar, zu leben. Es gibt auch ein negatives Beispiel, das mich sehr fasziniert: außerordentlich begabte aber uninspirierte Menschen, die mit Pauken und Trompeten selbst mieseste Produkte verkörpern, als ob es das Tollste auf der Welt wäre. Das kriege ich nämlich überhaupt nicht hin. 

Was willst Du als dreifacher Vater deinen Kindern geben? 

Den Bock darauf, das Leben als Chance zu sehen, sich selbst zu lieben, dass sie so sind wie sie sind und dass das auf diese Art okay ist, auch wenn es oft in der Gesellschaft nicht so gesehen wird. Dass sie eine innere Kraft entwickeln, mit der sie sich nicht so sehr darauf einlassen, was von außen auf sie einströmt, dass sie ihren eigenen Weg gehen können und machen können was sie wollen, selbst wenn ich es falsch finde. 

Glaubst Du an das Gute im Menschen? 

Ja, definitiv. Das vergleiche ich gerne mit der Malerei. Der ganze Prozess, bis ein Bild gut ist, ist gar nicht so einfach und gar nicht so sehr davon abhängig, ob ich das gut mache oder nicht. Der größte Teil an der Arbeit ist ein permanentes Versagen. Das wird gerne gleichgestellt mit dem nicht guten Menschen, weil er halt was falsch macht. Das ist aber völliger Unsinn. Letzten Endes führt erst die Aneinanderreihung von diesen ganzen Fehlgriffen dazu, dass etwas gut ist. Ich glaube grundsätzlich daran, dass am Schluss alles irgendetwas Gutes an sich hat. Was der Mensch dabei falsch macht, ist, dass er die ganzen Fehlgriffe so bewertet, dass sie dem Guten entgegen stehen. Dabei ist es so, dass sie dem Guten dienen. Das Gute ist dabei nicht der liebe Gott, der einem über den Kopf streichelt und sagt „Fein gemacht“, sondern dass etwas Ernsthaftes, Lebendiges entsteht, das seine Berechtigung und seinen Platz im Leben fordert. Das ist dann gut.

Die Ausstellung im Foyer des Rathauses Wiesbaden ist bis zum 8. Juni  ist bei kostenlosem Eintritt montags bis freitags von 10 bis 19 Uhr sowie samstags von 10 bis 15 Uhr geöffnet.

www.bundeskanzler-in.de